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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

schon so viele in meinem Leben – mit dem Kopf auf dem Sattel, in meinen Poncho eingewickelt.

Der nächste Tag brachte für mich eine freundlichere Scenerie, denn der wilde Strom schien genug Wasserstaub umherzustreuen, den Thalboden feucht und fruchtbar zu halten, auch wurde mir gesagt, daß es hier sehr häufig regnen solle. Ich hatte also die dürren, trocknen Küstenhänge Perus hinter mir und durfte jetzt doch wenigstens auf grüne Hänge hoffen. Es giebt nichts Traurigeres, als durch ein so ödes Land zu reiten.

Die Berge waren auch hier in der That mit grünen und Blumen tragenden Büschen bewachsen, und am Wege selber stand in großen duftenden Sträuchern das reizende Heliotrop (Vanille), das seinen Wohlgeruch mit der frischen Morgenbrise ausstreute. Allerliebste Colibris, purpurroth und grün und von winziger Kleinheit, summten und surrten um die Weidenbüsche des Stromufers, und buntfarbige, zierliche Vögel machten schwache und meist unglückliche Versuche, ein Concert anzustimmen.

Die Vögel Amerika’s haben herrliche Farben, aber nur sehr wenige können wirklich singen, und unsern Waldsängern daheim kommt keiner gleich, den Mocking birdvon Louisiana, der auch die amerikanische Nachtigall genannt wird, vielleicht ausgenommen.

Alfalfa, Mais und Kartoffeln wuchsen hier üppig, blieben aber auf das schmale Thal beschränkt, und nur hie und da hatten sich die Bewohner in die Hänge hinaufgewagt und ordentliche Felder angelegt, die grün und fruchtbar aussahen. Wenn die Leute hier ordentlich arbeiten wollten, könnten sie gewiß genug ziehen, wenig aber brauchen sie nur zum Leben, und über das Wenige hinaus gehen dann auch ihre Anstrengungen nicht, wie man es ja in ganz Süd-Amerika, wie man es bei der ganzen spanischen Race findet.

Gegen Abend überholte ich einen Arriero, der mit Packthieren nach Cerro de Pasco und weiter nach Huánaco zog. Den Thieren waren die kupfernen Gefäße zu einer Branntweinbrennerei aufgeladen, und Einzelne davon trugen riesige kupferne Kessel, die diese Leute mit großer Gewandtheit auf den Packsätteln festzuschnüren wissen. Rauh genug gehen sie freilich mit den ihnen anvertrauten Gütern um, denn rauh ist auch der Weg und rauh das Volk, und was sich eben nicht gutwillig mit den rohledernen Schnüren festigen läßt, muß entweder biegen oder brechen. Den Schaden trägt natürlich der Empfänger, weshalb also auch große Vorsicht damit brauchen? Mehrere der kupfernen Gefäße und Röhren waren schon eingebogen und ein paar der Abzugshähne vollkommen abgebrochen, so daß ich in der That nicht weiß, wie sie das im innern Land je wieder repariren können.

Da ich am vorigen Tage einen sehr weiten Ritt mit meinem Thiere gemacht und es etwas schonen wollte, so blieb ich an diesem Tage bei den Arrieros, natürlich in der Voraussetzung, daß wir wieder irgend ein bequem gelegenes Haus erreichen würden, in dem wir übernachten könnten. Darin sollte ich mich aber getäuscht sehen. Höher und steiler stieg der Weg hinan; fruchtbare, angebaute Felder hatten wir schon gegen Mittag hinter uns gelassen, und viele Strecken mußte ich absteigen und zu Fuße gehen, meinem Thier nur etwas den Weg zu erleichtern. Aber wir erstiegen auch jetzt den scheidenden Bergrücken der Cordilleren, in die wir so allmählich hineingekommen waren, daß ich es gar nicht recht merkte, bis mich die kältere Luft darauf aufmerksam machte.

Einer Menge von Maulthieren und Eseln begegneten wir dabei, oder überholten sie auch, die theils leer von Cerro herunterkamen, theils eine Menge der verschiedenartigsten Waaren hinaufschafften. Ganze Karawanen von Eseln besonders trugen jene schweren eisernen, mit Schrauben versehenen Gefäße, in denen das Quecksilber verschickt wird, das sie in Cerro zur Amalgamation gebrauchen. Große Fässer trugen andere und riesige Kisten, ja eines der unglücklichen Thiere hatte sogar ein ganzes Pianino auf dem Rücken, das es von Lima aus in die 48 Leguas – circa 34 deutsche Meilen – entfernte Bergstadt hinaufschleppen mußte. Wer die Wege selber kennt, sollte das fast für unmöglich halten, aber Maulthiere machen fast Alles möglich, was in ihr Fach schlägt, und nicht sehr rasch, aber vollkommen sicher verfolgen sie ihre Bahn. Manchmal freilich wird es ihnen doch zu viel, und besonders hier oben, wo die Berge nur höchst dürftig Futter tragen und nichts auf der Gotteswelt mehr zu kaufen ist, verlassen sie nicht selten ihre Kräfte. Die Beweise liegen dazu in zahlreichen gebleichten Maulthier- und Pferdegerippen auf den Höhen und besonders an der Straße selber, denn so lange sie nur noch kriechen konnten, gönnte man ihnen keine Ruh. Oft wird ja sogar erst den todten die bitterschwere Last abgeschnallt, die das arme, von Hunger ermattete Thier zu Boden drückte. Arrieros können nämlich oder wollen für ihre Thiere kein Futter kaufen, und sobald sie diese Höhe erreichen, wo deshalb auch nie Jemand einen Vorrath von Futter einlegt, so treiben sie ihren Trupp von Thieren einfach auf die Weide. Wie gesund die aber für sie sein muß, sah ich am nächsten Morgen, wo der ganze Boden weiß mit Reif gedeckt war.

Diese Nacht, die ich vollkommen im Freien zubringen mußte, fror ich furchtbar, denn eben erst aus einem heißen Klima so recht mitten wieder in den Winter hineinzukommen, wollte meinem Körper gar nicht zusagen. Du lieber Gott, ich wußte ja nicht, was mir noch Alles bevorstand, und wie oft ich in den nächsten Wochen das Klima von heiß zu kalt und von kalt zu heiß wechseln sollte. Nahrungsmittel waren außerdem ebenfalls keine zu bekommen. Nicht weit von dort, wo wir absattelten, hatte allerdings ein Schäfer seine kleine, runde, mit Rasen gedeckte Hütte, in der er die Nacht warm genug liegen mochte, aber nichts weiter als etwas sogenannte chupa oder Suppe, die er uns anbot und die ich, mit der frischen Erinnerung an die ecuadorische Kochkunst, hartnäckig verweigerte. Ich führte etwas Brod und Chocolade bei mir und hielt davon mein frugales Abendbrod. Am nächsten Morgen brachen wir ziemlich früh wieder auf, d. h. die Arrieros begannen mit ihren Thieren sehr früh; ehe sie aber allen die Sättel aufgelegt und die Packen festgeschnürt hatten, verging doch eine ziemlich lange Zeit und ein schöner Theil vom Tag. Mir selber wurde dabei die Zeit lang, und sobald ich mein Thier fertig gesattelt hatte (wobei mir die Hände so froren, daß ich sie abwechselnd in die Tasche stecken mußte), sagte ich den langsamen Arrieros adios und trabte frisch in die wilde, öde Bergwelt hinein. Und wie wild, wie öde sah das hier aus; wie kahl und starr hoben sich die nackten, nur dürftig mit einem gelblichen Gras bewachsenen Kuppen empor, zwischen denen nur manchmal eine einzelne stille Lagune der Scenerie einige Abwechselung gab! – und trotzdem war kein einziges wildes, d. h. jagdbares Thier hier zu sehen. Hoch, hoch über mir, aber weit außer einer Kugel Bereich kreisten wohl ein paar Condore, sonst aber – zwei schwarze Bläßenten ausgenommen, die auf der einen Lagune schwammen – war kein einziges lebendiges Wesen zu sehen, und ich und mein Maulthier schienen in der ringsum ausgestorbenen Schöpfung allein übrig geblieben zu sein.

Ein paar Mal, wo es ziemlich steil bergauf ging, stieg ich ab, es dem Thier zu erleichtern, und fand dann zu meinem Erstaunen, daß mir das Athmen sehr schwer wurde. Auch Kopfschmerz bekam ich, oder eigentlich keinen wirklichen Schmerz, sondern nur eine Art unangenehmes Zusammenpressen der Schläfe. Freilich war alle Ursache dazu vorhanden, denn ich befand mich hier, als ich die Höhe endlich erreichte, auf dem höchsten Paß der Cordilleren und 16,000 Fuß hoch über der Meeresfläche. Ich fühlte dabei besonders die beißende Schärfe der Luft, wenn ich den Athem durch die Nase zog, sonst aber von allen jenen Unbehaglichkeiten, von denen mir früher war erzählt worden, nichts. Es soll nämlich gar nicht so selten vorkommen, daß Menschen und selbst Maulthiere einen wirklichen Krankheitsanfall auf dieser Höhe bekommen, eine Art von Seekrankheit, die von furchtbaren Kopfschmerzen und tödtlicher Ermattung begleitet ist. Die davon befallenen Maulthiere stürzen plötzlich nieder, und wenn man sie nach einiger Zeit wieder in die Höhe bringt, zittern sie an allen Gliedern, und können sich vor Mattigkeit kaum selber von der Stelle schleppen, viel weniger noch einen Reiter tragen. Man nennt diesen Anfall, wenn ich nicht irre, hier im Land Vedde, und er muß, nach Allem, was ich darüber gehört habe, weit eher in gasartigen Luftströmungen, als in der wirklichen Höhe seinen Ursprung haben, da er nie eigentlich auf dem höchsten Punkt des Passes, sondern mehr an dem östlichen Hang der Cordilleren vorkommt.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_523.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)