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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

an entgegen reiten sollte, und fand an dessen Ufer wenigstens etwas Vegetation, immer aber noch weit weniger, als ich erwartet hatte. Das Thal dazu, dem ich aufwärts folgen sollte, lag zu beiden Seiten des Stromes dürr und kahl, und eine Menge von Einfriedigungen, die aus mauerartigen übereinander gelegten Steinen bestanden, gaben mir Stoff zum Nachdenken, weshalb um Gotteswillen Menschen mit der größten augenscheinlichen Mühe und Arbeit eine Anzahl von Plätzen sorgfältig eingezäunt und abgegrenzt hatten, in denen auch nicht einmal ein einzelner Grashalm wuchs.

Im „Winter“ sollen diese Berge allerdings ein etwas freundlicheres Aussehen haben, denn obgleich es hier nie wirklich regnet, fällt doch dann und wann, wie mir gesagt wurde, ein feiner Sprühregen, der, mit dem Thau der Nächte, das Gras aus dem dürren Boden ruft und die Hänge mit einem matten, durchsichtigen Grün deckt. Möglich, daß dann diese Einfriedigungen zu Weiden werden, in denen sich kurze Zeit ein paar Maulthiere vor dem Verhungern schützen können. Soviel ist übrigens sicher, daß sich Viele dieser Landstriche durch Bewässerung mit nur einiger Arbeit trefflich verwerthen ließen, denn an Wasser fehlt es selbst diesen trockenen Hügeln nicht. Eine Menge von Quellen entspringen darin, und der Fluß oder Bergstrom selber hat Fall genug, ihn nach vielen Seiten hin zu verwenden. Das aber kostete Arbeit, schwere Arbeit, und dazu ist diese faule spanische Race nicht gemacht. Nur den Fremden will sie für sich schaffen lassen und scheint höchstens dazu gut, eine einträgliche Anstellung mit Würde zu verzehren oder den Tag über die Ellbogen auf dem Ladentische abzureiben. Selber thätig sein wollen oder können sie nicht, und weite Strecken Landes, die reiche Ernten tragen könnten, werden deshalb so lange unbenutzt und dürr liegen, bis fremde Hände sich ihrer bemächtigen – was jedenfalls im Lauf der Zeit geschieht.

Ich passirte jetzt einige Haciendas, die, von Quellen und dem Chillon selber begünstigt, Pisang, Orangen, Futterkräuter und Zuckerrohr trugen. Ueberhaupt ist der Boden selber fruchtbar genug, und treffliche Gemüse werden hie und da, besonders von Deutschen, in der Nähe von Lima gezogen. Weiter oben verengte sich aber das Thal mehr und mehr, der vom Wasser getränkte grüne Streifen Land wurde schmaler und schmaler und zog sich endlich nur noch wie ein Band dicht an den Ufern des Bergstromes entlang, während rechts und links die kahlen nackten Höhen wild und traurig in die blaue Luft hineinstarrten und von ihren öden, sonngebrannten, ja gebratenen Flächen eine erstickende Hitze ausbreiteten. Ueberhaupt war der Weg – von keinem einzigen Baum gegen die Sonnenstrahlen geschützt – nichts weniger als angenehm zu reiten, und erst mit anbrechendem Abend wurde es kühl genug, mein Thier zu schärferem Schritt antreiben zu können.

Vor Dunkelwerden erreichte ich endlich eine Brücke über den Chillon, der hier viel zu reißend floß, als daß man ihn mit dem Pferde hätte passiren können. An der andern Seite lag eine Hacienda, Macas, wo ich übernachten konnte, und ich fand dort wenigstens ein gutes Bett, von den Beschwerden des ersten Tages auszuruhen.

An der Brücke wurde mir von einem Chinesen Zoll abgenommen, und ich sah dicht an der Hacienda eine Menge niedriger, schilfgeflochtener, schmutziger Hütten, die von Chinesen wimmelten. Auf meine Erkundigung sagte mir der „Mayor domo“ (der Eigenthümer wohnte in Lima oder befand sich wenigstens gerade dort), daß diese Chinesen sogenannte Culies seien, die einen achtjährigen Contract hätten und nach dieser Zeit frei wären, für sich selber etwas anzufangen oder sich auf eigene Hand zu verdingen. Diese hier hatten schon fünf Jahre ihrer Zeit abverdient, und der Mann versicherte, er sei mit ihrer Arbeit zufrieden.

Die Sclaverei ist in Peru abgeschafft, aber die Sclaven bestehen fort, gerade wie in Ecuador. Diese Söhne des „himmlischen Reichs“ (Töchter kommen gar nicht herüber) werden von „Unternehmern“ in China angeworben, bekommen freie Passage und sehen sich dann plötzlich ganz einfach zum Verkauf ausgestellt, wo man sie an den Meistbietenden für den Preis von 3–400 Dollars, vielleicht auch mehr, wie gerade Arbeiter verlangt werden, abläßt. Ihre Behandlung soll dabei, wie sich das auch kaum anders erwarten läßt, eine sehr schlechte sein; selbst vor körperlicher Mißhandlung schützt sie das Gesetz oder deren Vertreter nicht – es sind ja nur Chinesen – und man sucht aus ihnen in dem kurzen Termine soviel Arbeit als möglich, mit sowenig als möglich Unterhaltungskosten, herauszuziehen.

Die Neger sind frei geworden, und Chinesen wie Indianer haben an deren Statt das Joch übernommen, das sie früher wund drückte. Peru selber freilich hat nichts dabei gewonnen, als eine freie, freche und ekelhafte Bevölkerung der schwarzen Race, und einen Zuwachs von eben so zweideutigem Nutzen in dem, wenn auch fleißigen, doch schmutzigen und lasterhaften Volke Chinas.

Von Macas, bis wohin ich noch ziemlich ebenen Weg gehabt, brach ich am nächsten Morgen früh wieder auf und kam jetzt bald in das eigentliche Bergterrain des Landes. Der Chillon hat einen außerordentlich starken Fall, der gar nicht so selten in kleine Wasserstürze ausartet. Das Thal verengte sich außerdem immer mehr, die Felsen liefen an vielen Stellen schroff und steil bis in das Flußbett nieder, und da die peruanischen Wegbauer nie ein Pfund Pulver verbrauchen, hemmende Felsen damit zu sprengen, so zieht sich der schmale Maulthierpfad denn auch bald steil einen solchen Hang hinauf, bald läuft er gelegentlich, wie es gerade paßt, eben so unerwartet bis zum Wasserrand hinunter, es den Maulthieren überlassend, ihre Bürde unaufhörlich auf- und abzuschleppen.

Dicht bei Macas, am rechten Ufer des Flusses und ziemlich hoch am Berg hinauf in einer wilden Oede von nackten, unfruchtbaren Wänden liegt eine alte indianische Stadt mit einem ganz eigenthümlich gespenstischen Aussehen. Die Mauern scheinen, soweit ich das aus der Ferne erkennen konnte, von Lehm zu sein, trotzdem aber daß die Dächer schon lange verfault und niedergebrochen waren, hatten sie doch in einem Lande, wo man keinen Regen kennt, der Zeit Trotz geboten, und unheimlich starrten noch jetzt die dunklen, augenartigen Fenster und Thüröffnungen, durch die schon lange, lange Jahre kein lebendes Wesen geschaut hatte, aus den weißen leeren Wänden heraus nach dem Wanderer unten. Noch ließ sich der frühere Marktplatz erkennen – noch die Ueberreste einer wahrscheinlich von den Spaniern gebauten Kirche, aber kein Fuß betrat mehr jene öffentlichen Plätze und Straßen, kein Haupt neigte sich mehr in jener Kirche dem unbekannten neugebrachten und furchtbaren Gott, dessen Name in diesem neuen Welttheil mit Blut getränkt und mit Schrecken umgeben worden. Die bleichen, kahlen Mauern, die von dort herüberschimmerten, kamen mir vor wie ein riesiges Menschengerippe, das da drüben in der Sonne dörrte.

Aber auf diesen Wegen kann man sich nicht viel Betrachtungen hingeben, denn man muß das Auge auf den Pfad selber halten, der von jetzt an bald steil aufläuft, bald tief abfällt, wie gerade das Terrain selber toll und wild seine Höhen aufgeworfen oder seine Tiefen gerissen hatte. Vom Wegbau haben die Süd-Amerikaner nur eine sehr unbestimmte Idee, die sich darauf beschränkt, die Bahn für ein Lastthier nur möglicher Weise passirbar zu machen. Schwierigkeiten im Wege wegzuräumen fällt ihnen nicht ein; sie umgehen dieselben, wenn auch auf noch so großen Umwegen, und was ihre Thiere dabei unnöthiger Weise auf- und abklettern müssen, wird gar nicht geachtet. Sprengpulver steht, wie mir gesagt wurde, sorgfältig auf allen Rechnungen, aber wie ein Steinbohrer aussieht, wissen sie schwerlich; wenigstens ist er nie angewandt.

Enger und enger wurde das Thal, aber hie und da zeigten sich jetzt auch einige fruchtbare und angebaute Felder darin, und besonders üppig stand in diesen die Alfalfa, das Futterkraut für die Thiere. Auch Mais und Kartoffeln – denn das tropische Klima lag hinter mir. Uebrigens hatte ich mir vorgenommen, heut noch das von Macas vierzehn Leguas entfernte Oberagilio, ein größeres Städtchen, zu erreichen, um in gutes Quartier zu kommen, und die Nacht brach ein, während sich der Weg noch steil am Fluß hinaufzog. Der Chillon bildete hier fast nur eine Kette von kleinen Wasserstürzen, und wundervoll sah es aus, wie die weiß schäumende Fluth donnernd und kochend aus dem dunklen Schatten der Felsen herausströmte und in tiefen Kesseln dann tief unten wirbelte und gährte. Der Pfad war dabei schmal und rauh, mein Thier mußte halbe Stunden lang über lose Felsstücken hinwegsteigen und selbst oft klettern; Maulthiere haben aber darin einen vortrefflichen Instinct, und man kann sie sich selber vollkommen ruhig überlassen, ja je weniger man selber den Zügel führt, desto sicherer gehen sie. Es wurde aber doch neun Uhr, ehe ich die Stadt selber erreichte, und mit Mühe konnte ich noch Quartier für mich und einen Burschen bekommen, der mein Maulthier für die Nacht in einen der Pastresos (Weideplätze) hinausführte. An ein Bett war ebenfalls nicht zu denken, und ich schlief die Nacht – wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_522.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)