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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

dem Ausdrucke, der in des jungen Mannes Augen lebendig wurde, und ein leichtes Roth stieg in ihren bleichen Wangen auf.

„Miß Frost, ich weiß nicht, wie ich zu der Güte komme, mit der Sie mir begegnen,“ erwiderte er, ohne ein Beben der Erregung in seiner Stimme unterdrücken zu können, „ich bin der jüngste, vielleicht der unbedeutendste Clerk in Mr. Frost’s Geschäfte – was liegt daran, wenn ich gehe?“

Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck von Ernst und Trauer an. „Und haben wir Ihnen denn nicht gezeigt, daß wir Sie mehr achten, als es Ihre augenblickliche Stellung vielleicht erforderte?“ erwiderte sie mit einem eigenthümlich tiefen Klang ihrer Stimme, „was ist es denn, was Sie von uns treibt? Ich weiß, daß Vater gern das Mögliche für Ihre Zufriedenstellung thun würde.“

„Aber es giebt eben halbe Unmöglichkeiten, Miß,“ sagte er, seinen Blick mit einer Art Trunkenheit, die ihn überkam, in ihr Auge versenkend; „seien Sie doch barmherzig und fragen Sie nicht länger,“ setzte er in zitterndem Tone hinzu, „ich muß ja gehen, Margaret – ich muß – ich muß!“

Wie ein Blitz leuchtete es bei seinen letzten Worten plötzlich in ihren Augen auf, ein tiefes Roth schoß in ihr Gesicht, dann aber wandte sie sich ab, und Reichardt wußte, daß er errathen war, daß er sich zu weit hatte hinreißen lassen und nun wohl völlig mißverstanden wurde – er hätte kaum gewußt, was im Augenblicke sagen, wenn nicht das Oeffnen der Thür ihn aus seiner momentanen Verlegenheit befreit hätte. Beider Augen wandten sich nach dem Geräusch, und den beiden Frost’s voran trat Harriet Burton in’s Zimmer. Ihr Gesicht war bleicher und magerer geworden, seit Reichardt sie zuletzt gesehen, aber das ruhige, helle Lächeln, das bei des jungen Mannes Erblicken, von einem leichten Roth begleitet, darin aufstieg, verlieh ihr einen wunderbaren Reiz. „Da ist er ja!“ sagte sie ohne alle Befangenheit auf ihn zutretend und ihm die Hand reichend; zugleich aber flog ihr Blick auch nach Margaret hinüber, dann auf Reichardt zurück, und ein Ausdruck von Verständniß begann sich in ihren Zügen geltend zu machen, der den Deutschen in neue Verlegenheit zu stürzen drohte.

„Sie bereiten mir durch Ihr Erscheinen eine Ueberraschung, Miß Burton, die ich für kaum möglich gehalten hätte,“ sagte er, nur um einige Worte zu sprechen.

„Und Sie haben, wie ich höre, eine desto unangenehmere für uns im Sinne!“ fiel sie lebhaft ein, „ich habe aber behauptet, daß hier jedenfalls nur ein Mißverständniß zu Grunde liegen könne, und habe mich vermessen, diesem auf die Spur zu kommen –“

„Lassen wir das Alles bis nach dem Essen und denken vorläufig nicht daran,“ unterbrach sie der alte Frost, „ich hoffe, ein offenes Wort zwischen Mr. Reichardt und mir wird seinen Zweck nicht verfehlen. Lassen Sie uns jetzt zu Tische gehen!“ Er wandte sich halb nach der Thür, und John eilte herbei, um einer der jungen Damen seinen Arm zu bieten. Wie ein halbscheuer Vogel aber kam Margaret herbeigeflattert, sich Harriet’s Arm bemächtigend und diese nach der Thür mit sich fortreißend. Reichardt aber fühlte einen schmerzenden Druck auf seiner Brust – sie hatte seine Begleitung vermeiden wollen.

„Recht artig von Margaret!“ sagte John, halb launig, halb verdrießlich dem Paare nachblickend, „very well, so müssen wir uns einander führen!“ Er fasste den Arm des Deutschen, mit diesem den Uebrigen folgend. „Ich bin schon halb ein glücklicher Mensch, Reichardt!“ flüsterte er in leiser Hast seinem Begleiter zu, „Harriet ist liebenswürdiger als je, und nun um Gotteswillen machen Sie uns keinen schwarzen Strich durch unsern heitern Tag!“

„Alles Glück, John!“ erwiderte der Angeredete nur, während sie in das Speisezimmer traten, und warf hier einen freien Blick umher. Margaret’s letzte Bewegung hatte ihm plötzlich eine Sicherheit und seinem Entschlusse eine Bestimmtheit gegeben, von denen er kaum wußte, wie sie entstanden.

Gestattete schon das Mahl bei seiner amerikanischen Natur und der Gegenwart des aufwartenden Dieners keine belebte Conversation, so schien doch auf der kleinen Gesellschaft noch ein besonderer Druck zu lasten. John hatte zwar einige Witzworte versucht, aber weder bei Harriet, welche das still neben einander sitzende andere junge Paar zu beobachten schien, noch bei dem alten Frost, der sich mehr als je in eigene Gedanken versunken zeigte, Anklang gefunden und endlich nach einem verdrießlichen Rundblick geschwiegen. In Reichardt war es wohl aufgestiegen, als solle er mit einigen Worten den Bann, der augenscheinlich nur seinethalber auf den Uebrigen lag, brechen, zugleich aber kam ihm dies in seiner gegenwärtigen Lage wieder als völlig unpassend vor, und schon nach kürzerer Zeit, als es wohl sonst geschah, erhob sich der Hausherr so schweigsam, als er sich gesetzt. Als aber jetzt Margaret seinem Beispiele folgte und Reichardt an ihrer Bewegung den wiederholten Plan sah, sich an Harriet anzuschließen, schoß es in diesem plötzlich wie ein schmerzlicher Grimm auf, der ihm hätte die Thränen in die Augen treiben können. John hatte sich indessen Harriet’s bereits bemächtigt, und wie in halber Scheu wandte sich die Zurückbleibende nach dem Deutschen.

„Dürfen Sie mir denn nicht noch einen freundlichen Blick gönnen, Miß?“ sagte dieser, langsam neben ihr das Zimmer verlassend, „es ist ja doch das letzte Mal, daß ich zu Ihnen rede!.“

Sie sah nicht auf und antwortete nicht, als sie aber in der Thür des vorderen Zimmers Harriet ihrer wartend erblickte, eilte sie von seiner Seite der Ersteren entgegen. Reichardt preßte die zitternden Lippen aufeinander und nickte dann kurz und bestimmt mit dem Kopfe.

Als er das vordere Zimmer betrat, sah er die Mädchen, von John begleitet, soeben durch eine Seitenthür verschwinden, und nur der alte Frost schien ihn zu erwarten. „Setzen Sie sich ein paar Minuten zu mir her, Sir,“ sagte der Letztere, einen Stuhl heran ziehend, „es ist wohl für uns Beide das Thunlichste, ohne weitere Zögerung zu sagen was zu sagen ist.“ Er ließ sich langsam auf einen der Lehnsessel nieder, und nicht ohne einen leichten Anflug von Beklommenheit setzte sich Reichardt ihm gegenüber.

„Ehe wir zur wirklichen Frage, die ich durch John’s Mittheilung kenne, gehen,“ fuhr der alte Handelsherr, sich zurücklehnend, fort, „muß ich einige Worte vorausschicken. Sie werden wahrgenommen haben, daß Ihr Eintritt in mein Geschäft in etwas eigenthümlicher Weise stattfand, daß er überhaupt nur erfolgte, weil ich Sie gern aus Ihrer damaligen Stellung in eine Ihren Wünschen entsprechende Lage versetzen wollte. Ich darf hier wohl auch hinzufügen, daß ich Sie von dem ersten Tage Ihres Eintritt an nicht wie jeden gewöhnlichen Clerk, später aber immer als den Freund meines Sohnes behandelt, daß ich Ihnen ein Vertrauen gezeigt habe, wie es sich ein junger Mann Ihres Alters bei so kurzer Anwesenheit im Geschäfte nicht leicht zu rühmen hat.“

Reichardt, etwas bleicher geworden, neigte sich zustimmend. „Well, Sir,“ fuhr der Sprechendee ruhig fort, „es gab natürlich Gründe für meine Handlungsweise. Ich hatte Sie in Saratoga nur einmal flüchtig gesehen und nur etwas von Ihrem Wesen und Ihrer Lage durch Margaret erfahren, hörte aber von Ihren spätern Schicksalen in Tennessee. Sie hatten es dort in der Hand, eins der wohlhabendsten, interessantesten Mädchen des Staates zu heirathen und schlugen es aus, durch Gründe bewogen, die auf einen hier zu Lande seltenen Charakter deuteten und eine Gesinnungsweise verriethen, auf welche wenigstens das Geld nie als Verführungsmittel wirken kann. Wie ich diese Gründe und überhaupt Ihren ganzen innern Menschen kennen lernte,“ sprach er weiter, ohne auf Reichardt’s sichtliche Ueberraschung zu achten, „sollen Sie hören. Sie hatten auf Ihrer Dampfbootfahrt nach St. Louis, in einer Art Dankgefühl gegen Harriet, einen Brief an diese begonnen und die Ergießungen Ihres Innern jeden Tag fortgesetzt, und wenn etwas zur Beruhigung des verletzten Gemüths des Mädchens beigetragen, wenn etwas dazu geholfen hat, sie die Tollheit ihres damals beabsichtigten Schrittes erkennen zu lassen, so sind es Ihre Zeilen gewesen. Erst einen Monat später vertraute sie meiner Tochter brieflich die ganze Angelegenheit und sandte die von ihnen empfangenen Blätter mit. Im nächstfolgenden Monate aber sah Margaret Sie die Straße fegen, und als sie Ihre damalige Stellung erfahren, gab sie mir Einsicht in Harriet’s Papiere und drang in mich, Sie auf irgend eine Weise Ihrer unwürdigen Lage zu entreißen.“

Er hielt einige Secunden inne, während sich in Reichardt’s Innerem die widerstreitendsten Empfindungen kreuzten und ihm nur das Eine klar war, daß nach diesen Eröffnungen seines Bleibens in dem Hause um so weniger sein könne.

(Fortsetzung folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_516.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)