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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Bühne in St. Louis denken, und als ob sie die Gedanken in seinem Auge lese, stieg ein leichtes Roth in ihren lächelnden Zügen auf, und mit einem wärmeren Drucke schlossen sich ihre Finger auf’s Neue um die seinen.

„Da ist er, Fonfride,“ wandte sie sich an den Mann zurück, der sich bei Reichardt’s Eintreten langsam aus einem Lehnstuhle erhoben hatte und dem jungen Deutschen, trotz des leichten Grau in seinem dunkeln Haare, mit seinen lebendigen Augen und frischen Zügen um fünf Jahre jünger erscheinen wollte, als er ihn zuletzt gesehen, „da ist er, der uns beinahe in einen Criminalproceß verwickelt hätte –“

„Sein Sie völlig ruhig, Monsieur – ich freue mich, Sie wieder zu sehen,“ rief der Angeredete lachend, dem Deutschen die Hand entgegenstreckend, „ich weiß, daß Sie nur die Ehre Ihrer damaligen Schwester, meiner jetzigen Frau, vertreten haben; der Stevens, der fou, glaubte, noch als Sie schon weg waren, einen grand coup auszuführen, wenn er mir Ihr Geschwister-Verhältniß mittheilte. Zu seinem Glücke ist er mit einem Stiche in’s Fleisch davon gekommen – gut war es aber immer, daß Sie sich allen difficultés entzogen – doch nehmen Sie Platz!“

„Bei alledem ist er ein ungetreuer Mensch,“ begann Mathilde wieder, als sich Reichardt mit fühlbarer Erleichterung, trotzdem er während seiner letzten Erlebnisse wenig an sein Abenteuer in St. Louis gedacht, niedergelassen hatte; „seine klangreiche Geliebte hat er aller Gefahr preisgegeben, während er seinen prosaischen Koffer sorgsam gerettet hat!“

Ein Blitz des Verständnisses ging durch die Seele des jungen Mannes. „Sie haben von meiner Geige etwas gehört?“ fragte er erregt; trotz seiner augenblicklichen Bewegung aber fühlte er seine Unsicherheit in der Weise, der jetzigen Mistreß Fonfride zu begegnen, und sein „Sie“ war mit einem Blicke auf beide Anwesende begleitet. Fast schien aber Mathilde eine ähnliche Schwierigkeit in Gegenwart ihres Mannes zu fühlen; nur mit einem Lächeln, welches dem jungen Manne die ganze frühere Zeit seines Zusammenlebens mit ihr zurückrief, nickte sie ihm zu und erhob sich, um in dem anstoßenden Zimmer zu verschwinden.

„Sie hoffte damals bestimmt, noch einmal mit Ihnen zusammenzutreffen,“ sagte Fonfride, welcher ihre Bewegungen verfolgt hatte, „und so nahm sie das Instrument, als wir Ihre Entweichung entdeckten, an sich.“

Eine kurze Pause erfolgte, in welcher es dem jungen Manne fast wurde, als gehe er dem Wiedersehen mit einer geliebten Person entgegen; war ihm doch die Geige immer wie eine lebendige Vertraute gewesen, welcher er Alles klagen durfte, die ihm geantwortet und ihn getröstet hatte, und er konnte sich einer lebhaften Bewegung nicht erwehren, als Mathilde mit dem ihm so wohl bekannten Kasten zurückkehrte.

„Hier, Bruder Max, ist die Verlorene,“ sagte sie, und alles Fremdartige, was Reichardt in ihrem Wesen gefunden, schien völlig daraus hinweggestrichen; „noch keine Hand hat sie wieder berührt, und ich wünsche nur, daß auch Du ihr durch keine neue Nebenbuhlerin entfremdet sein magst.“

„Sie hat nichts zu fürchten gehabt,“ erwiderte jener, wohlthuend von dem zwanglosen gewohnten „Du“ angeregt, „habe ich doch in New-York noch nicht einen einzigen Bogenstrich gethan, bin sogar der Kunst ganz untreu geworden – aber,“ setzte er mit leichtem Sinken des Tones hinzu, „bin auch wohl bestraft dafür.“

„Das heißt – Du hast den Rückweg in Deinen früheren Beruf gefunden,“ fragte Mathilde aufmerksam, „und – fühlst Dich nicht glücklich darin?“

Reichardt neigte den Kopf und öffnete den Violinkasten; es war ihm, als sei er eben dabei, eine Unwahrheit zu sagen; war ihm doch sein gegenwärtiger Beruf so lieb, daß er unter andern Verhältnissen seine vollste Befriedigung darin gefunden haben würde, daß er selbst während aller Kämpfe der letzten Zeit den Verlust seiner Geige nur in einzelnen flüchtigen Augenblicken empfunden hatte. „Bist Du wohl ganz glücklich, Mathilde, daß Du der Kunst entsagt hast?“ fragte er langsam aufsehend.

Sie blickte ihn wie verwundert an; an ihrer Stelle nahm der frühere Director das Wort. „Madame Fonfride der Kunst entsagt, Monsieur?“ rief er, den Kopf rasch aufrichtend, „wie kommen Sie zu der Annahme? Ah, Sie treffen uns hier unthätig und allein – eh bien, wir sind für den Augenblick zu einem Stillstand gezwungen; der Stevens war ein großer coquin, aber ein guter Agent, und seit Sie ihn unbrauchbar für uns gemacht, sind unsere Arrangements zum großen Theile fehlgeschlagen. Jetzt habe ich für das äußere Management unserer Angelegenheiten eine andere Verbindung angeknüpft, und sobald wir damit in Ordnung sind, werden wir auch unsere unterbrochene Reise wieder aufnehmen. – wir haben übrigens viel von Ihnen, Monsieur, gesprochen,“ fuhr er lebhaft fort, „obgleich ich Ihre Fertigkeit noch nicht einmal habe bewundern können – nehmen Sie Ihr Instrument und lassen Sie etwas hören!“

Reichardt hatte, indem er seine Geige erblickt, auf der noch nicht einmal eine Saite gerissen war, nur der Aufforderung bedurft, um dem in ihm plötzlich erwachten Drange zum Spiel zu genügen. Mit einer lebhaften Befriedigung aber hatte er auch von der neu in Aussicht stehenden Kunstreise gehört, und die Hoffnung, sich durch einen Anschluß an die Gesellschaft mit einem Male Allem, was jetzt auf ihm lastete, entziehen zu können, war in bestimmten Umrissen vor ihn getreten. Es galt wohl jetzt nur, dem Manne vor ihm zu zeigen, was er konnte, und ihm damit das Vortheilhafte seines Engagements vor die Augen zu stellen. Er hatte das Instrument aus dessen weichem Lager genommen, stimmte es, prüfte den Bogen und warf dann einen hellen Blick in Mathildens Augen. Ein Lächeln des Verständnisses antwortete ihnen, und er begann in großem, kräftigem Tone die Einleitung zu dem variirten Proch’schen Liede, in welchem er und Mathilde sich zum ersten Male zusammen gefunden hatten. Reichardt fühlte, daß er in seinem Spiele nichts verloren hatte, daß sich im Gegentheil alle aufgesparte Kraft und die ganze Tiefe seiner Empfindung in die Töne zu ergießen schienen, und als bei Beginn des Themas Mathildens Stimme, die er noch nie in dieser Fülle und klaren Sicherheit gehört zu haben meinte, einsetzte:

„Ziehn die lieben, goldnen Sterne,“

stieg eine stille, lichte Begeisterung in ihm auf, die, sobald Mathilde bei der beginnenden Durcharbeitung die ursprüngliche Melodie übernahm, sich auch auf diese zu übertragen schien. Fonfride, der während des Anfanges sich in seinen Stuhl geworfen und mit der Miene eines mehr und mehr befriedigten Kritikers Reichardt’s Spiel verfolgt hatte, that bei Mathildens Einsatz überrascht die Augen groß auf; bald aber begann er sich langsam in die Höhe zu richten, sein Gesicht röthete sich, und als endlich Violine und Stimme, einander begleitend, im Nachklang des Themas am Schlusse erstarben, schien er wie in Verzückung noch immer den entschwundenen Tönen zu lauschen, bis Mathildens aufbrechendes Lachen ihn wieder zu sich selbst zu bringen schien. „Oh, mon dieu“ sagte er mit einem tiefen Athemzuge, „warum habe ich denn das nicht früher gehört! Setzen Sie sich doch gleich einmal hierher, Monsieur,“ fuhr er fort, als finde er erst jetzt seine Lebhaftigkeit wieder, „Sie dürfen uns ja nicht wieder verlassen, Sie haben ja zehntausend Dollars in Ihrem Bogen, wie Stevens sagen würde – oh cher enfant, warum mußte ich denn das jetzt erst hören!“

Reichardt that lächelnd seine Geige bei Seite und nahm seinen frühern Platz ein, während Mathilde mit einem Leuchten in ihren Mienen, als sei ihr selbst die größte Genugthuung geworden, sich auf dem Divan ihm gegenüber niederließ. – Eine volle Stunde währte ein erregtes Gespräch zwischen den Dreien, und als Reichardt endlich das Hotel verließ, war es in seine Hand gegeben, seine gegenwärtige Lage mit einer leichten, gewinnbringenden Stellung in Fonfride’s Concert-Truppe zu vertauschen; zu seiner Sicherheit hatte sogar der Director die Garantie für ein volles Jahr übernommen.

Je weiter indessen Reichardt seinen Weg durch die stillen Straßen verfolgte, je langsamer wurden seine Schritte – er hätte niemals geglaubt, daß es ihm so schwer werden könnte, sich durch einen raschen Entschluß seinen augenblicklichen Verhältnissen zu entreißen – und doch wußte er, daß er nicht bleiben durfte, nicht bleiben konnte.

Als er sein Boardinghaus erreicht hatte, trat ihm aus dem bereits leeren Parlor plötzlich der Kupferschmied entgegen. „Gott sei Dank, daß Sie endlich kommen,“ rief dieser bei seinem Anblicke, „ich dachte schon, Sie würden die halbe Nacht ausbleiben, und, doch mußte ich Ihnen noch sagen, was ich aus purer Eselei heute Abend vergessen hatte!“

„Was – wirklich nur der vergessenen Mittheilung wegen

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