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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

empor und fuhr fort: „Es ist schon fast dunkel – aber weil Sie sich doch nach mir umgesehen haben in meiner Verlassenheit, will ich es Ihnen erzählen … ich werd’ Sie nit gar zu lang’ aufhalten mit der Geschicht’ …“

Der Pater erklärte sich bereit, und Korby begann:

„Ich bin nit alleweil so verstockt gewesen und so versteint, wie jetzt – wie ich ein junger Bursch gewesen bin, hab’ ich auch ein lustiges, lebfrisches Gemüth gehabt wie ein anderer – mein Herz ist weich gewesen wie Wachs, und ich hätt’ keinem Menschen eine Bitt’ abschlagen oder was Leid’s anthun können … nur der jache Zorn, die fliegende Hitz … die ist mein Fehler gewesen. die hab’ ich nit unterdrücken können, wenn’s mich auch hintennach gereut hat, so bitterlich als Einen nur etwas reuen kann! … Ich bin auch fromm gewesen dazumal, so recht inwendig fromm, und hab’ gern gebet’ und hab’ mich oft auslachen lassen von den andern Burschen, wenn ich kein Engelamt versäumt hab’ oder keine Vesper und kein’ Rosenkranz! – Daran war aber meine Ahn’l schuld, ein altes halbblindes Tagwerkerweib, die mich aufgezogen hat, denn meine Eltern hab’ ich nie gekennt … die sind gestorben, wie ich noch ganz klein war, alle zwei an einem Tag’, wie selbigesmal die hitzige Sucht grassirt hat in der ganzen Gegend. Die Ahn’l ist den ganzen Tag im Winkel hinter’m Ofen gsessen und hat g’sponnen, denn eine andere Arbeit hat sie nimmer thun können … den ganzen Tag haben die Händ’ nicht geruht, wie knochendürr sie auch gewesen sind und wie sie auch gezittert haben vor Schwäche und Alter – dazu hat sie gebet’t in einem fort und der zahnlose Mund ist kein Augenblick still gestanden – so wenig wie die Händ’, die den Faden gezogen haben, und der Fuß, der das Rädel gedreht hat. Alle Morgens, wenn ich fort bin zur Arbeit, hat sie mir’s wieder gesagt und nachgerufen, wenn ich schon in der Thür’ war: „Was der heutige Tag auch bringt … bet’, Korby, bet’ … das Beten hilft!“ – Es ist auch ihr letztes Wort gewesen, wie sie einmal Ruh’ gekriegt hat und das Spinnrädel mit ihr … und ich bin drauf fort und hab’ mich verdungen als Knecht, weit fort bis in’s Unterland, in die große Ebene um Straubing herum, ich hab’ eben auch gemeint, daß ich was seh’n müßt’ von der Welt …“

Der Erzählende hielt einen Augenblick inne, als ob er sich auf etwas Vergessenes besinnen wollte – dann mit der Hand über die Stirne wischend, fuhr er fort:

„Dort herum ist das Land ganz anders als bei uns – dort ist Alles eben, und man kann halbe Tage lang zwischen den Kornfeldern hingehen, die mannshoch über einem zusammenschlagen … man sieht oft stundenweit keinen Baum, und nur ganz in der Fern’ schauen die Berg’ vom bairischen Wald über die Donau herüber – Wer in den Bergen daheim und aufgewachsen ist, der kann hart eingewöhnen in der Ebne’t, und mir ist’s auch so ’gangen und ich hab’ in der ersten Zeit g’meint, ich halt’s keine Stund’ mehr aus und müßt’ mein Bündel nehmen und wieder heimlaufen in die Berg’ herein. … Ist aber bald und geschwind ganz anders ’worden – der Bauer, bei dem ich ’dient hab’, ist kinderlos gewesen und hat ein armes, weitschichtiges Bas’l in’s Haus genommen – und – seit die Meigl (Margareth) im Haus war, hab’ ich nimmer an die Berg’ und nimmer an’s Fortgehn gedenkt – es wär’ aber doch wohl g’scheidter gewesen, ich hätt’s gethan.

„Sie müssen mich nit auslachen, Hochwürden,“ unterbrach er sich selbst, „daß ich Ihnen so was erzähl’ – aber es gehört zu meiner Geschicht’, und ich hab’s ja schon gesagt, daß ich nit alleweil so verstockt gewesen bin, als wie jetzt …“

„Es fällt mir nicht ein, zu lachen,“ erwiderte der Pater, „ich wollte lieber, Ihr hättet den einzigen warmen und lebendigen Fleck an Eurem Herzen vor dem Versteinern erhalten …“

„Er hat mir wenig geholfen, der warme lebendige Fleck,“ fuhr Korby fort, „ich hab’ die Margareth gern gesehn und es ist mir bald so vorkommen, als wenn sie mir auch nit feind wär… sie ist nie ausblieben, wenn ich am Feierabend mich unter die Hausthür’ gesetzt und Cither gespielt hab’, wie’s Brauch ist bei uns daheim – sie hat mich freundlicher gegrüßt als die Andern, und wie’s zum Kornschneiden ging, hat sie’s immer zu machen gewußt, daß ich der Nächste bei ihr war. „Es arbeit’ mir keiner so flink in die Hand, wie der Korby,“ hat sie einmal g’sagt und hat ein paar blaue Kornblumen, die da gestanden sind mitten unter den Aechern (Aehren), abgerissen und mir hingehalten … Aber was hätt’s werden sollen bei All’ dem! Ich war blutarm, und sie hat den Prachthof von ihrem Vetter so gut wie im Sack g’habt, und der hätt’ seinen Nachfolger niemals anders geschätzt, als nach den Kronenthalern. Und dann war ich nit der Einzige, dem die Meigl in die Augen gestochen hat und der schöne Hof dazu. Da war gar Mancher, der am Sonntag nur ihretwegen an der Freithofthür’ g’standen ist, um sie vorbeigehn zu sehn, und wenn sie wo auf den Tanzboden kommen ist, haben sich die Bursche gerauft, einen Ring mit ihr herum zu machen. Da war besonders der Alburger Galli, der einzige Sohn von einem der reichsten Bauern in der ganzen Gegend, von denen ihrer Vier einen Tisch brauchen, wenn sie in’s Wirthshaus kommen – ein saubrer, ordentlicher und quanter Bursch – der ist ihr auf Schritt und Tritt nachgegangen und hat gemeint, er will’s zwingen, daß er die Meigl davon reißt! Einmal – es war im Auswärts, Sankt Andreas-Tag … und hat gerad’ angefangen, aber (schneefrei) zu werden auf den Feldern, da ist eine Hochzeit gewesen in der Nachbarschaft; die Meigl war mit unter den Kranzeljungfern, und ich war auch hingangen auf den Nachmittag. Der Alburger Galli war mit dem Bräutigam gefreund’t und hat auch nit gefehlt. Er ist immerfort herum gewesen um die Meigl, und hat mit ihr getanzt und wollt’s nit leiden, daß ihr ein Andrer in die Nähe kommen sollt’. Er mag’s wohl gemerkt haben, wie viel’s geschlagen hat mit mir, und wie er einmal wieder vorbei ist an mir, hat er mir wie unversehens einen Stoß versetzt, daß ich fast über und über gefallen bin, und haben die Burschen alle zu lachen angefangen, in der ganzen Runden herum. Da ist es mir völlig schwarz worden vor den Augen und in Einer Wuth bin ich, auf den Galli hin und hab’ ihn beim Hals gepackt und an die Wand gedrückt, daß er sich nit mehr rühren und schier nimmer hat schnaufen können. Die Leut’ sind hinzug’sprungen und haben uns auseinander reißen wollen, aber ich war zu stark und zu zornig und ich hätt’ ihn erwürgt, denn er ist schon blau geworden im Gesicht … auf einmal – so drängt sich die Meigl zu uns hin, faßt mich am Arm mit sagt: „Laß los, Korby … mir zu Lieb’ laß los …“ Da ist’s gewesen, als wenn meine Finger auf einmal alle Kraft verloren hätten – ich hab’ den Kerl losgelassen, und wie er weggetorkelt ist von mir, hab’ ich ihm nachg’rufen … „Geh nur – wir treffen doch schon noch zusammen, daß Du an mich denkst!“ Ich hab’ selbst nit recht gewußt, was ich sag’ – aber das Blut ist mir so siedig heiß in den Kopf gestiegen, daß ich hinaus bin in’s Freie und hab’ frische Luft schöpfen und mich abkühlen wollen unter denen Lindenbäum im Wirthsgarten, an denen just die ersten Blätteln auf'brochen sind … Und es ist nit lang ang’standen, so kommt die Meigl mit ein paar Cameradinnen auch herunter, als wie zufällig … stellt sich zu mir hin .. giebt mir die Hand … und dankt mir, daß ich ihr gefolgt und auf ihr Abbieten so viel ’geben hab’ … und – und … Aber was soll ich Ihnen all das dumme Zeug erzählen, das Einem in dem Alter im Herz’ und im Kopf’ umgeht und das man so wenig sollt’ aufkommen lassen, wie das Unkraut im Korn … Es ist eben zum Reden ’kommen unter uns, die Meigl hat mir g’standen, daß sie mich lieber hat als alle Andern, und wenn’s mir auch so wär’ – wollt’ sie mit dem Vetter reden, daß er ein Paar aus uns machen und uns den Hof übergeben sollt’ …“

Der Erzählende hielt inne; wider Willen schien er einen Augenblick an dem Jugendbilde zu hangen, das die Erinnerung vor ihm aufrollte. Dann schüttelte er heftig mit dem Kopfe, als wenn er sich von einem lästigen Einflüsse befreien wollte, und fuhr fort:

„Es war eine kurze Freud’ dazumal – aber mir ist’s doch gewesen, als wenn der ganze Himmel offen wär’ über mir. Ich bin in lauterer Glückseligkeit gar nit mehr zurück auf den Tanzboden, sondern bin heim und hab’ die einsamsten Weg’ gemacht, nur daß ich recht allein hab’ sein können mit meinen Gedanken. Die Leut’, die mir begegnet sind, die sind mir ordentlich zuwider gewesen – und ich bin ihnen ausgewichen, und wie ich einmal eine ganze Schaar bei einander gesehen hab’, die mir zug’rufen hat und zugewinkt, da bin ich davon gelaufen, in den nahen Wald hinein. Da ist mir dann leichter ’worden um’s Herz, und an einem alten Bildstöckl am Weg hab’ ich mich hingekniet und hab’ zu beten ang’fangen … die alte Ahn’l ist mir eingefallen mit ihrem „Bet’, Korby, bet“ - und so hab’ ich dem Herrgott gedankt, daß er’s so gut vorhat mit mir … Auf einmal springen von allen Seiten Burschen und Männer heraus aus dem Gebüsch und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_482.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)