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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein tiefer Blick in die verschwimmenden Augen – eine innige Umarmung – ein rascher glühender Kuß – dann schritt zur einen Seite Apostel Jakobus, zur andern Königin Basthi. die Verstoßene, in die Welt hinaus.



3.

Die Vorgänge auf dem Durnerhofe hatten trotz aller Vorsicht und Zurückhaltung Vesi’s und des Wachtmeisters dennoch den Weg in die Oeffentlichkeit gefunden und machten nun mit den abenteuerlichsten Zuthaten und Ausschmückungen die Runde in den Kunkelstuben und an den Wirthstischen des Dorfes. Dazu kamen noch allerlei sonderbare Nachrichten über das Leben und Treiben, das der Holzgraf nach der Vereinsamung seines Hauses begonnen hatte. Dem anfänglichen Gerede, daß er das Bauernleben ganz aufgeben, sich auf den Holzhandel verlegen und nach München ziehen wolle, um in der Residenz seinen Reichthum glänzen zu lassen, war bald eine andere Mittheilung gefolgt. Vesi hatte in der Stadt einen Platz gefunden, das war Grund genug für den Holzgrafen, mindestens den ersten Theil dieses Planes aufzugeben und ein, wenn auch nur zufälliges Zusammentreffen mir seiner Tochter zu vermeiden. Desto eifriger ließ er sich die Aufführung des zweiten Theils angelegen sein und suchte jede Gelegenheit auf, seinen Reichthum zu zeigen und das Geld nach Sinn und Ausdrucksweise der Bevölkerung zum Fenster hinaus zu werfen. Nirgends in der ganzen Umgegend wurde eine Kirchweihe begangen, eine Hochzeit gefeiert oder irgend ein Tanz gehalten, ohne daß das Gespann des Holzgrafen erschienen wäre. mit einem prachtvollen Trottelgeschirre von schwarzem Glanzleder, das er erst um schweres Geld angeschafft hatte und das die Bewunderung aller Kenner und Roßtäuscher war. Aber auch ohne solchen besondern Anlaß fand er sich bald da, bald dort in einem Wirthshause ein und ließ sieden und braten und Wein und Bier und Kaffee herbeischaffen, und regalirte und tractirte, wer Lust hatte mitzuhaben. Natürlich fehlte es so wenig als anderswo an arbeitsscheuen und genußlustigen Leuten, welchen solche Gelegenheiten, wohlfeil etwas mitzumachen, höchst willkommen waren, nur so hatte der Holzgraf bald ein wüstes und meist übel berufenes Gefolge um sich, das ihn begleitete oder sich anscheinend zufällig immer da einfand, wo er erwartet werden durfte. Es waren ein paar Bauern, die über’m Handel mit Vieh und Getreide die schlichte landmännische Beschäftigung verlernt und die üblen Gewohnheiten des halb städtischen Treibens noch leichter erlernt hatten; einige ledige Burschen, welche der Arbeit den Müßiggang und der strengen häuslichen Ordnung die lockere Zucht des Wirthshauses vorzogen. Tage lang saßen sie mit dem Holzgrafen um den Bierkrug oder die Weinflasche zusammen, bald zechend und jubilirend, bald mit Karten oder Würfeln oder auf der Kegelbahn bemüht, möglichst viele von den Kronthalern an sich zu bringen, welche dem verschwenderischen Holzgrafen buchstäblich aus der Tasche fielen.

Diesem gefiel die Art und Weise, wie dies Gelichter sich an ihn drängte und sich gegen ihn benahm; es lag darin eine Gattung von Auszeichnung und Ehrerbietung, wornach er immer mehr verlangte, je mehr er, wenn auch unklar und uneingestanden, fühlen mochte, daß er des Einen wie des Andern stündlich unwürdiger wurde. Aus dem gleichen Grunde war es ihm auch am behaglichsten in den Wirthshäusern, denn die Besitzer derselben hatten allen Respect vor einem Gaste, der gerate das, was ihnen das Liebste war, so gering achtete, daß er es ihnen ohne Mühe zukommen ließ – sein Geld.

Der Holzgraf hatte auch nicht Unrecht, wenn er grollend wahrzunehmen glaubte, daß sein Ansehen im Volke nicht im Steigen begriffen war. Das Volk hat eine gewisse heilige Scheu vor dem Reichthume und vor dem, der ihn besitzt, aber diese Scheu ist durch den richtigen Gebrauch desselben bedingt und schlägt, wo dieser fehlt, leicht in’s Lächerliche oder in Verachtung oder geradezu in offenen Haß um. Sie Stimmung gegen den Holzgrafen schwankte zwischen beiden letztern Regungen; war man ihm zuvor seines Hochmuths wegen nicht eben freundlich gesinnt gewesen, so zürnte man ihm jetzt, weil der Hochmuth zur Härte gegen Weib und Tochter geworden war; man zuckte die Achseln, wenn man seine sinnlose Verschwendung und Schwelgerei sah – und es bedurfte nur noch eines Anstoßes, um den Haß hervorzubringen.

An einem solchen ließ es der übermüthige Bauer auch nicht fehlen. War er schon früher von allen Gottesdiensten und von Allem, was sich auf die Kirche bezog, ferne geblieben, so hatte er sich doch den Schein gegeben, als wolle er sein Thun durch irgend einen Vorwand bemänteln, als scheue er sich, die frömmere Anschauung der Bevölkerung zu verletzen. Jetzt that er gerade das Gegentheil und fuhr dem gläubigen Landvolk offenbar und mit herausfordernder Absichtlichkeit durch den Sinn. Er ließ keine Gelegenheit unbenützt, seine Geringschätzung gegen Alles, was Kirche, Gebet und Glauben betraf, an den Tag zu legen, und wenn ein betender Zug von Wallfahrern durch ein rücksichtslos daher tobendes Gespann auseinander gesprengt wurde, oder wenn irgendwo das Wort des Predigers für die Andächtigen vor Rädergerassel und Peitschenknallen kaum mehr verständlich war, wußte man ohne Frage, daß der wilde Holzgraf seinen Unfug getrieben habe.

Es war daran, daß die Behörden nicht mehr umhin konnten, einem so seltsamen als störenden Betragen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, und in gleichem Maße, als dies geschah, zog sich die Bevölkerung, wo er mit ihr in Berührung kam, von ihm zurück. Namentlich war dies der Fall bei den Bewohnern und Bürgern von Ammergau; allein je unlieber sie es zu bemerken schienen, wenn der Holzgraf sich in das Herrenstübchen drängte, wo sie sich zum Abendtrunk zusammenfanden, je mehr schien er es darauf anzulegen, sich zu ihnen zu drängen.

So war mehr als ein halbes Jahr vorübergegangen; der strenge Winter war zu Ende und der lustige Auswärts begann. Er war aber diesmal nicht so lustig wie sonst, wo er den fröhlichen Vorläufer des Frühlings machte. Diesmal kamen mit den Schwalben und Stahren allerlei andere trübselige Vorboten und zeigten, daß die Besorgnisse des invaliden Wachtmeisters nicht ungegründet gewesen waren. Man erzählte sich offen und heimlich, Kaiser Napoleon habe es auf Rußland abgesehen und wolle mit einer Armee, wie die Welt noch keine gesehen, in dasselbe eindringen. Daß etwas Wahres an der Sache sein müsse, bewiesen die Rüstungen in Baiern, das, damals noch an den Zwingherrn gebunden, Tausende und Tausende seiner kräftigsten Söhne zu dessen Heer stellen mußte. Auch aus Oberammergau hatte eine beträchtliche Schaar junger Burschen fortgemußt, und in manchem Hause waren darüber die Gesichter von Kummer bleich und die Augen roth geworden vom Weinen.

Eines Abends saßen die angesehenern Bürger des Dorfs in der obern Stube des Sternwirths beisammen, wo der Erker vorspringt und die Aussicht nach drei Seiten frei giebt. Es ging ein Frühlingsregen nieder, die Tropfen schlugen an die Scheiben, manchmal rüttelte ein Windstoß an den Fenstern und ließ den blechernen Stern knarren, der draußen von einem Kranze umgeben hin und wieder schaukelte. Desto heimlicher saß es sich in der wohlverwahrten Stube und desto traulicher ließ es sich plaudern. wie der furchtbare Komet, welcher in dem vorigen heißen Sommer so unheimlich niedergeleuchtet habe, doch nicht so ohne Bedeutung gewesen sei und wohl den neuen Krieg verkündigt haben könne, der furchtbarer zu werden drohte, als alle vorher.

Im Gespräche war eine kleine Unterbrechung eingetreten, denn das abendliche Gebetläuten scholl von der Kirche durch Sturm und Dunkel herüber, und die ganze Versammlung saß schweigend, mit entblößten Häuptern mit gefalteten Händen leise das Ave sprechend. Nur an einem Seitentische, etwas abgesondert von den Uebrigen saß der Holzgraf, den Hut auf dem Kopfe und mit absichtlicher Theilnahmslosigkeit vor sich hinstarrend.

Das „Gelobt sei Jesus Christus“ des Wirths mit dem üblichen „Guten Abend, meine Herren“ unterbrach die feierliche Pause und das Gespräch nahm wieder seinen vorigen traulichen Gang. Von dem abweichenden Benehmen Korby’s nahm Niemand Notiz, obwohl hie und da Einer dem Andern bezeichnend zunickte oder mit den Augen winkte.

„Ja, das muß wahr sein,“ sagte der Förster, ein rothes Gesicht mit ein Paar falkenschnellen Augen, indem er mit dem Halbeglas an das des Wachtmeisters anstieß, „die Reime versteh’n Sie zu drechseln, trotz Pater Ottmar in der Passion! Die Grabschrift auf den alten Ettaler Klosterrichter ist ein wahres Meisterstück, und wenn ich vor Ihnen abfahre, werd’ ich mir die Grabschrift auch bei Ihnen bestellen. Sollte mich wundern. wenn Sie nicht für sich selbst auch schon eine ausstudirt hätten.“

„Das hab’ ich gerade nicht,“ erwiderte der Wachtmeister, „wenn mir auch hie und da schon der Gedanke gekommen ist. Was braucht’s bei einem invaliden Soldaten viel Ausstudiren?

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_466.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)