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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Du mußt Dich darüber nit ärgern,“ begütigte die Bäuerin, „der Mann muß nit nüchtern gewesen sein … aber wie bist Du denn mit ihm beim Wein zusammengekommen? Bist Du denn nicht in der Kirche gewesen, im Seelengottesdienst?“

„Ich hab’ ein dringendes Geschäft gehabt, drüben in Unterammergau,“ war die Antwort, „und wie ich zurückgekommen bin, war’s schon zu spät …“ Dabei hatte er sich mit dem Gesichte gegen die Wand gewendet und nahm den dort hängenden Doppelstutzen mit Jagdranzen herab.

Die Bäuerin sah ihm entsetzt, der Wachtmeister befremdet zu. „Also Du bist nit in der Kirche gewesen!“ jammerte sie. „Und was hast jetzt mit dem Gewehr im Sinn? Wirst doch nit auf die Jagd gehn wollen an dem Tag, wo sie Dein’ einzigen Sohn in’s Grab gesegnet haben? Aber freilich, warum soll’st Du nicht! Hast nit einmal Zeit gefunden zu ein’ armseligen Vaterunser für Dein eignes Kind!“

„Mach’ mir den Kopf nit warm,“ entgegnete der Bauer, das Gewehrschloß putzend und prüfend. „Ich muß mir’s aus dem Sinn schlagen, und wenn wir uns alle Zwei hinter den Tisch hinsetzen und flennen, machen wir den Buben doch nimmer lebendig.“

„Wenn Ihr mir’s nicht übel nehmen wollt, daß ich ein Wort darein rede,“ begann der Wachtmeister, „so möcht’ ich wohl rathen, das Jagdgehen heute bleiben zu lassen. Es ist der Leute wegen, und ein vernünftiger Mann wie Ihr, Durnerbauer, giebt den müßigen Zungen nicht gern etwas zu thun.“

Der Bauer hatte die Ladung der beiden Läufe untersucht; jetzt stieß er den Ladestock darauf und ließ ihn sich in die Hände springen. „Na, weil der Herr Wachtmeister so meint,“ sagte er dann mit einem spöttischen Seitenblick auf denselben, „und weil er doch ein so guter Freund von uns ist, will ich thun, was er haben will, und will daheim bleiben. Dann will ich aber auch gleich Ordnung machen in meinem Haus, und da ist es mir gerade recht, daß ein Zeug’ und Beiständer dabei ist, wie der Herr Wachtmeister!“

Das Gewehr in den Händen behaltend, trat er an die Thüre und rief laut nach Vesi. Nach einigen Secunden trat sie ein; sie war unmittelbar nach der Ankunft in ihre Kammer gegangen, hatte den Trauerstaat abgelegt und kam nun wieder in der gewöhnlichen Kleidung, wie man sie Tags über und zur Arbeit trägt.

„Seit Ihr wieder daheim seid, Du und die Mutter,“ begann der Bauer, „geht Ihr alle Beide herum, als wie verlassen und verloren; das vertrag’ ich nit, das muß anders werden …“

„Du wirst nit klagen können, Vater,“ sagte Vesi, „daß etwas im Haus und im Feld nit richtig geschieht. Ich thu’ meine Schuldigkeit …“

„Schuldigkeit?“ höhnte der Bauer, „die thut mir jede Dienstmagd für Kost und Lohn – dazu brauch’ ich keine Tochter… aber die schiefen, verdrossenen Gesichter sind mir zuwider, und ich will ein End’ machen, soll’s biegen oder brechen!… Ich hab’ nichts mehr zu Dir gesagt, Vesi, wegen Deiner dummen Bekanntschaft; ich hab’ gemeint, Du sollst selber zur Einsicht kommen – jetzt ist die Sach’ anders ’worden, jetzt hab’ ich kein’ Sohn mehr, dem ich den Hof geben könnt’ – jetzt muß es auch mit Dir anders werden! Kurz und gut also – ich hab’ das Bauernleben satt, ich zieh’ nach München in die Stadt und will nur noch meinen Holzhandel treiben; drum will ich Dir den Durnerhof übergeben, Vesi, und hab’ Dir einen prächtigen Hochzeiter ausgesucht …“

Vesi sah schweigend vor sich hin. „Nun,“ schrie er, „hast Du gar keine Antwort für mich?“

„Was soll ich sagen?“ erwiderte das Mädchen. „Meine Antwort kennst Du lang’! – Du kannst und sollst nit sagen, daß ich ungehorsam bin … ich hab’ Dir den Willen gethan und hab’ seit dem letzten Abend in Ammergau mit dem Domini kein Wort mehr gered’t – ich hab’ ihn mit keinem Aug’ mehr gesehn, als wenn ich’s nit hab’ vermeiden können, daß er mir in den Weg ’kommen ist – so will ich’s auch für die Zukunft machen, ich will nicht verlangen, daß Du mir den Domini geben sollst – aber das muß Dir auch genug sein, Vater, und Du mußt nit von mir verlangen, daß ich ihn vergessen und mein Wort brechen sollt’ …“

„So?“ sagte der Bauer, vor innerer Erregung bebend. „Du willst also den Durnerhof gar nicht? Und was soll ich denn damit anfangen, meinst?“

„Ich mein’ Du sollst ihn behalten, Vater, und sollst wirthschaften wie bis jetzt, nur sollst lieber den leidigen Holzhandel aufgeben! – Wenn Du aber bardu (partout) in die Stadt willst, so wirst Du wohl einen ordentlichen Käufer finden – ich mein’ es ist doch kein rechter Segen mehr auf dem Durnerhof!“

„Wo soll der Segen herkommen, wenn man mit solchen Kindern geschlagen ist!“

„O Vater, Du solltest das nit sagen – von mir ist eh’ nit die Red’ – aber Du solltest es um den Martin nit sagen, der noch kaum eingesegnet ist in seinem Grab … Was willst denn noch, Vater? Du hast den Martin verstoßen wie den Verlornen Sohn … Du hast mir die Herzblätter aus’brochen aus mein’ jungen Leben, daß die Freud’ und die Lust dahin ist für alle Zeit – Vater, was willst denn noch?“

Der Bauer saß unbeweglich, er war todtenbleich bis in die Lippen hinein. „Ich hab’ den Burschen verstoßen?“ würgte er heraus. „Hat er nit die Hand aufgehoben gegen seinen Vater?“

„Vater,“ entgegnete Vesi, indem sie ihn fest anblickte, „ich bin damals noch ein kleines halbgewachsenes Mädel gewesen, aber ich weiß noch Alles, als wenn’s heut gewesen wäre! Du hast ihn einen Dieb geheißen, Vater, weil er dem abgebrannten Niedergütler ein Schäffel Korn gegeben hat ohne Dein Wissen… da – es ist wahr – da hat er gethan, als wenn er die Hand aufheben wollt’ gegen Dich; aber er hat’s nit vollführt – er hat die Hand wieder sinken lassen im Augenblick und ist fort – und ist seit der Stund mit keinem Fuß mehr in sein Elternhaus gekommen!“

„O Korby, Korby,“ jammerte die Bäuerin, „giebt’s denn gar kein Mittel, Dein hartes Herz weich zu machen? …“

„Nein, Mutter, nein,“ rief Vesi, „ich hab’s heut gesehn, wie der Vater nit einmal heut hinein ist in die Kirch’ – wer sein Herz nit einmal vor unserm lieben Herrgott demüthigen will, der kann auch mit keinem Menschen Erbarmniß haben!“

Der Bauer bebte vor Wuth. „So was unterstehst Du Dich Deinem Vater zu sagen?“ keuchte er mühsam.

„Ja, Vater,“ erwiderte Vesi, indem sie ruhig aufstand und sich fortzugehen anschickte. „Ich will geh’n, denn auf die Weis’ kommen wir nit in’s Reine – aber ich untersteh’ mich doch, Dir das zu sagen – von Deinem Kind, das Dich gern hat, wenn Du’s auch nicht glaubst, kann’s Dich am wenigsten kränken … Ich sag’s noch einmal, ich bitt’ Dich, Vater – bet’! Zwing Dich, daß Du beten kannst, und wenn’s nur ein einzig Vaterunuser ist … dann wollen wir weiter reden!“

„Beten soll ich?“ brüllte der Bauer losbrechend. „Bet’ Du selber Dein Stoßgebet, Rabenkind von einer Tochter … das ist Dein Letztes!“

Außer sich vor Zorn fuhr er mit dem Gewehre empor und spannte den Hahn. Der Wachtmeister, welcher ruhig seitwärts gestanden und längst einen solchen Ausbruch befürchtet haben mochte, fiel ihm in den Arm. Von der andern Seite hängte sich die Bäuerin an ihn, welche schon mehr einer Todten als einer Lebenden glich.

„Um Gotteswillen, Korby, was willst Du thun?“ kreischte sie voll Entsetzen. „Willst Du zum Mörder werden an Deinem eigenen Kind?“

Der Bauer war anzusehen wie ein gefangenes Raubthier, das sich wuthschnaubend seiner Feinde zu entledigen sucht; der Schaum trat ihm vor den Mund. Vesi allein erwartete ruhig und festen Blicks, was kommen werde.

„Denk’ an den Andreastag!“ rief die Bäuerin wieder und ängstlicher als zuvor.

„Soll ich mich mein’ Lebtag von Euch meistern lassen, wie ein Schulbub?“ tobte der Bauer. In der nächsten Secunde hatte er mit einem riesenkräftigen Ruck das Weib von sich geschleudert und den Wachtmeister von sich gedrängt … und der Schuß dröhnte durch das stille Haus. – –

Ein Schrei folgte ihm; dann war tiefes Schweigen.

Vesi stand aufrecht und unverletzt; im entscheidenden Momente hatte der Wachtmeister den Gewehrlauf in die Höhe geschlagen, daß der Schuß in die Decke fuhr.

Die Bäuerin lag am Boden hingestreckt, einige Blutstropfen auf den bläulichen Lippen – die ungeheuere Aufregung hatte das zerstörte schwache Leben mit einem Ruck entwurzelt. Sie war todt.

Vesi sah es zuerst; mit einem wilden Schrei stürzte sie neben der Leiche auf die Kniee, warf sich mit Küssen und zärtlicken Worten darüber hin, und die Thränen, die ihr schon so lange in den heißen, trockenen Augen gebrannt hatten, strömten unaufhaltsam hervor.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_463.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)