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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

17 nicht mehr als 16 Kreuzer verzehrt haben,“ und von Ulm unter dem 17. Januar: „Hierbei melde in größter Wehmut, daß dieser Tage 260 arme, vertriebene Salzburger, worunter etliche 20 Weibspersonen waren, allhier ankamen, sehr elend bekleidet. Sie konnten ohne Mitleiden nicht angesehen werden. Man hat viel junge Leute, auch schwangere Frauen, ingleichen Krumme und Lahme, wie nicht weniger verschiedene angesessene Leute, die jedoch nicht viel Vermögen besessen, mit Gewalt, Schlägen und Stößen aus ihrer Arbeit und von ihren Verrichtungen weggerissen und wie das unvernünftige Vieh fortgetrieben, ohne daß ihnen erlaubt gewesen, etwas Kleider zur nöthigen Bedeckung des halbnackten Leibes mitzunehmen, oder nur eine wenige Zehrung. Bei 800 dergleichen arme Protestanten haben also ohne Verzug aus dem Lande gehen müssen, sind anbei von den Soldaten, welche auf selbige gehauen, gestochen und geschossen, auch Granaten unter sie geworfen, erbärmlich tractiret, dennoch auf den Grenzen wiederum angehalten und in Scheunen und Ställe eingesperrt worden, in welchen sie noch bei 16 Tagen aushalten und fast erkranken müssen. Ich kann mit Worten nicht beschreiben, mit was vor Mitleiden diese armen dürftigen Leute hier aufgenommen worden.“

Aber schmerzlicher noch, als Regen und Schnee, als Frost und Kälte, welche ihren Leib erstarren ließ, war so manchem Familienvater der Gedanke an die daheimgebliebenen Kinder. Waren auch manche Kinder beim Auswanderungszuge, so hatte man doch, wie bemerkt, in unmenschlicher Rücksichtslosigkeit manchem Vater das unmündige Kind vorenthalten, manche Eltern zum Lande hinausgetrieben, die Kinder dagegen in Klöster gesteckt und den Eltern nicht einmal erlaubt, von ihnen Abschied zu nehmen. Als z. B. Hans Hofer seine Curandin Anna Wolcher, ein Mädchen von vierzehn Jahren, mitnehmen wollte und sie schon auf seinem Wagen hatte, riß sie der Gerichtsdiener vom Wagen herunter und brachte sie zum Stadtrichter, und als zu diesem Hofer’s Sohn kam, um das Mädchen abzuholen, war ein Hieb mit dem spanischen Rohr in das Gesicht die ganze Antwort. Glücklicher waren die Eltern Balthasar Brandstädter’s in Goldegg, welcher eine gewisse Art Berühmtheit erlangte. Als der Vater für sich, für sein Weib und den zehnjährigen Balthasar einen Paß zur Auswanderung begehrte, riß man das Kind mit Gewalt vom Vater weg und sperrte es in eine drei Stock hoch gelegene Kammer. Vater und Mutter baten unter Thränen, daß man ihnen doch ihren Sohn verabfolgen lassen möge, wurden aber mit unbarmherzigen Schlägen fortgetrieben, und dem Knaben trotz seines Weinens, seines Schreiens die Kammer nicht geöffnet. Da sprang er aus dem hohen Kammerfenster herab auf die Straße, kam wohlbehalten unten an und eilte den Eltern nach, wanderte jedoch aus Vorsicht auf Umwegen allein aus Salzburg fort und allein durch Baiern, bis er sich mit seinen Eltern wieder vereinigen konnte. Ebenso flüchteten manche andere zurückgehaltene Kinder ihren Eltern nach. Noch auf dem Wege mussten sie von den Soldaten rohe Mißhandlungen erdulden und wurden von fanatischen Katholiken verspottet und geschmäht. Dagegen wurden sie von den Evangelischen mit offnen Armen empfangen.

In einigen baierischen Städten übertheuerte man ihnen nicht blos Fuhren und nothdürftige Kost und gab ihnen kaum gegen doppelte Zahlung ein elendes Nachtquartier, man suchte ihnen auch ihre Kinder des Nachts heimlich wegzunehmen, indem man ungescheut sagte, man müsse die unschuldigen Kinder zu retten suchen, wenn auch die Alten zum Teufel führen. In Augsburg ließ der katholische Rath vor den Salzburgern die Stadtthore schließen, in Donanwörth rief unter großem Lärm und Geschrei der Pöbel den Unglücklichen nach: „Die lutherischen Hunde wären werth, daß man sie auf dem Schellenberge verbrenne und an den Galgen hänge.“ Die Pfaffen in Erfurt predigten fleißig von „lutherischen Hunden“; der Pfaffe in Kleinnörtlingen ging noch weiter, er verbot seinen Zuhörern, diesen Leuten einen Trunk Wasser zu reichen, noch ihnen das geringste Gute zu erzeigen, da sie nur Ketzer und Hunde seien, und fand so gehorsame Pfarrkinder, daß sie – ähnlich wie im polnischen Städtchen Behrend, wo die Einwohner den Salzburgern keinen Bissen Brod geben wollten und sogar die Eimer von den Brunnen nahmen – den armen Vertriebenen nicht einmal für Geld einen Schluck Wasser verabreichten, bis sich die Juden ihrer erbarmten, sie zu ihren Brunnen führten, ihnen Gefäße reichten, um für sich und ihre Pferde Wasser zu schöpfen, und sie mit Brod, Bier und Geld beschenkten. Ja, als ein Haufen Salzburger Auswanderer zu Würzburg auf dem Main unter der großen steinernen Brücke wegfuhr, hatte sich auf letzterer ein fanatischer Volkshaufe versammelt und ließ mit den Schimpfworten: „Ihr ketzerischen Hunde, ihr verdammten Leute, Geschlecht des Lucifer!“ eine Menge Steine auf sie herunterfallen, von denen jedoch zum Glück Niemand weiter als ein Knabe verletzt wurde. Und wie die Geistlichen in Salzburg den Evangelischen nicht zugelassen hatten, ihre Todten auf den Kirchhöfen zu bestatten, wie dort beim Tode eines jungen Bauers der Pfaffe die empörende Erklärung abgegeben hatte: „man solle den Todten nur in den Mist hinein schmeißen, daß ihn die Schweine fräßen; eines besseren Begräbnisses sei er nicht würdig, denn er sei schon mit Leib und Seele zum Teufel in die Hölle gefahren und habe den Andern die Hölle aufgesperrt, daß sie ihm nachfolgen könnten;“ und wie sich daher die Evangelischen genöthigt gesehen hatten, ihre Todten in den Gärten zu begraben: so verweigerte auch während der Auswanderung der Fanatismus an einigen katholischen Orten den Salzburgern ihre unterwegs verschiedenen Brüter auf eine christliche Weise zu bestatten, und nöthigte sie, dieselben auf dem Wege einzuscharren.

Doch – zur Ehre jener Zeit und des deutschen Volkes sei es gesagt – jene Ausgeburten fanatischen Glaubenseifers waren nur vereinzelte Ausnahmen, zahlreiche Katholiken zeigten dagegen theilnehmendes, menschliches Mitgefühl. Die schlichte Einfalt, die Biederkeit und Glaubensfestigkeit der unglücklichen Vertriebenen mußten imponiren, wie ein damaliger Bericht aus Augsburg meldet: „Der ungemeine Eifer, Begierde und Liebe dieser Leute zu den evangelischen Wahrheiten ist nicht zu beschreiben. Und ohngeachtet die wenigsten unter ihnen weder lesen noch schreiben können, so ist billig zu verwundern, daß sie dennoch einen völligen Begriff von der evangelischen Religion besitzen. In weltlichen Dingen scheinen sie ganz einfältig, sind mehrentheils lediges Standes und der harten Bauerarbeit gewohnt. Alles das Ihrige haben sie gutwillig verlassen, vertrauen ganz ungemein der göttlichen Vorsorge, und ist ihre größte Lust singen, beten und arbeiten. Sie leben ohne Bekümmerniß, sind gutes Muths und voller Freudigkeit, und lassen sich leiten wie die Lämmer.“

So erbarmten sich ihrer auch unter den Katholiken menschlich fühlende Herzen, und selbst arme Soldaten katholischen Glaubens schenkten ihnen in tiefem Mitleid und in lauter Entrüstung über den Salzburger Tyrannen den ganzen empfangenen Sold. Die Juden und namentlich die Judenfrauen, eingedenk der schon von Moses gebotenen Pflichten gegen Fremde und Wanderer, blieben in edler Mildthätigkeit nicht zurück. Und von den Evangelischen wurden die armen Salzburger Glaubensgenossen mit offenen Armen empfangen. Wer wollte sie alle verzeichnen, die Beweise der Menschlichkeit und Liebe, welche die Vertriebenen überall erhielten?! In den süddeutschen Städten, in den thüringischen und sächsischen Städten, in Halberstadt, von dem unter den Emigranten ein alter Mann mit den naiven Worten Abschied nahm: „Ich werde nun bald sterben, will mich aber allemal freuen, so oft ich im Himmel einen Halberstädter antreffe,“ – in Potsdam, wo der preußische König ihnen zurief: „Ihr sollt es gut haben, Kinder! Ihr sollt es gut bei mir haben,“ – in Berlin, in Königsberg und andern nördlichen Orten, überall dieselbe warme Sympathie, derselbe mildthätige Eifer für die Salzburger Auswanderer; den Preis von allen aber trug Leipzig davon, wo man sich um die Emigranten und deren Verpflegung förmlich riß, wo man von den höchsten bis zu den niedersten Ständen, ja selbst Knecht und Magd, Handwerksbursche und Soldat, Tagelöhner und Bettler sich beeiferten, die Unglücklichen zu beschenken, ja sogar arme Tagelöhner etliche Groschen borgten, nur um sie den Salzburgern geben zu können, und wo ihnen auf diese Weise an Kleidern, Waaren und baarer Unterstützung mehr als 20,000 Thaler zugeflossen sein sollen.

Wenn man sie kommen sah in ihren ärmlichen Kleidern, die Bibeln und die kleinen Kinder tragend, hinter dem langen Zuge her das Gepäck auf 70 und mehr Wagen, worauf zugleich Alte, Kranke, Blinde, Lahme, Krüppel, hochschwangere Weiber, Kindbetterinnen und Kinder lagen, wurde man bewegt, ja zu Thränen gerührt, – waren es doch Glaubensgenossen, die um ihres Glaubens willen alles erduldet, alles verlassen hatten. Man küßte die Kinder, die in ihrer unschuldigen Unbefangenheit die Größe ihres Unglücks nicht verstanden, und führte die Greise und Schwachen bei der Hand. Man geleitete sie in feierlichem Zuge unter Glockengeläute und Absingung jener frommen Lieder in die Stadt, von denen sie schon in Salzburg bei ihren heimlichen Andachtsübungen

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