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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

herausgeflogen sein, bis es endlich zerrissen und mit Füßen getreten worden; auf dem Blatte aber – so erzählten die Auswanderer – hätten die Worte gestanden: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.

Den Vorschlag des Reichstags, eine Vocalcommission nach Salzburg zu schicken, verwarf der Kaiser, dagegen versprach der König von Preußen Friedrich Wilhelm I. den Salzburgischen Protestanten, von ihnen, wenn sie auswandern wollten, einige Tausend in sein Land aufzunehmen. Wie gern wären die Unglücklichen in ihrer Heimath, in ihren lieben Thälern und Bergen und in der gewohnten Häuslichkeit und Lebensweise geblieben, wenn man nur Religionsfreiheit gewährt hätte! aber wo hätte der blinde Fanatismus jemals das Wort, den Begriff Religionsfreiheit gekannt und verstanden? Am letzten October 1731 erließ der Erzbischof an alle Evangelische den Befehl, sein Land zu verlassen, und zwar die ganz Unbemittelten schon binnen acht Tagen, die Angesessenen binnen eines Monats, die mehr Bemittelten binnen zwei und drei Monaten. Wohl war im westphälischen Frieden die Zeit, welche den Emigranten zu gewähren sei, auf drei Jahre bestimmt, der Winter war vor der Thüre, schon herrschte grimmige Kälte, und so meinten die Protestanten, man werde sie doch nicht jetzt fortjagen, sondern wenigstens den Frühling erwarten; aber was kümmerten den Erzbischof und seine Räthe die Reichsgesetze? was der westphälische Religionsfriede, dessen Garantien im Laufe von fast hundert Jahren lange schon in Vergessenheit gerathen waren und von der plumpen, langsamen und mehr und mehr versallenren Reichsverwaltung nimmermehr thätig geschützt wurden? was kümmerte ihn, der in den Armen der Gräfin Arco bei Spiel und Trunk schwelgte, das Elend der Unglücklichen? waren es doch „verfluchte Ketzer“, die jedes Mitleides unwürdig waren! So wurden denn viele Evangelische plötzlich von Dragonern überfallen, vom Felde, aus dem Walde oder wo sie sich sonst befanden, unter Schmähungen fortgejagt und von ihren Weibern gerissen, von ihren Kindern, welche zum Theil nachher den Jesuiten zum Unterricht übergeben wurden. Man hörte nichts, als das Commando-Wort: „fort, fort, fort!“ Niemandem wurde vergönnt, etwas aus seinem Hause zu holen; nur was ein jeder eben am Leibe trug und bei sich hatte, durfte er mit nehmen. Die Männer wußten nicht, wo ihre Weiber geblieben waren, und diese nicht, wo sie jene aufsuchen sollten. So schleppte man sie fort nach Stadt Salzburg, dort sollten sie ihre Pässe empfangen und dann ungesäumt das Land verlassen. Mit Recht rügten daher die evangelischen Reichstags-Abgeordneten zu Regensburg und die dänische Regierung in Schreiben an den Salzburger Erzbischof, wie man „die Familien von einander separirt, die Hausväter und die Hausmütter ihrer nothdürftigen Ehehalten beraubt, schwache und der Eltern Obsicht und Vorsorge noch benöthigte, etwa 12 bis 13jährige Kinder von den Eltern in die weite Welt zum Lande hinausgejagt, andere fast wie das Vieh fortgetrieben, ihnen nicht einmal nach Hause zu gehen und ihre Kleider abzuholen gestattet, sie vielmehr bei der rauhesten, härtesten Winterzeit nackt und bloß aus dem Lande gejagt, den freiwillig zu emigriren Entschlossenen aber die Pässe versperrt und immerfort noch mehre in die härtesten Gefängnisse geworfen habe.“

Aber ebensowenig, wie die Erzählungen der Pfaffen von der Grausamkeit und Unbarmberzigkeit aller Lutheraner, waren jene Qualen und Mißbandlungen und die Beraubungen des größten Theils ihres Vermögens im Stande, die Salzburger in ihrem Glauben, ihrem Muthe wankend zu machen. Standhaft verließen die ersten Züge, Kind und Greis, Mann und Weib, von Weihnachten an das Land. Noch einmal blickten sie nach den lieben heimathlichen Bergen, wo sie ihre Kindheit und Tugend verlebt, wo sie Freud und Leid erfahren hatten, riefen ihnen weinend das letzte Lebewohl zu und wanderten, bei der unerbittlichen Strenge eines harten Winters, hinaus in eine ungewisse, unbekannte Ferne.

(Schluß folgt.)




Aus dem Leben Ludwig Devrient’s.
I.

Was den Leipzigern Auerbachs Keller, das war den Berlinern vor einem Menschenalter die Weinstube von Lutter und Wegner; hatte der größte der deutschen Dichter in jenem eine burschikose Trinkscene spielen lassen, so verbrachte der größte Schauspieler der damaligen Zeit in dieser ein heiteres Zecherleben, welches für viele Jahre zum Mittelpunkte für seine Freunde und zum Anziehungspunkte für alle Neugierigen wurde, die den berühmten Mimen nicht nur „auf den Brätern“, wie der Exintendant von Küstner sagen würde, sondern auch beim Glase Wein kennen lernen wollten.

Ludwig Devrient – denn so heißt jener eminente Schauspieler und Trinker, von dem wir reden – hatte im Jahre 1827 bereits den Gipfel seines Ruhmes erstiegen. Zwar spielte er immer noch meisterhaft, zwar brachte er noch einen der großartigsten Charaktere Shakespeares, Richard III., in vollendeter Zeichnung zur Aufführung; aber seine Kraft war gebrochen, sein Lebensmark zerstört. Die folgenden Zeilen, in denen wir dem Leser eine Episode aus Devrient’s Leben vorführen, sollen dazu dienen, eine Charakterzeichnung vervollständigen zu helfen, welche Ludwig Rellstab und Heinrich Smidt bereits angebahnt haben.




„Und ich sage Ihnen, Herr Kammergerichtsrath,“ sprach Devrient mit lallender Zunge in einem Kreise von Männern, welche sich absichtslos in obengenannter Weinstube zusammengefunden hatten, „der Hoffmann[1] war doch ein tüchtiger Mensch! Freilich hatte er sonderbare Schrullen; aber wie der König von Thule keinen süßeren Trost hatte als seinen Becher, so habe ich keinen treueren Freund und Genossen gehabt als meinen lieben Amadeus.“

„Das mag schon wahr sein,“ erwiderte der Kammergerichtsrath; „aber da ich erst nach seinem Tode hier verkehre, so kenne ich Ihren Amadeus leider nicht von dieser vortheilhaften Seite; als College war er uns stets eine verwunderliche Erscheinung.“

„Ja, ja,“ fügte ein bejahrter Arzt hinzu, der trotz seines schneeweißen Hauptes der größte Spaßvogel war, „Hoffmann war unter den Juristen der größte Musiker und unter den Musikern der größte Jurist, der, wenn er in seine musikalische Begeisterung hineingerieth, dem ruhigen Beobachter fast wie ein Wahnsinniger erschien, dem aller sehnsüchtige Schmerz der Liebe, alles Entzücken süßer Träume durch die Seele wogte.“

„Freund, Ihr habt ihn als Hausarzt erst in seinem letzten Lebensjahre kennen gelernt,“ sagte Devrient. „Mir aber hat er vor Eurer Bekanntschaft mit ihm oft gegenübergesessen, gerade an der Stelle, an welcher Ihr jetzt sitzt, und es ist mir oft unheimlich zu Muthe gewesen, wenn in ihm seine fixe Idee aufstieg, daß der Wahnsinn wie ein nach Beute lechzendes Raubthier auf ihn lauere, um ihn plötzlich zu zerfleischen.“

„Es ist unbegreiflich, daß ein Mann, der sich in Königsberg durch seinen gesunden Humor einen Namen gemacht hatte, zu solchem Spleen kommen konnte,“ versetzte der Rath.

„Der rechte Humor fehlte ihm stets, so lange ich ihn kannte,“ bemerkte Devrient; „er nannte denselben auch nie anders als einen Wechselbalg grillenhafter Phantasie.“

„Die Tonkunst dagegen,“ sagte der Arzt, „war ihm ein Engel des Nichts, welcher allein über den bösen Dämon in seiner Brust Gewalt habe, und welcher ihn in seiner Hauskreuzkomödie, die er als Junggesell allein zu spielen hatte, alle Schmerzen irdischer Bedrängniß vergessen mache. Seine Nerven waren oft in einer fürchterlichen Aufregung; er sah Gespenster am hellen Tage, und wenn er um Mitternacht allein nach Haus gehen mußte, hatte er stets Furcht vor Doppelgängern und allerlei bedrohlichem Zeuge, das ihm in den Weg kommen könne. A propos, Devrient, erzählt uns noch einmal die Schnurre, wie Ihr einmal seinen leibhaftigen Doppelgänger gemacht habt; Ihr seid uns schon lange die Erzählung schuldig.“

Devrient blickte im Kreise umher, und da er nur alte bekannte Gesichter sah, fand sein Zartgefühl kein Bedenken, die verlangte Geschichte vorzutragen.

  1. Der bekannte originelle Verfasser der „Phantasiestücke“, „Serapionsbrüder“, „Lebensansichten des Kater Murr“, „Fräulein Scudery“ etc. etc
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_424.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)