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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

hohen Standpunkt in socialer, in religiöser und politischer Hinsicht zu erringen; jene Volks-Verdummung von Seiten eines egoistischen, herrschsüchtigen Klerus, religiöse Intoleranz und Fanatismus im Bunde mit antinationaler, perfider Politik ehrgeiziger und doch so schwacher Regenten und mit der unglückseligen Einmischung außerdeutscher Cabinete in die deutschen Verhältnisse, sie waren es, welche die heillose Verwüstung und Zerrüttung unseres Vaterlandes im siebzehnten Jahrhundert herbeiführten, sie waren es, die noch in der ersten Hälfte des vorigen, des achtzehnten Jahrhunderts in einem der schönsten Länder Süddeutschlands einen Act der Brutalität begingen, welcher in allen übrigen deutschen Gauen, ja auch im Auslande, in der ganzen civilisirten Welt einen Schrei des Entsetzens und das tiefste Mitleid hervorrief.

Ihr alle kennt es, das herrliche Land. Riesige Alpen erheben dort ihr Haupt, mit ewigem Schnee bedeckt, in die Wolken. Sie zeigen alle die großartigen Erscheinungen der Schweizeralpen, die hohen, im Sonnenlicht hell funkelnden und schimmernden Gletscher, die schaurigen, gähnenden Klüfte, die donnernden Schneelawinen; Waldströme brausen schäumend durch Felsen und stürzen sch endlich brüllend in die schwindelnde Tiefe nieder, daß es weithin donnert und das Echo es vielfach wiederhallt. Auf die trefflichen Almen der Berge treibt der Hirt die Heerde, deren harmonischem Geläute der ferne Wanderer mit Vergnügen lauscht. Es weht reine, frische Gebirgsluft. Die Thäler prangen mit üppig grünenden Wiesen und fruchtbarem Getreidelande. Klare Seeen dehnen sich aus, und fröhlicher Gesang schallt von den Kähnen. Wer kennt es nicht, das Land, welchem von Jahr zu Jahr mehr Fremde zum Vergnügen, zur Erholung von abspannenden Berufsgeschäften oder zur Ge­nesung von körperlichen und geistigen Leiden, alle zum frischen, freien, erquickenden Naturgenuß zuströmen, – das von der Natur mit tausend Reizen geschmückte Salzburg? Gegenwärtig zum größern Theile dem österreichischen Staate, zum kleinern dem König­reich Baiern angehörig, bildete es früher ein selbstständiges Erzbisthum und zwar nach dem westphälischen Frieden bis zum Jahre 1802, außer den drei geistlichen Kurfürstenthümern, das einzige Erzbisthum in Deutschland. Dort lebte zu Anfang das vorigen Jahrhunderts ein stilles, biederes, fleißiges Volk. Es bebaute die Felder und arbeitete in den Goldbergwerken, in den reichen Marmorbrüchen und in den weiten Salzwerken, in deren unterirdischen Kammern der Salzstein in so wundersamen Farben spielt. Doch bald genug sollte das größte Elend, das den Menschen überhaupt treffen kann, über diese friedlichen, braven Menschen hereinbrechen. Damals, als der geniale Mann von Wittenberg das Wort ausge­sprochen hatte, welches eine neue Gestaltung der kirchlichen Ver­hältnisse, ja eine ganze Welt von neuen Ideen hervorzurufen bestimmt war, damals war der Ruf von der neuen Lehre auch in die stillen Thäler Salzburgs (in welchen früher schon die Lehren der Hussteu Eingang gefunden hatten) gedrungen und hatte derselben zahlreiche geheime Anhänger gewonnen. Nicht ohne Einfluß war es, daß Luther's Gönner, der treffliche Generalvicar des Augustiner-Ordens, Johann von Staupitz, Hofprediger, dann Abt zu Salzburg wurde und durch ihn Briefe und Bücher des Reformators dahin kamen; bedeutender noch die Einwirkung seines Nachfolgers Paulus Speratus (von Spretten) und anderer lutherisch ge­sinnter Priester, die zum Theil als Märtyrer für ihre Ueberzeugung fielen. Die heimlichen und offenen Verfolgungen, welche die Lutherischen seit dem letzten Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts dort zu erdulden hatten, waren nicht im Stande gewesen, den Prote­stantismus zu unterdrücken, im Gegentheil hatte sich derselbe, sogar in der Hauptstadt Salzburg, im Sitze des mächtigen Erzbischofs selbst, immer mehr ausgebreitet. Die Pfaffen ahnten es und san­nen auf Mittel, das Unkraut auszurotten. Sie griffen zu einer Art geistiger Tortur; von jedem Salzburger forderten sie im Jahr 1684 einen Eid, daß er zur alleinseligmachenden katholischen Kirche sich bekenne und die Andersglaubenden verfluche. Tausende schwuren den Eid, aber die Tefferegger, die fast sämmtlich sch der neuen Lehre ergeben hatten, erklärten, daß sie ihn nicht schwören würden, und wurden zum Auswandern gezwungen, wobei sie diejenigen ihrer Kinder, die unter vierzehn Jahren waren, zurücklassen mußten! Jetzt glaubten die Pfaffen das Land von allen Ketzern gereinigt, aber der Funke, den sie für erloschen hielten, glomm im Stillen fort und zündete mehr und mehr. Gleich den ersten, ursprünglichen Anhängern des Christenthums während der Verfolgungen desselben hielten die Protestanten ihre frommen Andachtsübungen in heimlichem Versteck; im finsteren Walde versammelten sie sich Nachts in Höhlen, ließen sich von demjenigen unter ihnen, der noch am besten lesen konnte – denn die Pfaffen hatten das Volk weislich in die­ser Unwissenheit gelassen – aus der heiligen Schrift vorlesen und sangen geistliche Lieder, mit ängstlicher Sorglichkeit verbargen sie dann die Bibel wieder in einen hohlen Baum oder unter die Erde und schlichen in ihre Häuser zurück. Aeußerlich aber bekannten sie sich vorsichtiger Weise noch zur katholischen Kirche, wohnten dem Gottesdienste bei und nahmen das Abendmahl unter Einer Gestalt. So kam es, daß man ihnen, obgleich ihr Treiben allmählich ruchbar geworden, doch lange nachsah und wenigstens nicht Gewaltmaßregeln in Anwendung brachte. Da gelangte im Jahr 1727 der Erzbischof Leopold Anton Elentherius von Firmian zur Regierung, ein Mann, geschickter, eine Messe zu lesen, als Land und Leute zu regieren, ein überdies geldgieriger, vergnügungssüchtiger, dem Trunke ergebener Mann und ein so heftiger Feind der Protestanten, daß er einst die Aeußerung that: „Ich will nun einmal die Ketzer aus meinem Lande haben, sollten auch Dornen und Disteln auf den Aeckern wachsen.“ Meist lebte er auf dem Jagdschloß Cleßheim in vertrautem Umgang mit der Gräfin Arco, bei Jagden, Spielen, Schmaußereien und soll nur selten nüchtern anzutreffen gewesen sein. Diese Sinnesart wußten seine Räthe, vor allem der gewissen­lose Hofkanzler von Räll gar wohl zu nutzen, sie betrogen den leichtgläubigen, schwachen Mann und regierten das Land. Als „Bußprediger“ kamen die schlauen Jesuiten herbei, verfluchten auf den Kanzeln den lutherischen Glauben und führten den von Papst Benedict XIII. gebotenen Gruß ein: „Gelobt sei Jesus Christus!“ Die Protestanten, die es für Sünde hielten, den Namen Christus immer im Munde zu führen, behielten ihren früheren herkömmlichen Gruß bei, und so hatten denn die Pfaffen das gewünschte Mittel gefunden, die Katholischen von den Lutherischen zu unterscheiden, und beobachteten die letzteren genau. Man durchsuchte ihre Woh­nungen, und wehe demjenigen, bei welchem man ein evangelisches Buch fand! Man stieß ihn in dunkle, abscheuliche Gefängnisse und quälte und marterte ihn mit Hunger und Durst. Ein dreiundachtzigjähriger, kranker Greis, bei dem man nichts weiter, als Arndt’s „Paradiesgärtlein“ gefunden hatte, wurde, an den Füßen gefesselt, in einen jener elenden Kerker geworfen und erst, als sein Tod jeden Augenblick zu erwarten war, gegen eine Strafe von 100 Gulden freigelassen. Andere wurden auch mit Stockstreichen gezüchtigt und ihres ganzen Vermögens beraubt. War doch letzteres ein geheimes Hauptmotiv für den geldgierigen Erzbischof und seine Creaturen!

Aber alle diese Mißhandlungen, diese Strafen, welche darauf berechnet waren, die Protestanten mit Gewalt zum Papstthum zurückzuführen, verfehlten ihren Zweck; die Protestanten hielten an ihrem Glauben fest und ließen geduldig jene Martern über sich ergehen. Als jedoch die Bedrückungen ärger und ärger wurden, als unter denen, die man für Ketzer hielt, keine Vermählung mehr stattfinden durfte, als sogar ihre Todten nicht mehr in geweihter Erde begraben werden sollten: da erhoben sich endlich im Jahre 1731 die gemißhandelten Leute, schickten Boten an den Kaiser Karl VI. nach Wien und an das Corpus Evangelicorum nach Regensburg und baten um Gestattung freier Religionsübung oder doch ungehinderter Auswanderung. Die Armen! Als Rebellen wurden ihre Boten in Linz angehalten und in Fesseln dem Erz­bischof zurückgeschickt – was war auch anders von Karl VI. zu erwarten, dem Schwächling an Leib und Seele? – und ehe die schwerfällige, plumpe Maschine des Reichstages in Bewegung zu bringen war, verstrichen Wochen und Monate, und als nun endlich das Corpus Evangelicorum sich aufraffte und mit Vorstellungen an den Kaiser und an den Erzbischof wandte, konnte es weder bei dem Einen noch bei dem Andern etwas ausrichten. Das waren die Zustände im „heiligen römischen Reich deutscher Nation“!

Darauf ließ der Erzbischof durch Beamte nach der Zahl der Evangelischen forschen, und zwanzigtausend bekannten sich öffentlich zu Luther's Lehre. Sie verließen, als man diesen Glauben von den Kanzeln herab mit den ärgsten Verwünschungen verfluchte, die Kirchen und betraten sie, trotz den Drohungen der Obrigkeit, nie wieder. In ihren Häusern hielten sie Andachtsübungen und blieben, obgleich ihnen die Jesuiten mit den grellsten Farben die gräß­lichen weltlichen Strafen, den schrecklichen Zorn des Papstes und das fürchterliche Fegefeuer als gewisse Folgen ihrer Ketzerei vor­stellten, bei ihrem Glauben fest. Da aber alle Verständigen unter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_422.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)