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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 26.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Eine neue halbe Stunde mochte verflossen sein, als sich rasche Tritte auf der Treppe, welche nach der Office führte, hören ließen. Ein zweiter junger Mann, in der ganzen Eleganz der fashionablen Welt, trat mit gehobenem Kopfe, die Cigarre im Munde und die Reitpeitsche in der Hand, ein, und die Familienähnlichkeit verrieth dem wartenden Reichardt sofort, daß er wieder einen der Johnson’s vor sich hatte.

„Sie werden erledigen, was etwa vorfallen sollte, Mr. Black,“ sagte der Eingetretene nach einem kurzen Morgengruße, „ich habe ein Engagement, das mich bis Nachmittag aus der Stadt hält – hoffentlich wird es hier nichts von besonderer Wichtigkeit geben!“

Der Buchhalter hustete ohne aufzusehen.

„Haben Sie mir sonst irgend etwas zu sagen, Sir? “ fragte der Erste nach einer kurzen Pause und schlug wie in leichter Ungeduld die Reitgerte gegen seine Wade.

„Es ist heute der 14.,“ begann jetzt der Alte, ohne den Kopf zu wenden, „und um elf Uhr ist Termin in der Sache gegen James Miller wegen Unterlassung der contractmäßigen Getreidelieferung. Wenn Sie, Mr. William Johnson, der den Vertrag abgeschlossen, aus der Stadt wollen, so sehe ich keinen andern Weg, als die eingeklagte Forderung gegen den Mann fallen zu lassen.“

Der Fashionable preßte die Lippen auf einander und machte einen raschen Gang durch das Zimmer. „Sie haben Recht,“ sagte er dann stehen bleibend, „ich habe das übersehen. Ich werde also nur den kurzen Ritt nach Frost’s hinaus machen und dann wieder hier sein. Ist sonst noch etwas, Mr. Black?“

Der Genannte wandte sich jetzt langsam um. „Hier ist ein junger Mensch, der als Porter bestellt worden ist – weiß nicht von wem,“ sagte er, die buschigen Augenbrauen zusammenziehend, „wieder ein Deutscher und scheint mir schon mehr Bescheid auf Officen zu wissen, als ich bei solchen Leuten gern habe!“

William Johnson wandte rasch den Kopf nach dem sich erhebenden Reichardt, und die Augen der beiden jungen Männer, die kaum zwei Jahre im Alter auseinander sein konnten, trafen sich und blieben zwei Secunden wie unwillkürlich in einander hängen; dann aber überlief der Blick des Erstern die ganze Erscheinung des Applicanten. Reichardt hatte wohl seinen ältesten Anzug für sein erstes Auftreten gewählt, aber der Sitz der Kleider, die Feinheit seiner Wäsche, das volle, elegant gescheitelte Haar und die ganze Haltung des jungen Mannes verriethen ohne Weiteres den Menschen aus der „guten“ Gesellschaft. Was in der Seele des Musternden vorging, konnte Reichard nicht errathen, aber die Mienen des Ersteren nahmen, als er seine Inspection vollendet und die ersten Fragen an den Deutschen richtete, einen Ausdruck von hochmüthiger Nonchalance an, welcher diesem bis in’s Herz weh that. „Es ist schon richtig.“ wandte er sich dann an den Buchhalter zurück, „Bill garantirt für den Mann, und das ist mir lieber, als jemand von der Straße weg in’s Haus zu nehmen – falls er genügend englisch versteht, kann er hier bleiben, und James mag ihn von dem, was er zu thun hat, unterrichten. In zwei Stunden bin ich wieder zurück.“ Er klatschte mit der Reitpeitsche gegen seine Beinkleider und verließ mit zurückgeworfenem Kopfe den Raum.

Reichardt war bleich geworden; fast wollte ihm diese Behandlungsweise, gegen die er nicht gestählt gewesen war, absichtlich erscheinen, und doch hätte er sich nicht die Spur eines Grundes dafür angeben können. Er hörte nicht, wie der Buchhalter sich mit einem unzufriedenen Brummen wieder abwandte, und erst als dieser ein Stück Papier nach dem äußersten Rande des Pultes schob und ihm mit einem lauten: „Hier schreiben Sie, was ich Ihnen sagen werde!“ eine Feder hinhielt, wurde er seinen Empfindungen entrissen. Er folgte der Aufforderung und warf, ohne einen Zug von Bitterkeit unterdrücken zu können, mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit das ihm dictirte Formular eines Verladungsscheins auf das Papier. Der jüngere Johnson hatte neugierig von seiner Arbeit aufgesehen und beobachtete, als erwarte er ein Amüsement, wie der Alte die Schriftprobe vor sich nahm; dieser indessen schien nach der Länge seiner Prüfung jeden Buchstaben studiren zu wollen, ließ einzelne grunzende Laute hören und schob endlich mit einem: „Können etwas davon lernen!“ das Papier dem jungen Clerk hinüber. Dann wandte er sich mit einem kurzen Husten nach dem Deutschen. „Sie mögen den Besen nehmen und mit Ihrer Arbeit fortfahren; Mr. Johnson ist einverstanden, daß Sie hier verwandt werden, sagen Sie mir aber zuerst Ihren vollen Namen – die Porters werden im Hause bei ihren Taufnamen gerufen – und dann wird Ihnen Mr. James Johnson hier, an den Sie sich wenden mögen, das Weitere über Ihre Arbeit sagen!“

Ein erhöhtes Roth war in Reichardt’s Backen gestiegen, als er von Neuem die Feder ergriff, um seinen Namen niederzuschreiben; er wartete nicht die Versuche des Buchhalters, eine Aussprache dafür zu finden, ab, warf, sobald er das Zimmer verlassen, den Rock von sich und begann, als wolle er sein verletztes Gefühl betäuben, mit Hast das Reinigungswerk der äußeren Räume. Erst als er die Treppe hinab gefegt hatte und eine Art Scheu in sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_401.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)