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oder eine Kröte in die Hand nehmen soll. Das kalte, leichenähnliche Anfühlen, das bei den letztgenannten Thieren noch durch den unangenehmen Geruch der milchigen, schleimigen Hautausdünstung vermehrt wird; die unheimlichen Bewegungen; der plötzliche Wechsel zwischen regungsloser Apathie und blitzschnellem Fortschießen; das Geheimnißvolle in ihrem Leben und den Aufentshaltorten, welche die Thiere vorziehen; das schleichende, bösartige, giftige Wesen, das nur einigen mit Recht, den meisten aber mit Unrecht zugeschrieben wird – all dies vereinigt sich, um die Reptilien nicht gerade als angenehme Gäste erscheinen zu lassen. Für den Unvorbereiteten namentlich ist das Kältegefühl, das von einem Frosche z. B. ausströmt, das Unleidlichste, was man sich vorstellen kann, und es liegen Beispiele vor, wo mittelst desselben Betrügereien entdeckt worden sind, denen man sonst vergebens auf die Spur zu kommen trachtete.

Ein gewisser Regazzoni durchzog vor einigen Jahren aller Herren Länder und beutete die Leichtgläubigkeit mit Magnetismus, Hellseherei, Somnambulismus und ähnlichen Kunststücken aus, zu deren Ausführung er einige vortreffliche Sujets hatte. Namentlich war eines seiner Weibsbilder ausgezeichnet in Vorstellungen körperlicher Unempfindlichkeit; sie lag in magnetischem Schlafe und gab nicht das geringste Zeichen von Empfindung, selbst wenn man ihr die peinlichsten Schmerzen verursachte. Für den Kundigen konnte dies Resultat stoischen Studiums nicht allzu überraschend sein. Es ist unglaublich, welche entsetzliche Erfindungsgabe zur Selbstquälung Weiber schon dargelegt haben, die sich bemerklich machen wollten. Die Annalen der Medicin sind vollgepfropft von Fällen, wo Schwindlerinnen sich Verletzungen, welche bis zum Rande des Grabes führten, nur deshalb selbst zufügten, um den leichtgläubigen Arzt zu bewegen, eine Broschüre über den außerordentlichen Fall zu schreiben. So ertrug denn auch Regazzoni’s Stoikerin ohne das mindeste Zucken wirkliche Qualen, und weithin erschallte ihr Ruf und derjenige des berühmten Professors, und von allen Seiten trugen die Leute ihre Thaler herbei, um gläubig das Wunder anzustaunen. Aber in Frankfurt ging es zu Ende. Einer meiner Freunde beschloß, den Betrug zu entlarven. Er hatte einen lebendigen Frosch in der Tasche, den er plötzlich der unempfindlichen Schläferin in den Rücken hinabgleiten ließ. Ein Aufschrei, ein Zucken – die Scene war ausgespielt.

Wir haben nun in unseren Ländern nur zwei Arten giftiger Schlangen, die verhältnißmäßig so selten sind, daß nur sehr wenige Menschen sie gesehen oder von ihnen bedroht gewesen sind. Man kann also kaum sagen, daß der Haß, den alle Reptilien auf sich geladen haben, ein wahrhaft naturwüchsiger sei, und in der That sehen wir, daß in den alten deutschen Sagen Frösche, Unken und Kröten gar nicht jene Rolle spielen, die man ihnen heutzutage zutheilen würde. Die verzauberten Prinzen sind häufig in Frösche verwandelt und benehmen sich in dieser Gestalt durchaus liebenswürdig und hülfreich; die Unken stehen mit den Kindern auf sehr vertrautem Fuße und fressen mit ihnen aus einer Schüssel; die Schlangen sind Freunde der Menschen, heißen deshalb Hausunken und holen sich ihr Recht selbst vor des Kaisers Thron; bei den Nordländern hält sogar die große Midgardsschlange die ganze Welt durch ihren Ring zusammen. Erst mit der Einführung des Christenthums ändert sich eigentlich die Scene, indem aus dem Oriente Sagen und Meinungen nach dem Occidente übertragen werden. Die Bibel trägt dazu nicht wenig bei. Die Poesie der alten Juden ist mit Löwen, Schlangen und Heuschrecken angefüllt, Alles eingeführte Artikel, die bei uns zwar fruchtbaren Boden, aber keine naturwüchsige Stelle gefunden haben. Wie kann ein nationaler Germane eigentlich mit Fug und Recht in diesen Bestien etwas Furchtbares erkennen, nachdem er den Löwen nur hinter Eisenstangen oder ausgestopft, die Schlange nur als unschuldige Blindschleichen und die Heuschrecken nur als sanft knackende Grashüpfer kennen gelernt hat! Bei dem Orientalen ist es freilich anders. Er zahlt von seiner Viehheerde regelmäßig den Theil des Löwen und von seiner Ernte denjenigen der Heuschrecken, und sein nackter Fuß muß sich stets wehren vor dem Bisse der Giftschlangen. Ich bin fest überzeugt, daß die kurzen Hörner, die der Teufel auf vielen alten und neuen Bilderwerken trägt und die eigentlich nur wie zwei Wülste an der Stirn stehen, von der Hornviper Cerastes) herrühren, mit welcher die Juden sowohl in Aegypten und beim Auszug durch die Wüste, als auch später auf dem unfruchtbaren, steinigen Fleck Erde, den man ironisch das gelobte Land genannt hat, viel zu kämpfen hatten. In der That gleichen die Hornvipern, die äußerst giftig sind, mit ihren kurzen Auswüchsen über den Augen nichr wenig der traditionellen Personificirung des bösen Princips. Eben so waren die Juden nicht wenig vertraut mit all’ den Gaukeleien, welche die Schlangenbeschwörer, die Psyllen Aegyptens und Indiens noch in unseren Zeiten auf allen Märkten produciren, und der Stab Aarons, der vor Pharao sich zur Schlange wandelt, wird auch heutzutage noch in Kairo und Alexandria producirt, ohne daß ein Aaron oder ein Pharao oder eine besondere Intervention einer wunderthätigen Macht dazu nöthig wäre. Der Haß gegen die Reptilien und ihr übler Ruf kommt also weit mehr von außen her und ist nicht in seiner ganzen Stärke national germanisch.

Nichts desto weniger beruht er auf einem reellen Grunde. Wir besitzen in der That in den gemäßigten Ländern Europa’s, von den Alpen bis nach Schweden hinein, zwei Arten giftiger Schlangen; die größere Kreuzotter (Pelias berus) mehr in dem Norden, die kleinere Giftotter oder Viper (Vipera communis oder aspis) mehr im Süden. Jenseits der Alpen, in Italien, nimmt das giftige Gewürm schon mehr zu, und die schrecklichsten Arten finden sich bekanntlich unter den Wendekreisen.

Unsere beiden einheimischen Arten gleichen sich sehr und erst bei genauerer Untersuchung kann man sie dadurch unterscheiden, daß die kleinere Platten, die größere aber nur Schuppen auf dem breiten Kopfe hat. Auch spielen die Farben der größeren Otter weniger häufig ins Braunrothe und Schwarze, als diejenigen der kleineren Viper, die indessen meistens mehr graulich erscheint. Beide Arten aber sind dicke, kurze Schlangen mit breitem Kopf und zickzackförmiger, dunkler Zeichnung auf dem Rücken, die nur bei der ganz schwarzen Varietät, welche an einigen Orten zuweilen vorkommt, fast gänzlich verschwindet. Denn die Farbe wechselt ungemein vom hellen Silbergrau durch alle Abstufungen des schmutzigen Braun und Kupferroth bis zum gesättigten Schwarz, und namentlich sind es die Weibchen, die um ein Drittel länger und dicker werden, als die Männchen, welche häufiger in dunkele Farben gekleidet sind. Im Norden Deutschlands, wo außer der Viper nur die gewöhnlich größer werdende Ringelnatter sich findet, ist eine Verwechselung der giftigen Vipern mit den ungiftigen Schlangen nicht möglich, wohl aber im Süden, wo es eine ungiftige Natter giebt (Coluber viperinus), welche in ihrer Zeichnung der Viper so ähnlich sieht, daß man die Thiere, wenn sie in Bewegung sind, leicht mit einander verwechselt. Diese Verwechslung begegnete in der That dem Naturforscher Duméril, der wohl über 40 Jahre lang an dem Pariser Pflanzengarten gerade mit dem Zweige der Reptilien betraut und durch Abfassung eines Hauptwerkes in acht Bänden über dieselben berühmt geworden war, gleichsam als Ironie auf seine langjährigen Bestrebungen. Bei einem Spaziergange in einem Walde bei Paris sah er eine Schlange über den Weg gleiten, und getäuscht durch das schlanke Ansehen derselben, sprang er hinzu und faßte sie um die Mitte des Leibes, indem er sie für die unschädliche Vipernatter hielt. Als er aber von der Schlange in den Daumen und Zeigefinger gebissen wurde, sah der 70jährige Mann freilich sogleich seinen Irrthum ein und traf auch sofort einige Vorkehrungen, die aber ein mehrtägiges Unwohlsein nicht verhinderten.

Das beste Unterscheidungszeichen unserer Giftschlangen ist eben der verderbliche Apparat, den sie in ihrem Rachen tragen und durch dessen Bildung unsere Vipern mit den giftigsten Schlangen der Tropen, den Grubenvipern und den Klapperschlangen, in nächste Verwandtschaft treten. Der Rachen ist ungeheuer groß und kann sich stärker ausdehnen als bei irgend einer anderen Schlange; er trägt aber außer den Giftzähnen nur äußerst wenige und schwache Zähne in den Kinnladen, die nicht im Stande wären, eine größere Beute ernsthaft zu verwunden oder fest zu halten. Die Giftzähne selbst stehen einsam auf dem kurzen, sehr beweglichen Oberkiefer, der durch besondere Muskeln in der Weise bewegt werden kann, daß der Zahn beim Schließen des Mundes sich mit der Spitze nach hinten zurücklegt, beim Oeffnen aber sich etwa in einen rechten Winkel mit der Kinnlade stellt. Es ist dies einigermaßen bedeutsam, indem die Schlange nur schwer auf ein gespanntes, pralles Glied mit abgerundeter Fläche, wie z. B. Arm oder Bein, verwundend einhauen kann, während sie dagegen die freieren Glieder, wie Füße und Hände, besonders die Finger und Zehen, mit Vorliebe als Zielscheibe sucht.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_378.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)