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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

will es Ihnen beweisen. Glauben Sie wohl, daß ich für mehr als eine Million Franken, also zehn Millionen Bleistifte zu verkaufen vermocht, daß ich einen so guten Ruf erlangt hätte, wenn gegen meine Waare etwas einzuwenden wäre? Nimmermehr! Denn wenn der Franzose sich anerkennend zeigt dem Verdienste gegenüber, ist er unerbittlich gegen die Unredlichkeit. Dies der moralische Beweis, dessen Gültigkeit Sie wohl nicht bestreiten können, nicht bestreiten werden. Einen materiellen Beweis habe ich durch die Zeichnung geliefert, an welcher Sie die Festigkeit und zugleich Weichheit des Striches bewundern konnten. Sehen Sie außerdem, was so ein kleines Ding wie die Spitze einer Bleifeder, wenn diese gewissenhaft fabricirt ist, aushalten kann.“ Und nun schlägt Mengin mit einem gespitzten Bleistift so gewaltsam auf ein Bret, das vor ihm liegt, daß die Münzen, die sich auf demselben befinden, klirrend in die Höhe fahren. Wer zwei Sous hat, kauft, und Mengin hat seinen Zweck erreicht.

Mehr oder weniger – von Mengin findet sich fast in jedem Franzosen. In gesellschaftlicher, wie in geschäftlicher Beziehung liebt es der Franzose, sich bemerkbar zu machen, Aufsehen zu erregen. Es giebt viele Leute, die sich für den Salon, wie Schauspieler für die Bühne, wie Mengin vorbereiten, um irgend eine witzige Geschichte, einen komischen oder tragischen Vorfall anziehend wirksam zu erzählen. Es giebt eine Menge Leute, welche von ihren Salonerfolgen leben, durch diese Salonerfolge ihr Glück machen, einflußreiche Personen, Akademiker, Generaleinnehmer, Präfecten, Staatsräthe, Senatoren, Deputirte, Minister werden. Die Gabe, angenehm zu plaudern, gilt dem Franzosen mehr, als ausgedehnte Kenntnisse und große Fähigkeiten, als ein edles Streben und Tadellosigkeit des Charakters; drum befleißt er sich auch dieser Kunst vor allem. Wie in seinen Büchern, sucht der Franzose in seinen Gesprächen vor allem zu unterhalten, zu ergötzen. In Paris verzeiht man einem Menschen eher ein Verbrechen, als Langeweile, die er etwa verursacht. Die Marktschreierei wird zur Nothwendigkeit, sie ist die erforderliche Schwuranklage für das Verdienst, wie für die Mittelmäßigkeit, für die gänzliche Ohnmacht.

Herr … ist eine viel bekannte, vielgesuchte Erscheinung, der es zum Volksvertreter und Minister gebracht hatte und der, obgleich durch eingetretene Verhältnisse ohne Staatsamt, ein Mann von dem größten Einfluß ist, dessen Schutz und Empfehlung wie eine werthvolle Kostbarkeit gesucht wird, der mit den hochgestelltesten Personen aller politischen Farben in Verbindung steht und dessen Beziehungen zu Staatslenkern oder zu Candidaten künftiger Größe weit über die Grenzen des Landes hinausreichen. Der Minister dieses Staates ist sein Freund, der Führer einer mächtigen Partei jenes Staates ist sein Vertrauter. Mit diesem populären Vorfechter eines patriotischen Gedankens steht er im freundlichsten Verkehr, jenem anderen hat er Dienste geleistet, die Anerkennung finden und verdienen. Sein Salon wird von Berühmtheiten aller Zonen besucht. Verschlossene Thüren öffnen sich auf sein Wort. Feindselige Geschicke werden durch seine Fürbitte abgewendet, zürnende Erdengötter besänftigt. Handelsgesellschaften aller Art wählen ihn zum Unterhändler, wenn sie wichtige Geschäfte abzumachen haben, und betheiligen ihn am Gewinn, bei den größten industriellen Unternehmungen ist er betheiligt. Die Verwaltungscomités sind kaum zu zählen, denen er als Mitglied angehört; und doch ist er weder ein bedeutender Redner noch ein tiefer Denker, noch ein Gelehrter, noch ein Administrator, noch Schriftsteller, er steht nicht an der Spitze eines einflußreichen Blattes, dem er, wie ehemals Herr Bertin dem Journal des Debats, den außerordentlichen Einfluß verdankte, nicht einmal durch irgend eine Fachkenntniß thut er sich hervor, die man immer mehr oder weniger verwerthen kann.

Fragt man einen seiner Freunde, seiner Clienten und Lobredner, deren Zahl Legion ist, wodurch er zu der eben so vortheilhaften als angenehmen Stellung gelangt ist, so antwortet er mit Emphase mit dem Ausdruck tief gefühlter Ueberzeugung: „O, Herr … ist ein ausgezeichneter Mann (un homme distingué)“ – das sagt eben Alles und nichts.

Die Lösung des Räthsels liegt in dem pariser Leben, in dem Bedürfniß des geselligen Verkehrs, in der Empfänglichkeit des Franzosen für alle gesellschaftlichen Kunststückchen und seiner Dankbarkeit gegen Jeden, der ihn, wäre es auch nur eine Stunde lang, beschäftigt und unterhält, in der Leichtigkeit, mit welcher er sich gewinnen und ausdeuten läßt. Wenn der lateinische Spruch: „Mundus vult decipi“ (die Welt will betrogen sein) irgendwo zur Wahrheit wird, so ist es in Paris.

Herr … ist ein Mann von tadellosem Benehmen, alle Formen der großen Welt sind ihm geläufig, er verneigt sich wie man sich verneigen muß, er ißt, er kleidet sich, er besucht und empfängt nach der Vorschrift der Mode, ohne sich deßhalb stutzerhaft zu gebehrden. Nicht um ein Königreich würde er bei Tische das Brod rechts legen und das Glas links stellen oder sich beim Fisch eines Messers bedienen.

Er ist immer höflich, nie kommt ein ungeschliffenes Wort, ein kräftiger Naturausdruck über seine Lippen; er ist voll Schonung und Nachsicht für die Schwächen und Fehler seiner Freunde und Bekannten und lobt über Gebühr ihre kleineren und kleinsten Vorzüge. Tritt er einer Meinung entgegen, so geschieht es in so zarter, rücksichtsvoller Weise, daß man die Einsprache eher für eine Zustimmung halten möchte und der Vertreter dieser Meinung sich eher geschmeichelt, als verletzt, eher erhoben, als gedemüthigt fühlen muß. Es ist kein Beispiel vorhanden, daß er gegen irgend Jemanden, wie nahe er ihm auch stehen mag, einen Tadel ausgesprochen, daß er ihn auf einen begangenen Irrthum, auf eine hervortretende Unvollkommenheit aufmerksam gemacht hätte. Die verunglücktesten künstlerischen oder schriftstellerischen Versuche finden an ihm einen milden Beurtheiler; aus einem Meer von schlechten Versen, von verkehrten Sätzen versteht er einen wohlklingenden Vers, einen vernünftigen Satz herauszufinden, um ihn zu loben. Frauen gegenüber läßt er an Galanterie die Troubadours und Minnesänger des Mittelalters und den Hof Ludwigs XIV. hinter sich; was man nur aufbieten kann, um dem schönen Geschlechte gefällig zu erscheinen, das bietet er auf; er erweist sich aufmerksam, ehrfurchtsvoll, huldigend. Was einem weiblichen Ohr nur angenehm zu klingen geeignet ist, das sagt er und zwar in dem angemessenen Tone, der die Grenze des Gesagten richtig bestimmt.

Den Grund zu seiner Größe hat er im Salon gelegt, da hat er anziehende Geschichten wirksam zu erzählen gewußt und Verbindungen angeknüpft, durch diese Verbindungen wurde er in vielerlei Familien- und Staatsgeheimnisse eingeweiht, in die Lage versetzt, Vielen zu nützen und zu schaden, Dienste zu leisten und sich Gegendienste leisten zu lassen, und so hat er mit Emsigkeit seinen Einfluß ausgedehnt, sich zu einem Mittelpunkt vielfacher politischer Bestrebungen und Intriguen gemacht und sich zum Volksvertreter und Minister emporgearbeitet.

Wenn er spät kommt, wird er im Salon mit Spannung erwartet, wie das Auftreten des Helden eines Stückes, der das Hauptinteresse in Anspruch nimmt, auf der Bühne. Die Unterhaltung stockt, den Gesprächen fehlt Leben und Bewegung. Nun tritt er ein; er kommt gewöhnlich spät, um sich erwarten zu lassen, ein Geräusch der Befriedigung läßt sich vernehmen. Die Gruppen lösen sich auf, man eilt ihm entgegen, um ihn zu begrüßen, kaum daß die Frauen, dem Anstand gehorchend, auf ihren Plätzen bleiben. Wetteifernd sucht Jeder sich seiner zu bemächtigen, eine Unterredung mit ihm zu erhaschen, Fragen ohne Zahl werden an ihn gerichtet, über die Zustände im In- und Auslande, über finanzielle, theatralische, politische Verhältnisse, er beantwortet alle, er antwortet umständlicher, als man erwarten konnte, mit Anführung von Einzelnheiten, welche die Auskunft pikant machen. Diese Frau wünscht zu wissen, wen die Königin von Spanien in diesem Augenblick mit ihrer besondern Gunst beehrt; Herr … kennt ihn persönlich, giebt dessen Alter, Stand und die Provinz an, aus welcher derselbe stammt, er beschreibt ihn vom Kopf bis zum Fuß zum Entzücken der weiblichen Gesellschaft, die mit Andacht zuhört. Eine andere Frau möchte erklärt haben, warum die Kaiserin Eugenie so plötzlich in der rauhen Jahreszeit eine Reise incognito nach Schottland unternommen habe. Herr … erzählt verschiedene interessante Vorgänge in den Tuilerien, er schildert den Charakter der Fürstin, ihre Jugend, ihr Leben zu Madrid und Sevilla, bevor sie nach Frankreich kam und auf den Thron erhoben wurde, er tischt die Anekdoten auf, die man sich am Manzanares von der Mutter und Großmutter der Kaiserin erzählt, und erklärt das Räthsel, welches ganz Europa beschäftigt hat. Befragt, ob wohl der Papst in der italienischen Frage nachgeben werde, führt er eine Aeußerung an, die der Cardinal Antonelli zu einem seiner Freunde gethan, der denselben Gegenstand berührt. „Die Kirche kann niemals ihre eigenen Gesetze übertreten,“ hatte der erste Minister ausgerufen, „man fordre nicht, daß wir nachgeben, sondern daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_361.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)