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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der Wettlauf ist endlich vorüber. Der Richter Urtheil verkündet den Lauschenden nunmehr die Sieger und Siegerinnen. Der Jüngling und das Mädchen, die für die besten Springer erklärt sind, bilden das siegende Paar und werden mit schweren, glänzenden, roth unterfütterten Kronen aus Messing gekrönt. Von Mund zu Mund wird ihr Name getragen; die strahlenden Blicke verkünden den Zuschauern, wessen die Herzen nun voll. Den sie gewonnen, den Hammel, nehmen sie in ihre Mitte. Im Triumphe, begleitet von ihren Kampfgenossen, ziehen sie unter dem schrillen Getön der Pfeifen und Schalmeien vom Wahlplatze fort. Man kommt vor dem Rathhause an, dort wird Halt gemacht. Sämmtliche Schäfer und Schäferinnen, die sich am Sprunge betheiligten, tanzen daselbst einen Ehrentanz. In der Mitte des Kreises steht der Zahlmeister und wirft Nestel unter die Tanzenden, die sie zu erhaschen suchen. Doch nicht blos die Schäfermädchen drehen sich im Tanze, auch aus den umstehenden Fräulein und Jungfern holt sich der jubelnde Schäfer die Tänzerin; keine dürft’ es verschmähen, mit dem Hirtenkind einen lustigen Walzer zu wagen.

Nun ist’s Mittag geworden. Stiller wird’s auf den Straßen. Um so geschäftiger regen beim Mahl sich die Hände. Freundschaft und Liebe würzen gar seltsam die Arbeit des Mundes. Wenn im Gedränge sich kaum die Blicke begegneten: siehe, jetzt wirket das Wort, das lebendige, kosend und flüsternd und schäkernd – in allen Gestalten. Doch nicht allzulang dauert das Tafeln. Die Füße der Jugend haben die Ruhe schon satt; sie können es kaum erwarten, bis die Musik wieder zum Tanze sie ladet. Und aus allen Wirthshäusern tönet solch lieblicher Ruf. Ist vom Walzen, ist vom Getrapp und Gejauchze das Geräusch auch fast unerträglich, dennoch hält der gellende Ton der Querpfeife die Tanzenden richtig im Takte. Die Honoratioren – sie finden gar zahlreich sich ein – können ihre Tanzlust auf dem Rathhaus befriedigen. Die große Rathsstube ist in einen prächtigen Ballsaal verwandelt und scheint sich baß dieser Metamorphose zu freuen; wird sie gemeinhin doch anderer Tänze gewahr. Immer geht es ab und zu; der Tanzenden sind es so viele als der Zuschauenden. Schon ist es zu später Stunde, und dennoch vermindert die Zahl der Fröhlichen sich nicht. Einzelne tanzen sogar fort, bis die kühlende Lust der Morgendämmerung um die glühenden Wangen fächelt.

Der zweite Tag, zugleich Nachmarkt, versammelt in früher Stunde die Vorsteher der Schäferlade, um in Zunftangelegenheiten Gericht zu halten. Aber auch die Schalmeien der Schäfer ertönen fast eben so frühe, und dem beobachtenden Auge kann es nicht entgehen, daß die Tanzlust noch nicht männiglich befriedigt ist. Wenn auch die Zahl der herbeigeströmten Festgäste sich auffallend verminderte, und nur noch selten ein Fremder die Straßen durchwandelt: die Hirtensöhne und Schäfermädchen erscheinen auch heute im Festgewand. Doch sinkt die Flamme, welche so hoch aufgelodert, nach und nach, und „das Juchei des letzten Schäfers, der Abends aus den Thoren zieht, ist dem Funken gleich, der noch aus der Asche emporglimmt.“

Obgleich die Zeit gar Manches von dem ehemaligen Glanze dieses Volksfestes, dem einzigen in Schwaben während der guten alten Zeit, verwischte, so besteht es doch heute noch fort, und der Bartholomäustag ist alljährlich für Alt und Jung nicht nur in Markgröningen selbst, sondern auch in den umliegenden und entfernteren Orten ein Tag der Freude und des Jubels. Die Hauptgebräuche des Festes, der Schäfersprung, die Beischaffung der verschiedenen Gewinnste, an deren Spitze der „Festhammel“, die Tanzbelustigung etc., haben sich heute noch erhalten. Zudem ist mit dem Feste seit vielen Jahren ein sogenanntes landwirthschaftliches Fest als Erweiterung des Ganzen verbunden worden, wodurch auch die landbebauenden Bewohner des Bezirks durch Austheilung namhafter Preise für rationelle Betreibung des Ackerbaus und der Viehzucht in eine rege und innige Beziehung zum „Schäfermarkt“ gesetzt wurden. Und wenn der Freund des Volks vollends wahrnimmt, daß auch demjenigen Theil der dienenden Classe, der sich durch Treue und Fleiß und Wohlverhalten auszeichnet, unumwunden theils durch Geldgaben, theils durch Belobungsbriefe Seitens des Vorstandes des landwirthschaftlichen Vereins Anerkennung gezollt wird, so muß es ihm zu wahrer Befriedigung dienen, und er wird dieser Einrichtung mit ungetheiltem Beifall immer vollkommeneren und ausgebreiteteren Fortgang wünschen. – Wie sehr man sich’s übrigens angelegen sein läßt, das Fest immer mehr zu heben und zu einem Volksfest zu gestalten, zeigte die neueste Zeit, die dem „Schäferlauf“ noch eine andere Erweiterung auszumitteln wußte. Sie reiht sich dem Schäfersprung an.

Dort an den Schranken haben sich nicht wenige Preisbewerberinnen aufgestellt und harren der Dinge, die da kommen sollen. Der neue Act des Schauspiels beginnt: ein „Rennen mit Hindernissen“. Jedes Mädchen trägt nämlich eine neue, ganz mit Wasser gefüllte Gelte frei auf dem Kopfe. Nun gilt es, in möglichst schnellem Laufe und ohne die Gelte mit der Hand zu halten, der Tribüne zuzueilen. Aber auch hier stellt sich allerlei Mißgeschick ein. „Die Last auf dem Kopfe kommt aus dem Gleichgewicht; die Schöne verliert die Haltung, fährt mit den Händen nach der wankenden Gelte, und ein tüchtiges Sturzbad kühlt den Eifer der gedemüthigten Neiderin, die kaum vorher hart an ihrer Nebenbuhlerin vorbeistreifte und derselben durch einen Stoß mit dem Ellbogen die Gelte vom Kopfe herunter zu holen gedachte. Beschämt sucht sich diese in der Zuschauermenge zu verstecken. Es gelüstet sie nicht zu sehen, welche von ihren Gespielinnen zuerst die Tribüne erreicht und so den ersten Preis davon trägt.“ Daß gerade dieses „Rennen“ gar manches Gelächter hervorruft und nicht wenig erheitert, läßt sich leicht denken.

Die liebe Jugend ist aber auch nicht vergessen; sie findet Gelegenheit genug zu freudigem Treiben. Besonders verlockend winkt ihr der Kletterbaum mit feinen bunten Gaben, die hoch oben verführerisch flattern. Jeder Junge glaubt eine derselben erklettern zu müssen, und die letzte Kraft wird aufgeboten, um das beglückende Ziel zu erreichen.

Glr.




Aerztliche Blicke in die Kinderstube.
Das gefährliche Zahnen.

Noch nie ist ein Kind am „Zahnen“ gestorben. Stets ist die Ursache des Todes, wenn ein Kind während der Zahnperiode stirbt, eine neue, mit dem Ausbruche der Zähne gar nicht zusammenhängende, lebensgefährliche Krankheit, meistens eine Lungenentzündung oder Brechdurchfall. Daß dem so ist, lehren die Sectionen von Kindern, die angeblich der Tod an den Zähnen zu sich genommen hat. Damit soll nun aber ja nicht etwa gesagt sein, daß der Zahnausbruch bei manchen, zumal schon kranken, Kindern nicht ziemlich heftige Beschwerden und Krankheitserscheinungen veranlassen könnte, und daß zur Zeit des Zahnens manches schwache Kind nicht geneigter zum Krankwerden sein könnte. Beides findet statt; aber das Zahnen selbst ist niemals tödtlich, denn das Zahnen gehört zur naturgemäßen Entwickelung des kindlichen Körpers und geht bei gesunden Kindern stets ohne besondere Erscheinungen vor sich.

Es ist sehr schlimm, daß unter den Müttern und sogar auch bei einzelnen Aerzten noch so viel Aberglaube über das Zahnen herrscht; es ist dies deshalb sehr schlimm, weil dabei sehr oft leicht zu vermeidende und in ihrem Beginne schon heilbare Uebel als unvermeidliche, vom Zahnen herrührende angesehen und oft so vernachlässigt werden, daß sie einen tödtlichen Verlauf nehmen. Es ist freilich recht bequem für Aerzte, welche ein krankes Kind nicht gehörig zu untersuchen verstehen, und für Mütter, welche die Aufsicht über die Gesundheit ihrer Kinder Wärterinnen anvertrauen, beim Krankwerden von Kindern sich mit der Redensart zu beruhigen: „das Kind bekommt Zähne.“ Wie oft werden nicht mit den Ausdrücken „Zahnkrämpfe, Zahnhusten, Zahnruhr, Zahnen durch die Glieder“ u. s. f. schwere Krankheiten bemäntelt, die durch Vernachlässigung unheilbar und tödtlich werden!

Viele Mütter, denen Kinder angeblich an Zahnkrankheiten gestorben sind, werden dadurch fort und fort in ihrem falschen Glauben an die Gefährlichkeit des Zahnens bestärkt, weil sie beim noch lebenden Kinde keinen Zahn entdecken konnten, nach dem Tode des Kindes aber einen solchen deutlich wahrnahmen. Allein diese nicht wegzuleugnende Erscheinung hat, gerade so wie das Wachsen der Haare bei einer Leiche, ihren Grund darin, daß nach dem Tode

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_343.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)