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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

erst angefangen, es schlagen zu sehen und zu hören. Genug. Leb wohl, Du geliebtes Asyl, das wir nur haßten, weil wir nie klug aus ihm werden konnten, weil es so unerschöpflich schön ist in seiner Häßlichkeit und häßlich in Allem, was wir als schön gelten lassen sollen.

Ein paar Dutzend Ruderschläge auf der Themse, und wir sind plötzlich mitten im geliebteren Deutschland, im Hamburger Dampfer „Castor“, der mit seinem Zwillingsbruder „Pollux“ alle Wochen um die Wette von London nach Hamburg, von Hamburg nach London läuft. Man kann alle Donnerstage Abend an Bord gehen, entweder drüben oder hier, und ist Sonntags Vormittags entweder in London oder in Hamburg. Auch Freitags früh ist’s noch Zeit genug. Nicht blos aus meiner, sondern aus vieler Anderer Erfahrung und Zeugniß möcht’ ich den Deutschen für deutsch-englische Reisen diese beiden Dampfer empfehlen. Die Preise sind dieselben, wie die der „General-Steam-Navigation-Company“, die alle Dampfschiffverbindungen zwischen England, Deutschland, Belgien, Holland und Frankreich beherrscht und als Monopol ausbeutet. Die Hamburger werden nur unter der Bedingung geduldet, daß sie keine billigeren Preise stellen.

Schon dieser eine Umstand könnte ein Empfehlungsgrund sein. Aber auf den englischen Dampfschiffen findet man auch nur englische Köche, englische Sprache, englische Behandlung. Es ist ihnen noch nicht eingefallen, aus Rücksicht für deutsche Reisende, die kein Englisch verstehen, jemals nur einen deutschen Diener oder Dolmetscher zu beschäftigen. Die Mannschaften der Hamburger sprachen alle Deutsch und Englisch mit gleicher Geläufigkeit und zeigten sich auf dem „Castor“ als Deutsche in den besten Tugenden und Vorzügen vor den Engländern. Wenn der Capitain Schade sich nicht durchweg als ein unerschütterlich freundlicher und liebevoller, bescheidener und väterlicher König und Freund des Schiffes, der Passagiere, der ganzen Fahrt und Führung gezeigt hätte, würd’ ich ihn loben. Aber eine so liebenswürdige Vereinigung von heroischer Männlichkeit und Güte, von Einfachheit und stiller, auf den ersten Anblick Vertrauen einflößender Würde bedarf nicht des Lobes Anderer. Auch der Steward und die hübsche Stewardin haben nie andere, als freundliche, dienstwillige Gesichter getragen. Auf der ganzen Reise habe ich kein böses Gesicht gesehen; selbst Die, welche dem Neptun opfern mußten, machten sogar dies mit Grazie ab – eine starke Behauptung, aber wahr – und dann gleich wieder freundliche Gesichter, weil’s eben unter diesen Umständen kaum anders möglich war. Die erste Cajüte ist ungemein schön und bequem. Die Zimmerchen zum Schlafen und – Neptunisiren sind im engsten Raume auf das Bequemste ausgestattet: weiche Betten mit Springfeder-Matratzen, kleine Sammet-Sopha’s, Spiegel, Apparate zur Toilette, selbst Bequemlichkeit in den Becken, die der grimmige Schaukelgott des Meeres unerbittlich Allen hinstellt, die nicht „seefest“ sind, um sich so Tribut und Opfer einzusammeln. Diesmal war er ziemlich gnädig. Nur einmal beim Frühstück wollten die Tassen und Teller auf der Tafel sich nicht ruhig verhalten und machten allerhand nur durch rasches Zugreifen und Sicherheitsmaßregeln vereitelte Versuche, sich tanzend und kollernd vor unsere Füße zu werfen. Im Uebrigen schnaubte der Castor uns so leicht und sicher aus der Themse in die Elbe-Mündung, daß man den Geist des Meeres nur durch das eigenthümlich neptunisirende Gefühl im Magen, dem man auch ohne eigentliche Seekrankheit selten entgeht, gewahr ward. Dies schneidet sich mit den Flußmündungen ziemlich scharf ab. Ehe man etwas vom Ufer oder Land entdecken kann, sowie das Schiff in süßes Fahrwasser kommt, verläßt Neptun Jeden, der ihn „im Magen hatte“. Dies that er schon Sonnabend Nacht. Mit anbrechendem Sonntage begrüßten wir hier die bald hügelig und malerisch werdenden holsteinschen, dort die flachen hannöverschen Ufer.

Wie hatte ich mich gefreut, wieder einmal einen deutschen Fluß hinauf zu fahren! Aber zwischen Hannover und Holstein vorsichtig in der versandeten Mündung des herrlichen, deutschen Stromes hinaufzukriechen – zwischen Holstein und Hannover, Hannover und Holstein – da freue sich wer kann im Frühlinge des Jahres 1861 – mir war’s nicht möglich, Anderen ging’s auch so. Niemand hatte bisher ein böses Gesicht gemacht. Jetzt sah man sie und geballte Fäuste dazu, bald gegen dieses, bald gegen jenes Ufer. Rechts drüben tauchte eine hübsche Stadt aus den Hügeln hervor: Stade. Das Schiff fuhr noch langsamer als ein mitleidiger Herr, der von einem Bettler angesprochen in die Tasche greift, um einen Silbergroschen herauszuholen. Es kam Einer in einem abgeschabten, rothen Rocke herangefahren, dem der Capitain etwas hinunterwarf: den Stader Zoll. Das ist eine hannöversche Staatseinnahme, wie ich hörte, so ne alte Gerechtigkeit, die man Hannover bisher nicht streitig machen durfte, wahrscheinlich, weil es der Elbe gestattete, sich mit der Zeit ein weiches Bett von Sand anzuschaffen, um von ihrem Wege aus Deutschland auszuruhen, ehe sie die Reise in’s Meer fortsetzt. Staatsgelehrte wissen vielleicht andere Gründe. Sie dürfen aber nicht vergessen, besagten Sand darauf zu streuen. Endlich Blankenese, die Wonne und Wallfahrt der Hamburger, stattliche, fürstliche Paläste und Villen, und zuletzt Hamburg selbst, die große Kaffee-, Zucker- und Colonialwaaren-Besorgerin für Deutschland mit einem den ganzen Londoner Handel an Geldwerth bedeutend übertreffenden Umsatze.

Wir traten mit eigenthümlicher Andacht und Bewegung zum ersten Male wieder auf deutschen Boden, noch dazu republikanischen, unter Menschen, die alle Deutsch sprachen und so auffallend höflich und freundlich und reinlich aussahen in der hellen Frühlings-, Früh- und Sonntagssonne, daß ich ordentlich erschrak, als ich vergleichend an London zurückdachte und mir einfiel, daß ich’s zehn Jahre dort ausgehalten. Welcher Contrast! Damals hatte man mich um Mitternacht verbrecherisch als räudiges Schaf auf ein englisches Schiff geschmuggelt und als blinden Deckpassagier zwischen exportirte Schafheerden versteckt. Jetzt lauter Sonne und Frühling und ein Kofferträger, der mit 182 Pfund Last auf dem Rücken sich auf der Hoteltreppe nach mir höflichst umkehrte, tief gebückt unter der Last an die Mütze griff und tausendmal um Entschuldigung bat, daß er mir vorangehe. Welche Höflichkeit! Und welche Huldigung! Ich muß doch gleich sehr respektabel ausgesehen haben und gar nicht mehr steckbrieflich!




Vom Czaren Nikolaus von Rußland.

Von K. v. B.
I.

Ich wünschte einmal in Petersburg den Thurm der Admiralität, der ungefähr in der Mitte der Stadt liegt, zu besteigen, um von seiner Spitze aus die ganze Residenz mit einem Blicke übersehen zu können, und wandte mich an den commandirenden Officier.

Derselbe gab mir auf französisch die freundliche Versicherung, daß er mich herzlich gern hinauflassen würde, wenn es nicht verboten wäre, „und ich habe Furcht, daß Er uns sehe.“ – „Aber wer denn, mein Herr?“ – „Er, der Kaiser! Sie wissen, das Auge des Herrn sieht Alles.“ – „Aber ich bitte Sie, glauben Sie wirklich, daß der Kaiser mich auf der Spitze jenes hohen Thurmes, wo ich etwa wie ein Punkt erscheinen werde, entdecken könnte? Wie höchst unwahrscheinlich, daß sein Auge gerade jetzt auf diejenige Thurmöffnung fallen wird, durch die ich einige Secunden lang zu blicken wünsche! Und selbst wenn er auch zufällig gerade dorthin schauen sollte, wird er mich gleich als einen Fremden erkennen? Wird er nicht denken können, es sei ein Arbeiter oder sonst Jemand, der da etwas zu thun habe? Und wird er denn gleich herschicken oder selbst vorfahren, um sich zu erkundigen, wer es gewesen sei?“ – „Nun, so gehen Sie denn meinetwegen hinauf. Ich will es Ihnen von Herzen gern gestatten. Aber für mich ist viel Gefahr dabei, ich habe immer Furcht vor Ihm.

Ich muß sagen, dieser Vorfall frappirte mich in hohem Grade und blieb mir unvergeßlich, als ein Beweis der unermüdlichen Suspectionsthätigkeit des Kaisers sowohl, als der Größe der Furcht seiner Petersburger Beamten, die seiner überall und in jedem Augenblicke gewärtig waren.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_328.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)