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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

kommt hier noch der Nutzen der Landwirthschaft in Anschlag, welche nach diesem System auch die flüssigen Stoffe wird verwerthen können.

Jetzt soll man in Turin gar noch mit dem Gedanken umgehen, einen großartigen Unraths-Saugapparat für die ganze Stadt herzurichten. Derselbe würde in angemessener Entfernung von der Stadt angelegt und durch Haupt- und Nebenröhren mit den einzelnen Straßen und Häusern in Verbindung gesetzt werden. Das wäre neben dem großen politischen auch ein socialer Fortschritt der Italiener!

Wir steigen aus dem scheußlichen Orkus an das fröhliche, duftige Tageslicht empor. Möchte es uns gelungen sein, den Leser, unseren Gefährten auf der unterirdischen Wanderung, über ein unheimliches Gebiet modernen Culturlebens aufgeklärt zu haben. Erkenntniß eines Uebels soll ja der erste Schritt zur Heilung sein! Aber wie oft bleibt es bei diesem ersten Schritte! Bequemlichkeit ist ein gar schönes Ding, und so sehen wir jeder Gefahr, die uns nicht augenscheinlich das Messer an die Kehle setzt, stumpf und gleichgültig entgegen. Wie viele von euch wohnen in feuchten Häusern, deren Wände vor Nässe triefen und vor Kälte starren und ein Heer von Krankheiten ausdünsten! Allein da mit der Zeit eure Lunge sich an diese dumpfe, modrige Luft gewöhnte, so nehmt ihr die mit ihr eingesogenen Krankheiten als unvermeidliches Verhängniß mit der Ergebung von Muselmännern entgegen. Nicht wahr, Allah hat es gewollt, daß ihr von unausrottbaren Wechselfiebern, Milz- und Leberanschwellungen, von Bleich- und Wassersucht heimgesucht werdet? – Wohl weiß Jedermann im Hause, daß sein Siechthum von dem modrigen Boden, von der eisigfeuchten Wand herstammt, allein wie selten versucht es Einer, durch zweckmäßige Abzugsrohren dem aus dem Erdboden die Mauer hinansteigenden Wasser zu Leibe zu gehen und damit der Krankheit die Quelle zu stopfen! Versumpfte Wiesen und Felder verwandelt ihr durch solche Drainanlagen in blühende Gärten – ihr könntet durch Entwässerung ganzer Stadttheile und Städte auch auf bleichen Menschengesichtern blühende Rosen hervorzaubern und eine Unzahl sogenannter endemischer Krankheiten mit einem Schlage vertilgen!

Dr. M. Dyrenfurth.




Erinnerungen an Ernst Rietschel.

Von Bertold Auerbach.
II.

Ein Mann von so feiner und zarter Empfindung wie Rietschel, mußte dreimal am Grabe der Lebensgefährtin stehen, und doch war der Wiederaufbau der Häuslichkeit seinem innersten Naturell nothwendig. Es war eine laue Sommernacht, wir kamen aus einer Gesellschaft und gingen lange mit einander hin und her auf dem Räcknitzer Weg durch die Kornfelder und sprachen darüber, daß die Welt, wie sie ist, weit mehr die Sitte als die Sittlichkeit zu wahren trachte. – Ich sehe Rietschel noch vor mir, wie er uns begegnete auf dem Damm nach dem „Großen Garten“, Arm in Arm mit seiner jungen Frau, Beide stattliche, markige Gestalten, und sein Blick, aus dem es drang wie ein wärmender Sonnenstrahl, war so heiter und glückselig. Wir sahen ihm noch lange nach, wie er mit seiner Frau energischen Schrittes dahinging, und riefen es ihm freudig zu, wie wohl sie Beide einander anstehen, und er wendete sich wieder um und grüßte glückselig. Er hat in dieser Ehe wonnige, innigst befriedigte Jahre verlebt, und dazu hatte er an seinem Schwager Andreas Oppermann, der ihn dann nach Palermo begleitete und getreulich pflegte, eine Freude, daß sein Gesicht immer strahlte, wenn er von ihm sprach. Er erquickte sich an diesem „letzten Jüngling“, wie wir ihn scherzweise oft nannten, der eine Fülle süddeutscher Jugendkraft mit einem feinen und besonnenen Eingehen und einem schönen Verständniß der höchsten Kunstinteressen verband. Bei einem Besuche in meinem Landaufenthalt zu Schandau, als wir im Kirnitzschthale im Walde saßen, berichtete mir Rietschel die Erzählung aus Oppermann’s Buche: „Aus dem Bregenzer Wald“, die ich damals noch nicht kannte, in kurzen Zügen faßlich und bestimmt. Mit besonderem Nachdruck betonte er die Scene, wie die beiden eigenwilligen Gestalten auf der Bergeshöhe an einander vorübergehen, keine von beiden der andern das Wort gönnen will und so beide in ihr Verderben rennen. Rietschel hatte einen feinen Blick für alles Naturgesunde und für alle markigen Erscheinungen in der Poesie. Ich erinnere mich noch, wie er mir einst gegen einen das Gegentheil behauptenden Freund beistimmte, da ich auszuführen suchte, daß die Poesie nicht ein Ergebniß des Schmerzes ober gar der Krankheit sei, wie man sie, zumal in den Zeiten der Zerrissenheit – die noch nicht ganz vorüber sind – darstellen wollte. Wohl ist alle Poesie und Kunst eine Ergänzung des Lebens, die Wirklichkeit läßt einen Bruch zurück, die wahre Erscheinung kommt nicht zu ihrer logisch konsequenten Entfaltung; aber in seinem Wesen ist das Schöne und Gute wirklich, und hier ist’s die Aufgabe der Poesie und bildenden Kunst, das Gegebene und Vorhandene zu dem Schönsten, zu dem Vollendetsten auszugestalten, was es seiner grundmäßigen Naturbedingung nach sein kann. Natürlich bildete das vielfach alberne Gefasel von Realismus und Idealismus sehr oft den Gegenstand unserer Unterhaltung, und wir stimmten immer Beide darin überein, wie traurig es ist, daß man diese Gegensätze noch immer schablonenmäßig festhält. Alle Kunst muß ideal sein, sonst hört sie auf Kunst zu sein; nur ist und bleibt es ihre Aufgabe, die wirklich gegebene Welt zu fassen und zu erhöhen, nach dem ihr innewohnenden Gesetz, nicht nach einer herkömmlichen Tradition.

Es that uns Beiden wohl, daß ich Rietschel seine Wohnung abnahm, in der ich sieben Jahre blieb. Sieben Jahre hatte ich von da aus oft Erquickung am Anblick der hohen Esche mit breiter Krone, die im jenseitigen Garten stand, und als ich die Betrachtungen über den „Baum vor meinem Fenster“ drucken ließ, hatte Rietschel seine besondere Freude daran. Dieser Baum war ja auch sein Freund gewesen. Jetzt eben, indem ich dies schreibe, erhalte ich von Dresden aus die Nachricht, daß der schöne Baum in diesen Tagen, als ihn neuer Frühlingssaft durchdringen wollte, gefällt worden ist. – Rietschel hatte damals die Wohnung verlassen, er durfte nicht mehr drei Treppen hoch steigen. Er zog nach der „kleinen Reitbahngasse“, verließ aber auch diese Wohnung bald, um zur Erkräftigung seiner Gesundheit nach Palermo zu gehen. Er kam frisch und gebräunt wieder.

Wenn ich nur die Hunderte von Stunden zurückrufen könnte, die ich bei ihm im Atelier, zumal während der Modellirung zum Schiller-Goethedenkmal, zubrachte! Da sprach er bald vom Gerüst, bald vom Boden aus, in der einen Hand die Spachtel, in der andern Hand Thon, den er, wie seinen innersten Gedanken Ausdruck gebend, immer hin- und herknetete. Er trug den gelbgrauen Sackpaletot und manchmal auch eine kleine graue Mütze auf dem Kopfe. Wunderbar war und blieb es mir immer, wie es möglich ist, den Fernblick mit dem nahen zu vereinen. Der Meister steht unten auf dem Boden, sieht aus der Ferne, was an der kolossalen Gestalt auf dem Gerüste zu ändern und anzufügen ist, nun steigt er rasch die Treppe hinauf, drückt da und dort, schneidet ab, setzt aus, und darf dies doch nicht mit dem Naheblick thun, sondern muß dabei im Sinne haben, wie es sich von unten betrachtet ausnimmt. Wir hatten viel Scherz darüber, daß ich diesem Geheimniß nahe kommen wollte. Noch jetzt aber thut mir’s wohl, daß ich dem Meister oft willfahrte und länger blieb, als ich wollte, denn er behauptete, wenn ich da sei und wenn ich spräche, das thäte ihm auch gut. Ich habe in dem Aufsatze „Drei Stationen des Schiller-Goethe-Denkmals“ (den ich nunmehr auch in meine gesammelten Schriften ausgenommen habe) mancherlei Bemerkungen von damals niedergelegt. Ich durfte Rietschel nie davon sagen, wenn ich etwas über seine Arbeiten schrieb. Es beleidigte dies seine keusche Natur, und er wehrte sich immer dagegen, denn er fürchtete die Mißdeutungen und die Mißgunst. Nur zum Aufsatze über das Lutherdenkmal lieferte er mir einige faßliche Angaben.

Rietschel war eine in Wahrheit bescheidene Natur, wenn er auch seinen Werth wohl fühlte. Nie wird Jemand etwas gestalten können, wenn er seine Betrachtungsweise für bedeutungslos hält. Schon dadurch, daß er sich ausspricht, sei es im Bild oder im Wort, bekundet er damit thatsächlich, daß er seine Wahrnehmung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_313.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)