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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wissen mit associirten, freien Geldmassen und speculativem Unternehmungsgeist in’s Zeug zu gehen und in’s Große zu arbeiten, Sie fürchten sich, wie alle Helden dieser Tage, vor Krieg und dem „schwarzen Manne“ in Paris. Das stört überall den freien Blut- und Geldumlauf und treibt Capitalien, die sich in Handel und Wandel gern Zinsen verdienen möchten, in feuerfeste Geldspinden und alte Strümpfe, wo sie ihres Daseins ebenso wenig froh werden, wie deren ängstliche Eigenthümer und Nachtwächter. Die Engländer riskiren’s aber doch und speculiren auf den nicht wahrscheinlichen Frieden aller Völker mit mehr als zwei Millionen Thalern.

Item, der neue Friedenstempel aller Völker wird gebaut; das kosmopolitische Kampfspiel aller geschickten, fleißigen, künstlerischen, stoffveredelnden, Schönheit und Lebensbefriedigung schaffenden Hände und Häupter um goldene Preise und Adelsdiplome für Bestes und Schönstes soll mit dem ersten Tage des Wonnemonats 1862 beginnen. Er soll dastehen unabsehbar breit und hoch ragend mit seinen beiden Licht-Domen zu rechter Zeit, auch wenn die englischen Bauhandwerker auf ihrem neuen „strike“, der zweiten großen Arbeits-Einstellung, beharren.

Das Strike-Fieber wüthet jetzt in Hunderttausenden englischer Handwerker und Fabrikarbeiter in allen möglichen Gegenden und Industrie-Zweigen und in den verschiedensten Acten tragischer Verwickelung. Bei uns Deutschen würden die geringsten Anzeichen solcher „Verschwörung der Arbeit gegen das Capital“ blasses Schrecken und eiserne Maßregeln rother Schreckens-Herrschaft hervorrufen. In England wüthet dieser sociale Krieg, ohne daß ein einziger Policeman nur seinen weißen Handschuh dazwischen stecken darf. Kaum hatten die Bauhandwerker zu Tausenden an dem neuen Ausstellungs-Palaste angefangen, als sie eines schönen Morgens kamen, ihre Handwerkszeuge packten, auf die Schultern nahmen und in langen Processionen abzogen, um nicht eher wieder zu kommen, bis ihre alte Forderung: 9 statt 10 Stunden Tagesarbeit ohne Lohn-Verminderung, bewilligt sein werde. Sie unterhandelten sodann mit den Arbeitgebern, welche sich natürlich nicht zwingen lassen wollen, aber eben so wenig fordern, daß man den Arbeitern Zwang anthue. Nur drohen sie mit belgischen, französischen und deutschen Arbeitern, wenn die englischen auf ihrer Forderung beharren.

Man wird zugeben, daß sich somit eine höchst wichtige, brennende sociale Frage an den neuen Ausstellungs-Palast knüpft. Wir wollen diese hier nicht weiter verfolgen und uns das große Bauwerk, wie es von den Architekten zur Ausführung vorgezeichnet ward, von seiner Vorderseite zunächst flüchtig ansehen. Von den jetzt vorliegenden Zeichnungen des Architekten, Capitain Foulke, wählen wir die, welche den Schaaren, die von Cromwell-Road, der Hauptstraße, heraneilen, immer zunächst in die Augen fallen wird, die Front, das Gesicht des neuen Friedenstempels.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_285.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)