Seite:Die Gartenlaube (1861) 267.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

im Hin- und Herstreiten einer Wahrheit nachzugehen. Die Resultate scheinen ihr sicherer und wichtiger zu sein, als die dialektische Bewegung derselben.

Madame Dudevant und George Sand sind in der That sehr verschiedene Charaktere. Die Frau ist ganz anders als die Schriftstellerin in ihren Grundsätzen und Empfindungen. Madame Dudevant ist eine musterhafte Hausfrau und Mutter, George Sand eine dämonische Natur, die eine wildlohende Fackel in die Gesellschaft geworfen. Es ist trivial, von der Morallosigkeit der George Sand’schen Romane zu sprechen. Aber Niemand wird leugnen, daß diese Romane von einem aufreizenden, gegen die bestehenden Gesellschaftsgesetze scharf polemisirenden Geiste getragen sind.

Die Hauptwerke dieser Frau: Indiana, Valentine, Jacques und Lelia, bilden gewissermaßen Beiträge zur Pathologie der Ehe; es sind Schmerzensrufe selbstgefühlter Leiden. Interessant sind die Selbstbekenntnisse, welche die Schriftstellerin mit Hinblick auf sie macht. Sie kam traurig von einer Reise nach Italien zurück. „Warum hab’ ich mich an die menschliche Familie gebunden? das sollte mein Loos nicht sein. Gott hatte mir einen schweigsamen und unbändigen Stolz gegeben, einen tiefen Haß gegen alles Ungerechte, eine unbesiegbare Hingebung an die Unterdrückten! Meine Sinne verlockten mich nicht zur Liebe, mein Herz wußte nicht, was dies sei. Wozu unauflösliche Fesseln für mich, o mein Gott? Und doch, wie wohlthuend wären sie für mich gewesen, wenn ein Herz, ähnlich dem meinigen, sie mitgetragen hätte! Nein, nein, ich war nicht geschaffen, um Poet zu sein, ich war geschaffen, um zu lieben. Dies ist das Unglück meines Loses, daß ich zum Künstler gemacht worden bin! Menschlich leben wollt’ ich, ich hatte ein Herz: man hat es mir aus der Brust gerissen. Man hat mir nur einen Kopf gelassen, einen Kopf voller Lärm und Schmerzen, voll abscheulicher Erinnerungen und Trauerbilder. Und weil ich Erzählungen schrieb, um das Brod zu verdienen, das man mir versagte, und weil ich mich dabei erinnerte, unglücklich gewesen zu sein, und weil ich zu sagen gewagt habe, es gäbe erbärmliche Wesen in der Ehe, in Folge der Schwäche, welche der Frau anbefohlen, und der Rohheit, welche dem Manne erlaubt wird; weil ich die Schmählichkeiten aufgedeckt, welche die Gesellschaft verhüllt und mit dem Mantel des Mißbrauchs verhüllt: deshalb hat man mich für unmoralisch erklärt und mich behandelt, als ob ich ein Feind des Menschengeschlechts sei.“ –

Ueber die socialen Romane und dramatischen Werke der George Sand später ein Mehreres.




Das Voigtland und die Voigtländer.

Außer den von dem großen Strome der reiselustigen Welt überflutheten und darum allbekannten deutschen Gauen giebt es noch manchen kleinen Erdenwinkel im großen Vaterlande, der es verdient, näher gekannt zu sein, weil er in Namen, Sitte und Mundart noch ein Stück besondern deutschen Lebens und deutscher Eigenart, trotz der Alles nivellirenden Macht der modernen Zeit, als theures Erbtheil der Väter sich treulich bewahrt hat. – In einen solchen Winkel des deutschen Vaterlandes wollen wir heute unsere Leser einführen, mit dem Wunsche und der Hoffnung, daß sie es nicht bereuen mögen, uns dahin gefolgt zu sein.

Das Voigtland (in den Urkunden des Mittelalters: Terra Advocatorum) nannte man, etwa seit dem 11. Jahrhundert, den Landstrich, welcher von dem Flußgebiete der weißen Elster bis Weida, und den an den Quellen der Saale und der Zwickaner Mulde liegenden Gegenden gebildet wird, und somit den jetzigen voigtländischen Kreis des Königreichs Sachsen, die Reußischen Fürstenthümer, den größten Theil des bairischen Oberfranken und einige Ortschaften des Großherzogthums Sachsen-Weimar und des Herzogthums Sachsen-Altenburg umfaßte. Dieses Gebiet war um das neunte und zehnte Jahrhundert den bis hieher vorgedrungenen slavischen Stämmen der Sorben und Wenden[1] wieder abgerungen und unter die Verwaltung kaiserlicher Beamter gestellt worden, welche den Namen: „des heiligen römischen Reiches Voigte“ (in lateinischen Urkunden Advocati) als Amtstitel führten. Mit der Erzählung der politischen Veränderungen, die im Laufe der Jahrhunderte dieses Gebiet betrafen, – wie die Voigtswürde in der Familie der „Reußen“ zu einem erblichen Lehen theils der Krone Böhmen, theils des Kaisers und Reiches wurde, wie durch Erbschaft, Tausch, Verkauf die einzelnen Gebietstheile bald zerrissen, bald wieder vereinigt wurden, wie die Nachkommen der neuen Reichsfürsten, die nun als „Voigte und Herren zu Plauen“ seit mehr als 800 Jahren sämmtlich den Namen Heinrich führten, jetzt als Fürsten Reus; älterer und jüngerer Linie zu den kleinsten Souverainen des deutschen Bundes gehören – wollen wir unsere Leser nicht ermüden und erwähnen nur, daß der jetzige voigtländische Kreis des Königreichs Sachsen erst durch Verpfändung und dann durch Verkauf im Jahre 1569 an das damalige Kurhaus Sachsen kam und seitdem unverändert sächsisch blieb.

Diesen Kreis, der bei der neuern polnischen Eintheilung Sachsens zur Zwickauer Kreisdirection geschlagen wurde, aber neben manchen ihm belassenen Sondereinrichtungen, wie z. B. den besondern Kreisständen, gern den alten Namen beibehält, nennt man gegenwärtig im engeren Sinne und vorzugsweise das Voigtland, während die andern Theile des früher so genannten größeren Gebiets diese Bezeichnung fast ganz verloren haben. Dieses Voigtland, das wir hier allein im Sinne haben, erstreckt sich von den Grenzen Baierns und Böhmens nördlich und östlich bis zu den reußischen Gebieten und zum Erzgebirge, und umfaßt einen Flächeninhalt von 25 Quadratmeilen mit mehr als 100,000 Bewohnern. Das Ländchen, welches nach seiner natürlichen Beschaffenheit in das südöstliche Waldrevier und das nordwestliche Landrevier sich abtheilt, ist von den Bewohnern des fetten sächsischen Niederlandes sonst viel verschrieen und mit dem Unnamen des Sächsischen Sibiriens beehrt worden. Aber es ist in der That besser und schöner als sein Ruf, den ihm überhaupt nur der flüchtige Blick zugezogen haben mag, mit welchem es der Reisende auf der sonstigen großen Poststraße, die von Leipzig nach Nürnberg führt, zu betrachten pflegte. Zu Gunsten einiger Rittersitze wurde diese Chaussee vor ungefähr fünfzig Jahren in unzweckmäßigster Weise über die höchsten Berge und durch die ödesten Gegenden des Voigtlandes geführt, anstatt sie dem natürlichen Wege der Flußthäler folgen zu lassen, und wer bei der Stadt Reichenbach die Provinz betrat und einen Blick auf die dunkeln Wälder und die rauhen Abgründe warf, die ihm hier gerade entgegenstarrten, dem mußte die Gegend freilich den Eindruck finsterer Unwirthbarkeit machen; der erste Eindruck ist aber bei Gegenden, wie bei Menschen, immer der stärkste und bleibendste.

Jetzt, wo die Eisenbahn das Ländchen durchschneidet oder richtiger an seiner Nordwestgrenze umfährt, empfängt auch der flüchtig Reisende ein ganz anderes, ansprechenderes Bild des an Naturschönheiten keineswegs armen Hügel-Ländchens. Der Blick aus dem Fenster des Coupés schon eröffnet ihm von der Höhe der riesigen Göltzschthalbrücke die Aussicht auf ein freundliches Thal mit dem Städtchen Mylau und die mit dem alten Kaiserschlosse Sigismund’s gekrönte Höhe, dann von der fast ebenso hohen Elstertbhalbrücke bei Jocketa den Einblick in wildromantische, von der über zerstreute Felsblöcke dahin brausenden Elster belebte Thalschluchten, endlich von der Hochebene bei Reuth herab einen weiten Ueberblick über einen großen Theil des Voigtlandes mit einer Menge freundlicher Dörfer und der stattlichen fernher leuchtenden Stadt Plauen.

Wer aber erst den Wanderstab ergreift und das Elsterthal von dem zwischen dunkelbewaldeten Bergwänden auf grüne Wiesen idyllisch hingelagerten Badeort Elster an bis nach dem „Steinicht“ oder der „voigtländischen Schweiz“, einem zwischen schroffen, pittoresken Felsenwänden eine halbe Stunde lang sich hinziehenden Thale, an dessen Ende das neugebaute Städtchen Elsterberg neben seiner alten Burgruine vom Berge herab ihm entgegenwinkt, rüstig durchpilgert, – wer das enge Thal der Trieb, die bei der Elsterthalbrücke über gewaltige Felsblöcke in die Elster hereinstürzt, weiter verfolgt und die Mühe nicht scheut, durch kühle, dämmernde Waldschluchten sich hindurchzuzwängen, – wer die Pracht eines

  1. Viele Ortsnamen der Gegend, wie: Chrieschwitz, Möschwitz, Planschwitz etc. geben noch Zeugniß von ihrem slavischen Ursprunge. Selbst der Name der Stadt Plauen, obwohl mehr deutschen Klanges, ist eigentlich slavisch; in den ältesten Urkunden heißt der Ort: „Stadt an der Plawe“, welches letztere Wort eine weite Thalebene bedeutet.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_267.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)