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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ah! ich merke, Du nimmst den Lieutenant Bonaparte aus. Nicht wahr? – Ja, Mama, erwiderte ich. – Was sollte ich sagen, mein lieber Freund!“

„Das war tapfer und richtig gehandelt,“ fiel Bonaparte ein. „Es war die Sprache Deines Herzens, theure Beatrice, ich danke Dir dafür mit tausend Küssen.“ Und er schloß sie in seine Arme und küßte sie, bis sie wieder zu erzählen fortfuhr.

„Also, sagte meine Mama, der Lieutenant Bonaparte, meinst Du, wäre ein Mann, dem man glauben und vertrauen dürfe ? Ich vermuthe, daß Du dies wirklich thust. – Ja, Mama, ich kann es nicht leugnen, versetzte ich. – Bist Du auch überzeugt, Beatrice, daß er es verdient? – So überzeugt, daß – daß – hier brach ich ab, da aber meine Mama Weiter! Weiter! rief, setzte ich hinzu: daß ich es ihm selbst gesagt habe. – Und das hast Du ihm heute erst gesagt, nicht wahr? fragte sie mich. – Ja, Mama, heut, und – auch wohl schon mehr als einmal. – Aber? fragte sie und faßte mich beim Arm, hast Du auch Recht daran gethan? Ich glaube es, glaube es ganz gewiß! antwortete ich ein wenig erschrocken, aber dann kam mir der Muth. Mein Herz fing an zu schlagen, und ich weiß nicht, was mit mir geschah. Ich richtete mich aus, alle meine Furcht war verschwunden. – O! liebe, beste Mama! rief ich, ich weiß in der ganzen Welt keinen Mann, dem ich mehr vertrauen möchte, als ihm, keinen, dem ich freudiger glauben möchte. – Mußte ich das nicht sagen, mein geliebter Freund? Mußte ich Dich nicht vertheidigen?“

„Du mußtest dem Zuge Deiner Liebe folgen, Du mußtest für mich aufstehen, wo man Deine Zweifel aufwecken wollte!“ antwortete Bonaparte feurig, „und dafür – dafür –“ In dem Augenblicke fiel von dem Kirschbaume, dessen Zweige sich über die Bank ausbreiteten, ein großes, schönes Kirschenpaar, zwei Früchte an einem verbundenen Stiele. Rasch ergriff Napoleon die Kirschen, welche in seine Hand gefallen, theilte sie und rief fröhlich lachend: „Ein Himmelszeichen, geliebte Beatrice! Nimm und iß und glaube an mich. Kein Zweifel soll unser Glück trüben. Vereint soll unser Leben bleiben. Wie diese Früchte zu einander gehören, Gewalt nur sie trennen kann, so soll uns nichts scheiden, es müßte denn sein –“

„Was müßte sein?“ fragte Beatrice erschrocken, als er inne hielt.

„Daß die Ehre – das Vaterland es geböten!“

„Ach, Du bist ein Soldat,“ rief sie klagend, „und denkst an Ruhm und Krieg.“

„Nein, nein!“ erwiderte er, „ich denke nur an Dich, Beatrice. Wir wollen nicht sorgen, freuen wollen wir uns und genießen, was die glückliche Stunde uns bringt. Deine Mutter –“

„Meine Mutter,“ fiel Beatrice süß lächelnd ein, „hat mich mit ihren Küssen entlassen, und da – da ist sie,“ stotterte sie zusammenschreckend und deutete auf den Rebengang, der von dem Hause herüber führte.

Es war in der That Frau von Colombier, die so eben in diesem Gange sichtbar wurde und mit raschen Schritten sich der Laube näherte. Es blieb keine Zeit übrig, um sich vor ihr zu verbergen, auch sträubte sich dagegen Bonaparte’s Stolz. Er stand auf und preßte Beatricens Hand in seinen Fingern zusammen, als wollte er verhindern, daß sie fliehen oder ihrer Mutter entgegen gehen möchte. So erwarteten nun Beide die Dame, welche, in ein großes Tuch eingehüllt, dem Anschein nach sie nicht bemerkte, sondern die Bäume betrachtete und ihre Augen auf den Himmel richtete, aus dem soeben der erste Sonnenschimmer mit goldigem Glanz hervorbrach.

Erst als sie noch wenige Schritte von dem Baume entfernt war, welcher vor dem Bosket stand, wandte sie ihre Blicke dorthin, und wie in plötzlicher Ueberraschung blieb sie stehen, ohne ein Wort zu sagen. – Beatrice senkte ihre Wimpern nieder und bekam ein rothes Gesicht. Bonaparte dagegen zuckte mit keiner Miene und unterbrach eben so wenig das Schweigen.

Diese Situation währte einige Augenblicke, dann gewann Frau von Colombier zuerst wieder Sprache und Leben. Ihre feinen Lippen verzogen sich zu einem anmuthigen Lächeln, das von einer lebhaften Handbewegung begleitet wurde. „Sieh da, Herr Bonaparte!“ rief sie, „hat Sie der schöne Sommermorgen so früh zu uns herausgelockt? Das ist allerliebst, wie wir hier zusammentreffen, gleich den Göttern in der Fabel von denselben schönen Gedanken bewegt.“ – Und ohne dem jungen Officier Zeit zu einer Antwort zu lasten, fuhr sie sogleich fort: „Beatrice ist gewiß davon so freudig überrascht worden, wie ich es bin; allein es ist kühl, mein Kind, geh hinein, Du möchtest Dich erkälten. Geschwind, geh, ich bleibe noch ein paar Minuten bei Herrn Bonaparte.“

Mit demselben freundlichen Lächeln streckte sie die Hand nach ihrer Tochter aus und zog sie sich näher. Beatrice folgte ein wenig zögernd, doch nicht furchtsam, sie war voll guter Zuversicht. „Ich glaube nicht,“ sagte sie leise, „daß ich mich erkälte, und – o! meine theure Mama, Du bist so gütig; so liebevoll –“

„Fort, fort!“ rief die Mama ihr die Wange streichelnd, „wir müssen für Deine Gesundheit vorsichtig wachen. Nehmen Sie Platz, Herr Bonaparte. Sie sind ein Freund der Natur, nicht wahr?“

Dieser Wink und die Weisung der Dame drückten sich sehr bestimmt aus. Beatrice nickte ihrem Freunde leise zu und machte ein paar kleine Schritte; gewiß wäre sie ungehorsam gewesen, wenn nur Bonaparte Einsprache gethan hätte. Allein er hielt sie nicht zurück, sondern setzte sich auf die Bank, als Frau von Colombier sich niederließ, und Beatrice schritt langsam weiter, mehr als einmal zurückblickend, bis sie in den Piniengang einbog und verschwand.

„Sie sind also ein Freund der Natur, Herr Bonaparte,“ wiederholte Frau von Colombier, „und wahrscheinlich öfter so früh schon im Freien, um die Sonne aufgehen zu sehen, wie ich glaube?“

„Dies ist allerdings der Fall, Madame!“ erwiderte Napoleon.

„Beatrice nicht minder,“ fuhr die Dame fort. „Ich habe bemerkt, daß sie einigemale schon den Sonnenaufgang hier im Garten erwartete, und dies ist in der That ein vortreffliches Plätzchen dazu. Das sind sympathetische Gefühle, Herr Bonaparte, aber bei jungen Leuten sehr erklärlich. Sie sind noch sehr jung. Wie alt sind Sie?“

„Einundzwanzig Jahre, Madame.“

„Ein schönes Alter, das Alter der Illusionen!“ rief Frau von Colombier. „Beatrice ist eben siebenzehn geworden. Aber Sie sind von ernstem Gemüth, über Ihre Jahre hinaus, uns ich habe recht viel Gutes von Ihnen vernommen.“

„Sie sind sehr gütig, Madame,“ erwiderte der Lieutenant.

„Das bin ich in dem Grade, Herr Bonaparte, wie es eine Freundin sein soll, und wie Sie es verdienen, wie ich glaube. Ich bin zwar keine große Verehrerin der Sonnenaufgänge und der Morgenpromenaden,“ fuhr sie mit ihrem feinen Lächeln fort, „allein ich sehe Sie gern in meinem Hause, und Beatrice ist ganz gewiß derselben Meinung; Sie können sich darauf verlassen.“

„Ich danke Ihnen, Madame,“ sagte der junge Officier, indem er sich ehrerbietig verneigte.

„Corsica ist ein romantisches Land, und die Corsen haben für die Romantik ohne Zweifel angeborene Vorzüge,“ lachte die Dame, „während wir in unserem kälteren Klima und in der Nähe der schneeigen Alpen weit nüchterner empfinden.“

„Ich weiß darüber nicht zu urtheilen,“ erwiderte Bonaparte, „allein auch an den Corsen wird Verstand und Nachdenken gerühmt.“

„Und dies ist auch meine Meinung!“ fiel Frau von Colombier lebhaft ein. „Wissen Sie, mein lieber Herr Bonaparte, daß ich von Ihnen mehr als von sehr vielen andern jungen Herrn glaube, daß Sie reiflich und wohl überlegen, und verständiges Nachdenken Ihnen mehr gilt, als glänzende Einbildungen?“

„Sie sagen mir eine große Schmeichelei, Madame,“ antwortete Napoleon.

„Ich sage Ihnen die Wahrheit. Ist es nicht sehr gewöhnlich jetzt, daß junge Leute ihre Köpfe mit phantastischen Hirngespinsten füllen, wie sie Mode geworden sind? Sie dagegen halten sich fern davon. Das hat mir sehr gefallen, Herr Bonaparte, und nicht mir allein, auch andern Personen, deren Wohlwollen Sie dadurch gewonnen haben.“

„Ich danke Ihnen, Madame,“ sagte der Lieutenant sich verbeugend.

„Sie gehören nicht zu denen,“ fuhr Frau von Colombier fort, „die sich von dem Zeitschwindel fortreißen lassen, Zusammenkünfte veranstalten helfen, in den Café’s die Zeitungen aus Paris vorlesen und Lärm erheben. Sie beschäftigen sich mit ernsthaften Dingen, Sie studiren oder erheben Ihre edlen Gefühle selber zu Dichtungen, wie ich gestern Abend eine solche gesehen habe, die Beatrice –“

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