Seite:Die Gartenlaube (1861) 235.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Born zögerte. Was wollte man von ihm? Sollte seine Befürchtung wirklich wahr sein?“

„Hat Euch Der hieher geführt?“ fragte er weiter, auf Sielert zeigend. Seine Frage wurde bejaht. Jetzt war kein Zweifel mehr – er sollte den geheimen Weg verrathen. Ihm schwindelte fast. Sollte er sich weigern zu folgen? Sein Arm war noch kräftig! – Es war Thorheit! – Schweigend mit ahnungsvoll bangem Herzen folgte er den Soldaten. Rasch schritten sie die Anhöhe hinauf. Sielert wartete auf sie, bis sie ihn eingeholt, dann ging er mit ihnen.

„Ich habe versprochen, daß ich Euch heimzahlen will,“ sprach er zu Born. „Man wird Euch den Mund schon öffnen, um den Weg zu erfahren!“

Der Alte schwieg, er hörte diese Worte kaum. Eine innere Stimme rief ihm zu: „Dies ist ein schwerer Gang für Dich! Nenne den Weg, oder Du stürzest Dich und die Deinen in’s Unglück! Nenne ihn, ehe man Dich durch Gewalt und Härte dazu zwingt!“ – Und er selbst sagte sich dann wieder: „Man kann Dich nicht zwingen! Die Gewalt kann Dir den Mund öffnen, aber nicht das Geheimniß aus Deiner Brust herausholen!“

Als er den Landgrafenberg erstiegen, führten ihn die Soldaten in das Hauptquartier vor den Marschall Lannes selbst. Dieser ließ einen Augenblick sein Auge forschend auf ihm ruhen und fragte ihn dann, ob er, wie er zu Sielert gesagt, einen Weg auf diese Anhöhe wisse, auf dem Pferde und Geschütze hinaufgeschafft werden könnten.

„Ja,“ sprach Born ruhig.

„So zeigt ihn uns, und Ihr sollt eine reichere Belohnung haben, als Ihr ahnt.“

Born schwieg. In ihm stürmte und wogte es. Er durfte nicht zum Verräther werden!

„Wollt Ihr uns den Weg zeigen?“

„Nein!“ erwiderte der Hirt bestimmt. „Ich würde schlecht gegen meine Landsleute handeln!“

„Ihr wollt also nicht?“ rief der Marschall. „Glaubt Ihr, daß wir nicht auch ohne Euch den Weg finden werden? Es liegt mir nur daran, ihn heute noch zu erfahren.“

„Ich verrathe ihn nicht,“ entgegnete Born.

„Ihr wollt nicht?“ fuhr der Franzose auf. „Ihr wagt mir zu trotzen? Glaubt Ihr, daß ich Euch nicht zwingen kann?“

„Mich kann Niemand dazu zwingen.“

„Nicht? Ich werde Dir’s zeigen! Nicht von Deinem Willen soll der Ausgang einer ganzen Schlacht abhängen! Du erhältst eine reiche Belohnung, wenn Du uns den Weg zeigst – weigerst Du Dich – so stirbst Du! Nun entscheide Dich!“

Born schwieg.

„Es ist mein Ernst! Du stirbst, wenn Du mir zu trotzen wagst!“

Das Gesicht des Alten war merklich blässer geworden. Er zitterte leise, und einen Augenblick lang drohten seine Kniee zusammen zu brechen – er dachte an sein Weib und seine Kinder – dann erlangte er seine volle Fassung wieder und sprach fest: „Ich bin kein Verräther!“

„Du willst nicht?“ rief der Marschall heftig.

„Nein!“

„Führt ihn fort!“ befahl der Marschall in heftigster Aufregung einem Officier. „Führt ihn fort! Gebt ihm noch eine halbe Stunde Zeit zum Besinnen, und wenn er dann noch zu trotzen wagt, so laßt ihn erschießen!“

Er wandte sich ab, und Born wurde fortgeführt. Vergebens trat Sielert, dem durch des Alten Tod ein Gewinn entging, zu ihm und suchte ihn zu bewegen, den Weg zu zeigen, nur seine Richtung zu bezeichnen. Vergebens suchte auch der Officier ihn zu bereden, Born schwieg. Mit gefesselten Händen wurde er an den Abhang der Anhöhe geführt. Vor seinen Augen luden drei Soldaten ihre Gewehre, er wandte sich ab. Eine halbe Stunde Zeit war ihm noch vergönnt, sich zu besinnen. Schweigend setzte er sich nieder und richtete den Blick starr in das Thal und auf die fernen Berghöhen. Seine Wangen waren bleich. Welche Gefühle mußten in ihm vorgehen! – Eine Thräne trat in sein Auge – er drängte sie zurück.

Die gegebene Frist war beendet. Der Officier trat zu ihm und fragte, ob er den Weg zeigen wolle. Er antwortete nur mit einem Schütteln seines Kopfes. – Die Augen wurden ihm verbunden, er wurde an einen Baum gestellt, und die Soldaten traten zum Schusse an. Nochmals wiederholte der Officier die Frage, ja zum dritten Male, als der Hirt aber auch jetzt noch verneinend das Haupt schüttelte, erschallte das Commando: „Feuer!“ Drei Schüsse hallten zugleich an den gegenüberliegenden Bergen wider, und ohne einen Laut sank der Hirt zusammen. Er war gut getroffen, keine Muskel seines Gesichtes zuckte mehr. Die Soldaten ließen den Leichnam liegen, es war ja Krieg, bis er zwei Tage später mit Hunderten von Preußen und Franzosen gemeinsam in die Erde gebettet wurde. Kein Geschichtsbuch enthält diesen Heldentod eines einfach schlichten Schafhirten! – – nur einzelne Landleute in der Gegend von Jena wissen noch davon zu erzählen.

Napoleon erschien selbst wieder auf dem Gipfel des Landgrafenberges, unwillig über die unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche diese steilen Bergabhänge für seine Reiterei und Geschütze darboten. Da trat ein Officier zu ihm und meldete ihm, daß in einem Wirthshause in Jena, in dem an der Saale gelegenen Geleitshause, ein Prediger aus Wenigen-Jena die Aeußerung gethan habe, es gebe einen Weg, um Pferde und Geschütze auf die Anhöhe zu schaffen, er selbst kenne ihn. Sofort gab der Kaiser Befehl, den Prediger zu verhaften und zu ihm zu führen, und nicht eine Stunde war vergangen, so stand der erschrockene Prediger vor ihm. Unvorsichtig hatte er gegen einen Bekannten die Aeußerung gethan, welche der Officier zufällig gehört hatte.

Er war bleich, zitterte und vermochte vor Angst kaum ein Wort hervorzubringen, als der Kaiser ihn aufforderte, den Weg zu zeigen. Er besaß nicht den Muth und die Kraft, sich zu weigern. Von einem Officier geführt, von dem Kaiser selbst und einigen höheren Officieren begleitet, zeigte er ihnen den Weg, der durch das von einem Gießbache durchströmte, von Felsen beengte und mit Wald bewachsene Rauthal führt. Das Bett des Baches bildete den Weg, und mit scharfem Auge erkannte Napoleon die Möglichkeit, auf ihm seine Geschütze auf die Anhöhe zu führen. Zwar mußten hier und dort Bäume gefällt und den Weg allzusehr beengende Felsen gesprengt werden, allein diese Schwierigkeiten ließen sich überwinden, und sofort ertheilte er den Befehl, das Werk mit allen Kräften zu beginnen, um den Weg fahrbar herzustellen.

Der Prediger, der ohne bösen Willen und durch Unvorsichtigkeit und Schwachheit diesen Weg verrathen, wurde bis zum folgenden Morgen auf dem Landgrafenberge zurückgehalten. Eine als Belohnung angebotene Geldsumme schlug er aus. Mit unendlichen Mühen wurde der einzig mögliche Weg durch dieses Thal fahrbar gemacht. Um acht Uhr Abends war er fertig, und mit denselben Mühen wurden nun die Pferde und Kanonen auf ihm hinausgeschafft. Napoleon selbst führte die Aufsicht und legte mit Hand an, um seine Soldaten anzufeuern. Halb getragen, halb gezogen, waren gegen Morgen die meisten der Geschütze auf die Anhöhe gebracht. Nun erst legte sich der Kaiser, in seinen Mantel gehüllt, für kurze Zeit auf dem Gipfel des Landgrafenberges nieder.

Der Morgen des 14. October war neblig und naßkalt. Ehe der Nebel verschwand, stand das französische Heer zum Kampfe geordnet da, während die Preußen in der festen Zuversicht, daß dieser Tag ein Ruhetag sein werde, und durch einen Brief Napoleons an den König von Preußen im Glauben eines Waffenstillstandes befestigt, sich der größten Ruhe überließen. Erst als die Sonnenstrahlen den Nebel scheuchten, als ihre angegriffenen und zurückgeworfenen Vorposten Alarm schlugen, wurden sie gewahr, daß Napoleon ihnen eine Schlacht bot. – Die Schlacht von Jena war in diesem Augenblicke fast schon entschieden. – Wie mag dem Manne, der den Weg durch das Rauthal verrathen, das Herz geschlagen haben, als die erste Kunde von der verlorenen Schlacht sein Ohr traf!

Nun – auch er ist längst todt wie der Schafhirt. Ob auch er so ruhig wie dieser gestorben, wer weiß es? So schön war sein Tod sicher nicht! – –

Fr. Fr.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_235.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)