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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Aus den Zeiten der schweren Noth.

Nr. 2.
Nur ein Schafhirt.

Die Vorbereitungen zu der Schlacht, welche auf Jena’s Höhen einen für ganz Deutschland so unheilvollen Ausgang nehmen sollte, wurden getroffen. Es war am 12. October. Das preußische Corps unter Hohenlohe, das mit allen Verstärkungen, die ihm Rüchel zugeführt hatte, nicht 40,000 Mann überstieg, standen in dichten Massen auf einer nördlich sich hinziehenden Höhenkette, rechts von der Straße von Jena nach Weimar, zwischen der Ilm und der Saale. Seine Vorposten standen auf dem Landgrafenberge, einem steilen Berge zwischen seiner Stellung und der Stadt Jena, von dessen Gipfel das preußische Heer völlig übersehen werden konnte, und über welchen der einzige Weg führte, um seine Stellung von vorne anzugreifen.

Die Armee des Königs von Preußen, unter dem unmittelbaren Befehle des Herzogs von Braunschweig, war über 65,000 Mann stark, etwas über eine Stunde weit im Rücken von Hohenlohe, in der Nähe von Weimar aufgestellt. So befand sich die ganze preußische Armee, aus etwas mehr denn 100,000 Mann bestehend, mit 18,000 trefflichen Reitern und 300 Kanonen, auf einem Schlachtfelde, wo ihre berühmte Taktik vollkommenen Spielraum zur Entwicklung hatte. Trotz ihrer Unglücksfälle beim Beginn des Feldzuges konnte sie immer noch mit dem Schwert in der Hand das Glück wiedergewinnen, und eine muthige, begeisterte Zuversicht erfüllte die Herzen der preußischen Krieger. Außerdem war ihre Stellung eine gute und trefflich concentrirte, und wollte Napoleon sie in derselben angreifen, so hatte er mit außerordentlichen örtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die die Entwicklung seiner besten Kräfte, der Reiterei und Artillerie, fast ganz verhinderten. Zwar war die Armee des Herzogs von Braunschweig von all ihren Magazinen abgeschnitten, und der Mangel stellte sich schon in ihr ein, allein ein einziger Tag des Glücks konnte alles Verlorene und noch mehr wiedergeben.

In Jena stand Lannes; Rey und Augereau hatten sich bei Roda und Kahla in seiner unmittelbaren Nähe aufgestellt, und Soult rückte mit einem starken Corps gleichfalls gegen Jena vor, während Davoust und Murat nach Naumburg rückten, um sich in den Besitz der dortigen großen Magazine zu setzen. Noch ließ sich der Ausgang der folgenden Tage nicht voraussehen; dem Anschein nach neigte sich die Wagschale des Glücks sogar den Preußen zu, denn sie hatten unbestreitbar die bei Weitem bevorzugtere Stellung inne, obschon ihnen ein kampfgeübtes Heer von über 100,000 Mann unter Napoleon selbst gegenüber stand. Daß eine gewaltige, entscheidende Schlacht bevorstand, ahnte ein Jeder. Schwer, drückend lag dies Gefühl auf der ganzen Gegend. Gleichviel auf welche Seite sich das Glück neigte, der weite Kampfplatz selbst war einem sicheren Verderben geweiht, und wer konnte ermessen, wie weit dieses sich ausdehnte? Noch wurden erst die Vorbereitungen zur Schlacht getroffen, und doch waren die Dörfer dieser Gegend schon so gut wie geplündert. Viele von den Einwohnern hatten sich mit einem Theile ihrer Habe und ihres Viehes auf die bewaldeten Höhen jenseit der Saale geflüchtet, die meisten hatten indeß zurückbleiben müssen.

Schon jetzt sah es in Jena’s Umgebung wie auf einem Schlachtfelds aus. In Unordnung hatten die Preußen diese Gegend geräumt, in unglückseligem Zerwürfniß zwischen Preußen und Sachsen hatten sie sich gegenseitig geplündert. Gepäck und Munitionswagen waren von ihren Führern verlassen und lagen zerstreut umher. Auf den Wegen und Feldern erblickte man Wagen, Waffen und Cuirasse. In die kaum frei gewordenen Stellungen rückten die Franzosen sogleich wieder ein und nahmen mit frechem Uebermuthe, was die Preußen und Sachsen übrig gelassen hatten.

An einem Bergabhange des linken Saalufers stand am Nachmittage dieses Tages ein Mann, den Kopf auf einen Stab gestützt und hinabschauend in das Thal, wo die Straße von Jena nach Naumburg sich hinzieht. Es war ein buntes, wirres Leben auf ihr. Soldaten, Pferde, Wagen drängten einander. Starr, gedankenvoll ruhte sein Auge auf diesem Treiben. Neben ihm weideten wenige Schafe. Die Kleidung des Mannes, ein einfach blauer langer Rock, ein großer, breitkrämpiger schwarzer Hut und eine lange Weste – seine ganze Erscheinung verriethen auf den ersten Blick, daß er ein Schafhirt war. Nur zuweilen warf er einen Blick auf die vier oder fünf Schafe neben ihm, und ein trauriges Lächeln zuckte um seinen Mund. Noch vor kurzer Zeit hatte er für seinen Herrn eine große und zahlreiche Heerde hier geweidet – diese wenigen Thiere waren Alles, was ihm davon geblieben war. Sie waren sein Eigenthum, hieher hatte er sich geflüchtet. Der Abhang war steil, und er durfte hoffen, daß hieher die Soldaten nicht dringen würden. Unten im Thale in dem Dorfe besaß er ein Haus. Aber in ihm hatten sich die Franzosen einquartiert und hatten ihn selbst daraus vertrieben. Die Wintervorräthe für seine Familie und seine Thiere hatte man gewaltsam genommen – was sollte er noch im Dorfe? Das Treiben des Feindes in der Nähe ansehen – er konnte es nicht! Er war allein, aber dann und wann ballten sich unwillkürlich seine Hände zusammen, und er stieß den Schäferstab fest auf die Erde. Er dachte an den Uebermuth und die Frechheit der Feinde – da schwoll ihm das Herz vor Unmuth, und seine dunklen Augen blickten unter den buschigen, aber bereits ergrauten Brauen wild und leuchtend hervor. Wär’ er zwanzig Jahre jünger gewesen, er würde nicht dort gestanden haben, aber seine Haare waren zu weiß für die Soldatenmütze.

Zwei Söhne von ihm standen droben auf der Hochebene in dem Heere, und auch zu ihnen eilten seine Gedanken. Ein Mann kam schräg an dem Bergabhange daher und eilte auf ihn zu. Er hörte ihn nicht, bis der neben ihm sitzende Hund anschlug. Schnell wandte der Hirt den Kopf, kaum hatte er den Kommenden indeß erblickt, so zogen sich seine Brauen noch finsterer zusammen.

„Nun, Born!“ rief der Herankommende, ein Mann von ungefähr fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, dessen kleine stechende Augen und scharf hervorstehende Backenknochen seinem Gesichte einen unangenehmen Ausdruck gaben. „Nun, Ihr steht hier so ruhig, als ob nichts im Werke wäre! Das ist ein Leben und Treiben ringsum, daß man Gott danken sollte, man wär’ mit heiler Haut daraus.“

„Wer hindert Euch daran?“ warf der Schäfer ein.

„Eure Söhne stehen dort oben unter den Preußen?“ fragte der Fremde.

Born nickte bejahend.

„Und Eure Frau und Tochter?“

„Sie sind drüben,“ erwiderte der Hirt, mit der Hand auf die Berge jenseit der Saale zeigend.

„Und denkt Ihr, daß sie dort in Sicherheit sind? Dorthin wird der Feind auch dringen.“

„Es kommt vielleicht nur noch auf einen Tag an, und die Fremden müssen wieder zum Lande hinaus, wie sie hereingekommen sind!“

„Ha, ha!“ lachte Sielert, so hieß der Mann, „denkt Ihr denn, daß die Preußen siegen werden? Ich komme heute von Kahla und Jena und habe gesehen, wie zahlreich die Franzosen sind; es sollen viel über 100,000 Mann sein, die lassen sich nicht so leicht zum Lande hinausjagen!“

Born blickte ihn scharf und finster an. „Ihr scheint Euch auf die Seite des Feindes geworfen zu haben,“ sprach er langsam.

„Nein – nein! Aber Napoleon versteht den Krieg!“

„Und seine Reiter und Kanonen wird er doch nicht an diesen Bergen in die Höhe schaffen!“ erwiderte Born. „Es giebt nur einen Weg, auf dem es möglich wäre, und den kennt er nicht und wird er auch nicht finden.“

„Und Ihr kennt ihn?“ fragte Sielert fast hastig.

„Ich kenne ihn,“ erwiderte Born ruhig. „Doch wohin führt Euch Euer Weg?“

„Nach Naumburg wollt’ ich,“ erwiderte Sielert. „Auf der Heerstraße ist nicht durchzukommen vor allen Soldaten, Pferden und Wagen – ich muß deshalb Nebenwege einschlagen! Lebt wohl!“

Lange blickte der Schafhirt ihm nach, und in seinem Auge lag ein finsterer Ausdruck. Langsam trieb er seine Thiere auf ein kleines Gehölz zu, welches in geringer Entfernung sich an dem Bergabhange hinzog. Dort sollten sie die Nacht über bleiben, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_233.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)