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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Am Scheidewege.

Von Th. Mügge.
(Fortsetzung.)


2.

Frau von Colombier bewohnte ein Landhaus von einem Garten umgeben, in dessen Nähe die Rhone vorüberrauschte und welcher die prächtigsten Blicke auf die Stadt und die Umgegend bot.

Der Garten war mit Blumen reich geschmückt. Fruchtbäume der verschiedensten Art besetzten die Gänge, und Weingehege füllten die Terrassen an dem dahinterliegenden Hügel. Das Landhaus war in dem schwerfälligen Styl gebaut, der im Anfange des Jahrhunderts üblich geworden. Einige Stufen führten zu einer Vorhalle, die von geschnörkelten Säulen getragen wurde, und vor ihr befand sich ein Rasenplatz, in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte, von schadhaften Amoretten und Najaden aus Sandstein umgeben und von niedrigen, glattgeschorenen Taxus- und Rosenhecken eingefaßt.

Unter der Halle hatte eine Gesellschaft von Herren und Damen Platz genommen, zu beiden Seiten eines Tisches, auf welchem verschiedene Erfrischungen standen, die ein alter Diener in Livrée mit hochstehendem Kragen, über welchen ein dickgepuderter Zopf fiel, in anstandsvoller Steifheit umherreichte. Frau von Colombier hatte ein feines, vornehmes Gesicht, weiße Hände mit langen Fingern, an denen viele Ringe steckten, scharfblickende Augen und ein angenehmes Lächeln für ihre Gäste. Sie mochte einige vierzig Jahre alt sein, aber sie überwachte ihren Anzug noch immer auf’s Sorgfältigste, wohl darauf bedacht, durch ihre Erscheinung den vortheilhaften Eindruck zu vermehren, den ihre geistige Gewandtheit und ihre feinen Sitten hervorriefen. Die ältere Dame an ihrer Seite war die Frau Vicomtesse von Halincourt, Wittwe des Gouverneurs der Provinz, und der verbindliche Herr mit dem Ludwigskreuz und toupirter Perrücke der Baron Salingré, ein alter Cavalier vom Hofe Ludwigs XV., der die schönsten Tage der Madame Pompadour und ihrer Nachfolgerin, der himmlischen Du Barri, gesehen hatte.

Der Baron unterhielt die beiden Damen mit allerlei geheimen und interessanten Nachrichten, welche er aus Paris erhalten hatte, über die Lage des Königs und der Königin und über die Erwartungen der Hofpartei, daß Se. Majestät nahe daran sei, endlich die Geduld zu verlieren und diese immer frecher werdende Nationalversammlung nächstens in ihr Nichts zurückzuschleudern. Paris war eben damals von mehr als dreißigtausend Soldaten umringt, ihr General, der Herzog von Broglie, zu allem bereit. Der König durfte nur befehlen, seine Unentschlossenheit blieb allein zu beklagen. Aber lange konnte diese nicht mehr dauern, denn die Königin war gewonnen, Necker hatte allen Einfluß verloren, der Schlag konnte jeden Tag erfolgen. Der Baron hatte noch immer einige bedeutende Verbindungen mit dem Herrn von Liancourt und anderen Personen von Ansehen, er wußte somit Manches und theilte es seinen Freundinnen mit zuversichtlichen und spöttischen Mienen, aber mit vertraulich gedämpfter Stimme mit. Weit lauter ging es dagegen an der anderen Seite des Tisches her, denn dort hatte sich der Lieutenant Demarris zwischen einigen jungen Damen und Herren festgesetzt und er unterhielt diese so eben mit den Abenteuern einer Reise, welche er im Frühjahr in Begleitung seines Freundes Bonaparte nach Savoyen gemacht hatte, wobei dieser auf dem Mont-Cenis beinahe um’s Leben gekommen wäre ohne seine Geistesgegenwart.

Er hatte diese Geschichte allerdings schon mehr als einmal erzählt, sie fiel ihm jedoch jetzt wieder ein, als von seinem Freunde die Rede war, der damals eben so wie heute bald nachzukommen versprochen hätte, dennoch aber ausblieb und erst in der Nacht zwischen entsetzlichen Abgründen aufgefunden wurde, als Demarris Leute aufbot, mit denen er ihn aufsuchte und in Sicherheit brachte.

„Wir wollen hoffen, Herr Demarris,“ sagte eine der jungen Damen, indem sie allerliebst lachte und die schönsten Zähne zeigte, „daß der Lieutenant Bonaparte nicht etwa wiederum zwischen Abgründen sich verirrt hat, da Sie nicht bei ihm sind, um ihn zu retten.“

Die Gesellschaft stimmte ihr bei, aber Demarris machte ein bedenkliches Gesicht und erklärte, daß er nicht dafür stehen wolle, ob Bonaparte nicht heute in noch größerer Gefahr schwebe, als damals auf dem Mont-Cenis.

„Wie sollte das möglich sein’?“ fragten Mehrere zugleich.

„Es ist so ein Gedanke, der mich überkommt,“ sagte der junge Officier, „aber – ein Wunder wäre es nicht, wenn meine Ahnung zuträfe.“

„Um des Himmels willen! welcher Gedanke? welche Ahnung? Wo ist der Lieutenant Bonaparte? Ist er krank? Reden Sie doch!“ schrie der ganze Kreis, und Demarris kreuzte seine Arme und lächelte geheimnißvoll. „Bonaparte ist zu Hause,“ sagte er, „wie immer bei seinen Arbeiten. Aber ich erzählte Ihnen schon, daß er Besuch von einem Landsmann erhalten hat, den ich selbst zu ihm gewiesen habe.“

„Dabei ist doch nichts Gefährliches, wenn ein Landsmann uns besucht?“ wurde er von dem schönen Fräulein unterbrochen.

„Nein, Fräulein Beatrice, man freut sich darüber, obendrein wenn man ihn von Jugend an kennt, wie Bonaparte diesen Herrn Pozzo di Borgo.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_225.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)