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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Sonne am 12. August aus ihrem Nachtlager, um das Festzelt am Bissensee zu betrachten und mit ihren Strahlen zu vergolden. Die Officiere verwendeten unendliche Zeit zum Anziehen; die reinen Hemden wurden aus den Koffern im Bagagewagen herbeigeholt und der muffliche Geruch derselben wurde mit Eau de Cologne, so weit thunlich, vertilgt. Haaröl war leider wenig vorhanden, daher wurde trotz der eifrigen Protestation des alten Oberlieutenants eine Flasche Salatöl geopfert, und wir erglänzten Alle in nie gesehener Pracht. Besonders M. war wie ein Oelgötze so blank. Er wiegte sich in den Hüften, spielte sinnend mit einer Lorgnette, zupfte Tausendschön und Gänseblümchen zwischen den Fingern und verschmähte es, eine Cigarre zu rauchen, weil Marie den Geruch nicht leiden mochte.

Die Delicatessen wurden ausgepackt. Ein furchtbar schöner Anblick! Der Oberlieutenant stand mit den Händen in der Hosentasche am Tische und las mit Heißhunger die Vignetten der verschiedenen Flaschen, Schachteln, Krüge und Gläser. „Ananas! B., Sie sind ein Gott! Ananas! himmlische Gerechtigkeit, ist es Wahrheit oder Dichtung? träume ich, oder bin ich bei Sinnen? Ananas und Austern! Sie haben doch genug Austern? Sonst schicken wir lieber nochmals nach Rendsburg. Ich will meine Uhr versetzen, wenn es nöthig; wir wollen uns heute nicht lumpen lassen; nein, hole mich der Teufel, B., nur nicht lumpen lassen!“

„Komme doch, komme doch, komm, Du Schöne!“ flötete M.

„Herrrrjeses,“ schrie der alte Oberlieutenant, „Mensch, Freund und Kupferstecher, wie können Sie bei diesem Anblick da solch dummes Zeug herbrüllen!“

„Dein ist mein Herz,“ entgegnete M., indem er seinen Arm um den Leib seines Freundes schlang, „Sie sollen meine Portion Caviar haben, aber dann lassen Sie mich auch singen.“

„Caviar? Caviar?“ rief der Alte, indem er M.’s Hand preßte. „Goldjungen, die Ihr seid, mein Lieblingsessen! Caviar? Hört, Kinder, laßt mich ihn einmal versuchen, ob er auch gut ist. Was? Blos eine Messerspitze voll! Soll ich, B.? Ja?“

„Gott bewahre!“ rief B., „das wäre ja gegen die Kleiderordnung. Auch nicht daran riechen dürfen Sie. Geduld!“

„Es ist recht so,“ stöhnte der Alte, „na, wie spät ist es denn schon?“

„Elf Uhr,“ entgegnete M., „in der nächsten Stunden Schooße liegt das Schicksal einer Welt. Hurrah, da kommt schon ein Wagen.“ – Und so war es. Ein Wagen voll junger Mädchen erschien am Rande des Waldes, zwei, drei, vier Wagen folgten hinterdrein. Welch’ ein Anblick, so ein holsteinischer Wagen, von zwei dicken, fetten Dithmarser Pferden gezogen, den alten Kutscher in seinen Sonntagskleidern auf dem Kutschersitze, die Meerschaumpfeife mit der Perlenschnur unter der rothen Weste hervorguckend.

In langsamem Trabe nahte sich die Karawane, und als sie endlich anhielt – ja, wer beschriebe diese Scene ? Die alten Herren quetschten mit ihren Händedrücken unsre Finger, die Mama’s blickten uns mit ihren blauen Augen so unverwüstlich gutmüthig an, die Töchter waren so bodenlos verschämt und lächelten so riesig naiv, daß man aus Mitleid mit den armen Dingern hätte vergehen mögen. Der Ach’s und der O’s über diesen „reizenden Platz“ war kein Ende, das „Wetter war so schön“, „so hätten sie sich’s doch nicht gedacht“ und „so gemüthlich, wie wir uns eingerichtet hätten“, waren die Thema’s, über welche in der nächsten Stunde geplaudert ward.

Indessen trugen die Kutscher aus den Wagen unendliche Quantitäten von Lebensmitteln und stapelten sie in der Nähe des Zeltes auf. Der alte Lieutenant kam mit Thränen in den Augen zu mir, zog mich einige Schritte abwärts und sagte: „O Hauptmann – sie haben Gurkensalat und kalten Entenbraten mitgebracht.“

„Sonst nichts?“ fragte ich.

„Sonst nichts? Ist das nichts? Rothe Grütze, Kuchen, Torten, Gänse-, Enten-, Hühner-, Reh- und Hasenbraten, Fische gebraten, gesotten und in Gelée, Eistorten, Chocolade, gekochte Krebse, geräucherten Aal, Heringssalat einen Eimer voll! O! es sind Mordkerle, diese Pächter, es ist der schönste Tag meines Lebens! Na, ich sage Ihnen, ich will aber heute einen Zungenschlag entwickeln, der soll gut sein.“

Dabei liebkoste er seinen Schmeerbauch und blickte in die Zukunft, wie Einer, dem es nie fehlschlagen kann.

Der Major war indessen erschienen und hatte mit seiner liebenswürdiger Höflichkeit die Gäste willkommen geheißen. Die Pächter beeilten sich, dem allgemein bekannten und geachteten Commandeur ihre Hochachtung zu beweisen, und die jungen Officiere hatten einen Augenblick Gelegenheit gehabt, mit den jungen Damen Blicke und Händedrücke zu wechseln.

Als B. die Gruppen richtig vertheilt sah, meldete er, daß der Tisch gedeckt sei, und der Major führte eine dicke, fettstrahlende Pächtersfrau an den Platz, wo die Fensterscheibe paradirte. Ich nahm M.’s künftige Schwiegermutter und wußte mich so mit ihr zu placiren, daß ihr Ehegatte den verliebten Lieutenant und sein ebenso verliebtes Mariechen nicht zu Gesicht bekommen konnte.

Ein dankbarer Blick von M. war mein Lohn. Der alte Lieutenant hatte sich nicht mit einer Tischdame „behaftet“, er saß am obern Ende, von wo aus er den ganzen Tisch mustern konnte. Ich habe ihn nie so selig lächeln sehen.

Suppe hatten wir keine, es ging daher gleich über Braten und Compote her. Die Schlacht sollte mit Hühnern anfangen und mit Austern aufhören; die Hühner lagen in Petersilie in den Schüsseln und hielten ihre Herzen und Lebern zwischen den Beinen; sie dufteten so schön, ach so schön, daß ich noch nicht begreifen kann, wie der Unhold von einem Adjutanten in gestrecktem Galopp an das Zelt reiten und laut ausrufen konnte: „Der Major des dritten Jägercorps!“

Der Major erhob sich, empfing eine schriftliche Ordre. Einen Augenblick tiefe Stille. Dann tönte des Majors laute Stimme:

„An die Gewehre!“

Und an unsre Gäste sich wendend, sagte er: „Die Dänen rücken an, sie haben die Mühle bei Stenten genommen, wir müssen vorgehen. Auf Wiedersehen!“

Binnen fünf Minuten erschollen die Commando’s: „Ueber das Gewehr! In Sectionen vom rechten Flügel abmarschirt! Ohne Tritt, Marsch!“

Wir zogen rasch vorwärts, denn es begegneten uns schon Wagen mit Verwundeten. Adjutanten und Ordonnanzen ermahnten unaufhörlich zum raschen Marschiren, und als wir die Höhe von Stenten erreichten, da sahen wir das zweite Jägercorps langsam einer Uebermacht der Dänen weichen.

„Rechts das Gewehr! Trab, Trab, Jungens!“ rief der Major. „Haltet gut Ordnung, Kinder, Trab, Trab!“

Wie ein Gewitter stürzte sich das dritte Jägercorps in’s Gefecht, die Dänen zogen sich zurück und hielten die Mühle bei Stenten besetzt, von wo sie mit 4 Geschützen und gegen 1000 Mann auf die Schleswig-Holsteiner feuerten. Die Mühle lag auf einem schmalen Damm, mitten in einem kleinen See und war durch die Feigheit eines Hauptmanns vom zweiten Jägercorps an die Dänen verloren gegangen. Der Major von E. klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Nehmen Sie die Mühle schnell, ehe das zweite Jägercorps sich sammelt.“

Ich hatte bei meiner Compagnie einen schwedischen Officier, Premierlieutenant L., den verwegensten Mann, den ich je gesehen habe. Er riß sein Käppi vom Kopfe, als er den Befehl zum Angriff hörte und rief laut: „Gud forbanda de Danska.“ Ich nahm ihn, einen östreichischen Officier, Lieutenant, und alle Freiwilligen an die Spitze der Compagnie und ließ im Paradeschritt vorrücken. Plänkeln und Schwärmen konnten uns nichts helfen; nur ein geschlossener Angriff konnte uns in Besitz der Mühle setzen. Meine braven Jäger sangen während des Vorgehens: „Der Hauptmann, er lebe!“ – und schritten mit geschultertem Gewehr auf den Damm zu. Eine furchtbare Salve empfing uns.

„Zum Angriff das Gewehr!“ rief ich meinen Leuten zu.

„Schießt erst, wenn wir in der Mühle sind. Trab!“

In diesem Augenblick ritt ein Stabsofficier an mich heran und fragte: „Haben Sie viel verloren?“

Ich kannte den Officier nicht, erwiderte daher kurz: „Ich glaube es nicht, habe mich übrigens nicht umgesehen.“

Da rief plötzlich ein Freiwilliger aus Frankfurt, Namens D.: „Das ist Heinrich v. Gagern!

Ein Hurrah, wie es wohl selten ertönt haben mag, begrüßte den edlen Mann, der in schleswig-holsteinischer Uniform sich an die Spitze der Sturmcolonne setzte. Wie wir an die Mühle kamen, das weiß ich nicht. Wir stürzten jubelnd vorwärts, und als wir die Mühle erreichten, da sprangen die Dänen aus Fenstern und Thüren zu Hunderten heran.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_138.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)