Seite:Die Gartenlaube (1861) 132.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Gedanken nicht, je wieder auf irgend eine Weise mit Welly in Berührung zu kommen.

Sie sandte nach dem Prager Banquier, an den Werner die Gelder angewiesen hatte, die sie regelmäßig bezog, und ließ sich von ihm die Summe auszahlen, deren sie zu ihrem Vorhaben bedurfte. Dann schrieb sie mit fester Hand einige Zeilen an Frau von Handel, der sie das Vorgefallene andeutete. Sie sprach ihr den wärmsten Dank für alle empfangene Güte aus, verschwieg aber selbst ihr, wohin sie gehen würde. Nachdem sie diesen Brief dem Banquier mit der Bitte übergeben hatte, ihn durch einen Boten an die Adresse zu befördern, ließ sie sich einen Wagen bringen und verließ Prag noch an demselben Nachmittag.

Während der ersten Stunden ihrer Abwesenheit aus Frau von Handel’s Hause ward sie dort nicht vermißt, da sie die Gewohnheit hatte, die Morgenstunden in ihrem Zimmer zuzubringen. Welly vermißte allerdings, sobald er von einem kurzen Gang in den Garten zurückkam, sogleich seinen angefangenen Brief und konnte ein höchst unbehagliches Gefühl nicht entfernen. Als zur Mittagszeit Emilie umsonst in Haus und Garten gesucht ward, als Stunden vergingen, ohne sie zum Vorschein zu bringen, und die Unruhe der Frau von Handel zu immer lebhafterer Sorge stieg, weckte dieser Umstand eine namenlose Angst in seiner Seele. Endlich gestand er in seiner heftigen Aufregung der Frau von Handel, was vorgefallen war, und sie, die Emiliens Reizbarkeit, ihre stets erhöhte Gemüthsstimmung kannte, theilte seine Besorgnisse im höchsten Grade. Ohne selbst zu wissen wozu, stieg Welly endlich zu Pferde, um die Umgegend zu durchstreifen, als ein Bote Emiliens Brief überbrachte, der allen Zweifeln eine trostlose Lösung gab.

Er begann Emilie zu suchen, nach allen Seiten, nach allen Richtungen. Er verfolgte die Spur, die sich ihm von Prag aus bot, mit peinlicher Spannung, aber bald verlor er jeden Anknüpfungspunkt; es schien, als habe die junge Frau mit scharfsinniger Besonnenheit die Mittel gefunden, jede Spur zu verwirren.

Nach wochenlangen vergeblichen Nachforschungen kehrte Welly endlich entmuthigt und freudlos auf seine Güter zurück.


Etwa zwei Jahr später fuhr ein eleganter Wagen mit zwei herrlichen Rappen bespannt in Eger ein und hielt vor dem besten Gasthofe an. Ein junger Mann von vornehmer Haltung sprang aus dem Reisewagen und hob eine junge Dame von glänzender Schönheit heraus. In der Art, wie sie sich auf seinen Arm stützte und wie ihre hübschen, scheuen Blicke die seinigen suchten, erkannte man die schüchterne Liebe einer kaum zur Frau gewordenen Braut. Er selbst war mit zärtlicher Sorgfalt um sie bemüht, doch trug sein abgespanntes Gesicht nicht den Wiederschein eines so vollständigen Glückes als das ihrige.

Als er mit ihr die Treppe hinaufstieg, um die ihnen bestimmten Zimmer aufzusuchen, kam ihnen ein alter Herr entgegen, der mit gebeugtem Haupte und, wie es schien, von schweren Gedanken erfüllt, nicht von der Erde aufsah. Bei seinem Anblick erbleichte und schwankte der junge Mann, in diesem Augenblick sah der Aeltere auf und fuhr mit einem lauten Ausruf zurück. Als er sich von der ersten Bewegung erholt hatte, nahmen seine Züge einen furchtbaren Ausdruck an; er ergriff den Arm des jungen Ankömmlings und sprach mit eisigem Ernst: „Kommen Sie mit mir, Herr von Welly!“ Als jener betroffen zurückwich, rief der Greis mit schrecklicher Stimme: „Elender, Du mußt!“

Von einer furchtbaren Angst erdrückt, fast willenlos folgte Eduard Welly seinem Führer, der ihn über die Straße in das gegenüber liegende Haus zog. Ohne ein Wort zu sprechen, führte er ihn dort die Treppe hinauf, indem seine Hand stets mit eisernem Griff den Arm des jungen Mannes festhielt, und öffnete die Thür eines kleinen Zimmers. Von unheimlicher Ahnung betroffen hatte Welly die Hand seiner jungen Frau losgelassen, die stumm und bestürzt den Beiden folgte.

Der alte Mann zog Welly in den Hintergrund des Zimmers, und indem er von dem dort befindlichen Bett den Vorhang zurückwarf, rief er mit dem Ausdruck des höchsten Schmerzes: „Da sieh Dein Werk!“ und sank vor dem Lager nieder.

Noch einmal stand Welly vor Emilien. Zu Asche erbleicht, mit wankenden Knieen stand er da, und sein Blick wurzelte auf dem abgezehrten Antlitz der Geschiedenen. Friede und Verklärung leuchteten von dem ruhigen Gesicht, ein Lächeln voll Milde umschwebte die erblaßten Lippen, und die bleichen, feinen Hände lagen gefaltet auf ihrer Brust.

Nach einer tödtlich langen Pause erhob sich Werner und sprach mit unnatürlicher Ruhe: „Vor zwei Jahren ließ der Zufall mich mein Weib hier finden – es war wenige Monate nachdem Sie ihr den Todesstoß gegeben hatten. Gott sei Dank, sie gab zu, daß ich bei ihr blieb. Zwei Jahre lang sah ich dies holde Geschöpf vor meinen Augen langsam dem Tode zuwelken, ein Opfer des nagenden Grams. Während dieser Zeit habe ich jeden Tag in meinem Herzen gelobt, an Ihnen, der sie zu Grunde gerichtet hat, eine heilige Rache zu nehmen – ich wartete nur, bis sie meiner nicht mehr bedurfte. Aber fürchten Sie nichts,“ fuhr er mit bitterm Ton fort, „Sie sind sicher. Der Mann, den Sie beleidigt, dem Sie nicht nur sein Alles geraubt, sondern es nachher wie ein werthloses, abgenütztes Spielzeug bei Seite gestoßen haben, dessen Haar Ihre Schuld bleicht, dessen Glück durch Sie in Jammer verwandelt ward – er wird Ihnen nichts anhaben, denn ich habe es dieser Verklärten in ihrer Sterbestunde gelobt. Ihnen zu vergeben vermag ich nicht, aber ich überlasse Sie ihrem eigenen Gewissen und der Hand Gottes, die Sie auch heut diesen Weg geführt hat! Gehen Sie, verlassen Sie diese Stätte, die Ihre Gegenwart entheiligt, und vergessen Sie, was Sie hier gesehen – wenn Sie es können!“

Mit diesen Worten begrub der alte Mann sein blasses Gesicht in den Kissen des Sterbelagers.

Wie von Furien verfolgt floh Welly aus dem Hause, ohne auch nur die todtenbleiche Clara zu bemerken, die ihm halb bewußtlos folgte.

Welly ist ein berühmter Staatsmann geworden und steht an der Spitze einer glänzenden reichbegabten Familie, aber niemals wieder hat man ihn lächeln sehen.


Bogumil Goltz.

An geistvollen Schriften mangelt es unserm lieben Deutschland heutigen Tages wahrhaftig nicht. Aber doch fehlt ihnen etwas – wohlverstanden, ich rede hier nur vom Durchschnitt und verwahre mich ausdrücklich gegen jede anderweitige böswillige Deutung – etwas fehlt ihnen, eine Kleinigkeit, von der freilich hie und da Leute behaupten, in ihr gerade liege der Werth einer Schrift, und ohne sie sei eine solche gar wenig nütze, – sie entbehren oft aller Kraft und Tiefe. Aus allerlei Fetzen und Flicken zusammengequält, ohne Trieb und Keimfähigkeit, ohne Art und Wesen, verstaubt und verlegen, schmecken sie gar zu sehr nach Schulwitz und Schulstaub, und gar zu wenig nach der Quelle. Mephisto hat wiederum Recht, mein lieber Faust, „Dir steckt der Doctor noch im Leibe!“

Da mag wohl Manchen von Zeit zu Zeit die Sehnsucht angewandelt haben nach einem rechten frischen Frühlingsregen, der all den alten dürren Staub von seiner Seele fortspüle; Mancher ging vielleicht mit sich zu Rathe und kam zu dem Schluß, jene Art von Schriften sei zwar sehr bequem und außerordentlich anständig, aber er wolle schon gern ein Paar harte, scharfe Kanten, eine Paar wilde, überwuchernde Schößlinge mit in den Kauf nehmen, wenn ihm nur etwas geboten werde, was ihn aufrichte und erhalte, ihn erfrische und erquickte nach der Mühsal und Mattigkeit, Hast und Schwüle der lieben täglichen Arbeit.

Darum, als vor vierzehn Jahren „das Buch der Kindheit“ erschien, ward es von allen Seiten, von Hoch und Niedrig, mit freudigem Zuruf begrüßt und aufgenommen; die erste Auflage war im Umsehn vergriffen[WS 1], eine zweite nothwendig geworden; Bogomil Goltz hatte sich mit einem Schlage vieler Menschen Anerkennung und Liebe, und mehr noch, einen ehrenvollen Platz in der heutigen Literatur erworben.

So damals. Seit jener Zeit nun hat Goltz unermüdlich fortgefahren, dem Publicum die Früchte eines reichbewegten Lebens, langjähriger ernster Studien und Erfahrungen vorzulegen. Von Jahr zu Jahr fast ist eines seiner längst vorbereiteten Werke herausgekommen; so 1847 „deutsche Entartung“, 1850 „des

  1. Vorlage: ergriffen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_132.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)