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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Löwen vergrößert, würde ein wahrhaft schauderhaftes Zerstörungswerkzeug darstellen.

Die Gefräßigkeit aller dieser Thiere übertrifft meistens noch diejenigen der eigentlichen Fleischfresser, und man behauptet wenigstens von vielen derselben, daß sie täglich so viel Nahrung verzehren, als ihr eigenes Gewicht beträgt, was mir einigermaßen übertrieben vorkommt. Aber sie sind klein, unscheinbar und müssen ihre Beute meistens in denjenigen Thierkreisen suchen, wo des Menschen Feinde überwiegen. Kein Zweifel, daß es ihnen zuweilen gelingt, eine größere Beute zu erhaschen, daß der Maulwurf zuweilen einen Frosch unter die Erde hinabzieht oder der Igel ein auf dem Boden angebrachtes Nest mit jungen Vögeln aushebt. Allein das sind doch nur Ausnahmen, außerordentliche Feste, und im gewöhnlichen Leben müssen sie durch rastlose, unermüdliche Jagd nach Insecten, Schnecken und anderem Gewürm den Forderungen ihres unersättlichen Magens Genüge thun.

Die Fledermäuse stehen in der ersten Reihe. Was hat man nicht aus den unschuldigen Flatterern gemacht, die dem jüdischen Gesetzgeber schon für eine unreine und verfluchte Bestie galten und welchen die Griechen die Flügel ihrer Harpyien, die Christen diejenigen des Teufels entlehnten! Ein allgemeiner Schreck bemächtigt sich jeder Gesellschaft, in deren Nähe solch’ ein armes Thier sich verirrt, vielleicht angezogen durch den Lichtschimmer, bei welchem man in der Abendfrische eines heißen Sommerabends tafelt. Die Nähe schon gilt den Abergläubischen für ein böses Anzeichen, und die muthigen unter den Damen entschuldigen ihren Schreck mit der Behauptung, das Thier könne ihnen leicht in die Haare gerathen – freilich wohl ist das zu fürchten, wenn Insecten darin zu suchen sind.

Es ist wahr, sie sind weder schön, noch liebenswürdig, diese Flatterer der Nacht. Die nackten, schwärzlichen, dünnen Flügelhäute, die zwischen den verlängerten Fingern ausgespannt sind, wie der Taffet eines Regenschirmes zwischen seinen Stäben; die häßlichen Krallen an den Hinterfüßen; die mausfahle Farbe des Leibes; die nackten Anhänge, womit Nasen und Ohren oft auf die bizarreste Weise verunstaltet sind; das unheimliche Huschen und Flattern ohne bestimmte Richtung um Büsche und Bäume; das geräuschlose Erscheinen und Verschwinden in der Stille der Nacht, und selbst der scharfe, quiekende Schrei, den nicht alle Ohren vernehmen können, so bedeutend ist die Höhe des Tones – alle diese Eigenschaften sind nicht dazu angethan, die Liebe des Menschen dem Gethier zu erwerben.

Aber nicht umsonst haben wir eine Menge Arten dieser fliegenden Säugethiere in unserer Gegend; Arten, deren jede ihre eigene Lebens- und Flugweise hat. Die einen, wie die Hufeisennasen, die empfänglich gegen die Kälte sind, erscheinen spät und fliegen langsam und niedrig bei trockenem und heißem Weiter, während sie gerne in Höhlen und Ruinen den Tag verbringen; – die andern, wie die großohrige Fledermaus, ziehen Bäume, Wälder und Gebüsche vor; – die Bartfledermaus verfolgt lieber die Insecten, welche über den Gewässern schweben, während die Zwergfledermaus einer Schwalbe gleich die Lüfte durchschneidet und, wie die Speckmaus, die Wohnungen der Menschen und namentlich die warmen, schützenden Kamine allen übrigen Aufenthaltsorten vorzieht. Es scheint sogar, als ob aus ziemlicher Ferne her die Speckmäuse sich an gewissen Lieblingsorten sammelten, um dort klumpenweise an den Hinterfüßen, den Kopf nach unten hängend, ihren Winterschlaf durchzumachen. Vor einer Reihe von Jahren schon wurde im Schlosse Lucens bei Morges in dem Kamine eines Zimmers Feuer gemacht, das man seit Jahren nicht benutzt hatte. Das Feuer wollte nicht ziehen; die aus dürren Reisern und Sägespanen gemachte Flamme schlug mit dem Rauche zurück in das Zimmer. In dem Kamine erscholl seltsames feines Quieken, sonderbares Rascheln; einige Fledermäuse fielen halbverbrannt in die Lohe, andere flatterten ängstlich im Zimmer umher; draußen aber erhob sich aus dem Kamine endlich eine wahre Wolke von Fledermäusen, die in der Kälte ängstlich nach einem Zufluchtsorte suchten und so zahlreich waren, daß es schien, als hätten sich alle Fledermäuse des Cantons Waadt in dem Kamine von Lucens zu gemeinschaftlichem Winterschlafe Rendezvous gegeben.

Nur deshalb, weil sie zum Lieblingsaufenthalte Kamine wählt, trägt diese Art den Namen Speckmaus und den irrigen Ruf, als fresse sie dem Bauer den Speck und die Würste im Rauchkamine. Im Winter, wo Speck und Salzfleisch im Rauche hängen, hängt das im Winterschlafe erstarrte Thier friedlich daneben und fühlt weder Hunger, noch Durst. Mit den scharfen Hakenkrallen der Hinterfüße hat es sich irgendwo angeklammert, Kopf und Leib in den weiten Mantel der Flügel gehüllt, und so harrt es, vollkommen erstarrt und bewegungslos, der erwärmenden Sonne des Frühlings entgegen, die auch die Insectenwelt wieder zum Leben erweckt. Dann sucht es seine Nahrung, und ein Dutzend wohlgenährter Maikäfer ist nicht zu viel für eine Speckmaus oder 60 bis 70 Stubenfliegen für eine Ohrfledermaus zu einer einzigen Abendmahlzeit. Lasse man sie also ruhig gewähren, denn selbst in der Gefangenschaft nehmen sie nur lebende Insecten und höchstens ein Bischen Milch, und wer seine Stube oder Küche von Fliegen reinigen will, kann nicht besser thun, als Tags über ein Rothkehlchen und Nachts über eine Fledermaus zu halten. Im Freien aber sind die Fledermäuse die unersättlichen Kammerjäger, die sich mit Vertilgung der Mai- und Mistkäfer und namentlich jener schädlichen Nachtfalter beschäftigen, die als Spinner, Spanner, Wickler und Motten uns so empfindlichen Schaden zufügen. Der Ringelspinner, der Goldschwanz, die Obstglucke, deren Raupen unsere Bäume verwüsten und schon so manche reiche Obsternte vernichtet haben, sind Leckerbissen für diese harmlosen Thiere, die unseren Feinden nachstellen, während wir im süßen Schlummer von den Aepfeln und Birnen träumen können, deren Erhaltung sie uns sichern. Lasse man sich also nicht irre machen durch Erzählungen von Vampyren und ähnlichen gespenstischen Spukgestalten – in südlichen Gegenden mag es Fledermäuse geben, die Blut saugen und Vieh und Menschen bis zur Entkräftung abzapfen – wir leben aber nicht unter den Wendekreisen, und unsere einheimischen Arten dürsten nur nach dem kalten weißen Blute schwirrender Insecten, nicht nach dem warmen rothen Blute lebender Menschen. Auch saugen die Fledermäuse keine Milch aus den Eutern der Kühe und Ziegen, noch bringen sie, wie man an manchen Orten glaubt, den Kindern Läuse oder den Erwachsenen Krätze – sie werden freilich von eigenthümlichen Schmarotzerinsecten, sogenannten Lausfliegen, geplagt, die aber eben so wenig auf den Menschen übergehen, als die Tauben- oder Hühnerläuse, von welchen die Ställe dieser Vögel wimmeln.

Sowie die Fledermäuse unermüdliche Jäger über der Erde, so sind die Maulwürfe unermüdlich unter der Erde hinter Regenwürmern, Werren und Engerlingen drein. Das Thier ist zum Wühlen gebaut; der dicke, walzige Körper mit dem glatt anliegenden feinen Pelze; die spitz kegelförmige Schnauze mit dem langen, äußerst empfindlichen Rüssel, der durch einen Knochen besonders gestützt ist; die breiten, schaufelförmigen Grabfüße; das außerordentlich kleine, von Borsten umstellte und geschützte Auge und der Mangel eines äußeren Ohres – all’ diese Charaktere sind eben so viele Hülfen zum beständigen Leben und Graben unter der Erde. Aber es giebt auch Grabmäuse, die nicht minder gewaltig die Erde durchfurchen und die sich hauptsächlich von Wurzeln nähren. Besehen wir also das Zahnsystem. Vierundvierzig Zähne im Ganzen, alle schneidend und scharfspitzig, Eckzähne wie Dolchklingen, Backzähne wie Mauerkronen oder Sägeränder – sieht so das Gebiß eines Pflanzenfressers aus? Aber die fast allgemeine Ansicht der Gärtner und Landwirthe ist doch, daß der Maulwurf Wurzeln fresse, wenn es uns auch schwer begreiflich scheint, wie er mit seinen spitzigen, nur zum Reißen geeigneten Zähnen die Pflanzenfasern zermalmen soll. Volkesstimme – Gottesstimme; vielleicht frißt der Maulwurf doch Wurzeln trotz seines Fleischfresser-Gebisses; vielleicht bildet er allein eine Ausnahme in der Säugethierwelt? Was er gefressen hat, muß er im Magen haben. Sehen wir also im Magen nach. Halbverdaute Stücke von Regenwürmern; braune Hornstücke, die wir ohne Mühe für Kopfplatten, Kneipzangen und Beine von Engerlingen erkennen; Flügeldecken, Ringe, Füße und ähnliche unverdauliche Horntheile des Hautpanzers von Käfern, Werren, Tausendfüßen und Larven finden sich in dem Speisebrei; aber keine Pflanzenfaser, kein Blattgrün, kein Stückchen Rinde oder Holz, keine Spur von vegetabilischem Gewebe. Selbst mit dem Mikroskope gelingt es nur schwer, hie und da eine vegetabilische Zelle zu entdecken, die aus dem Darme der gefressenen Thiere stammt, deren Reste der Mageninhalt aufweist. Ich habe Dutzende von Maulwürfen secirt und niemals Pflanzenreste im Magen oder Darme gefunden.

Die Beobachtungen an gefangenen sind nicht minder überzeugend. Flourens, der jetzige Secretair der Akademie der Wissenschaften

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_125.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)