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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Sie mir daher, anzudeuten, wie der große Sohn Preußens mit dem größeren Sohne Sachsens geistig Hand in Hand gegangen und ihm unbewußt ein Helfer geworden ist an seinem Lebenswerke.

Man faßt den großen Preußenkönig nicht nach seiner vollen Bedeutung auf, wenn man ihn nur als den Begründer der preußischen Staatsmacht und ihrer politischen Weltstellung, und daneben als einen aufgeklärten Regenten betrachtet. – Viel bedeutender steht er zunächst in der Geschichte unseres deutschen Volkes da, als Wiedererwecker der ersten Regungen deutschen Nationalbewußtseins, als die erste große Persönlichkeit, im Hinblick auf welche der Deutsche als solcher seit lange wieder einmal jenen edlen Stolz empfinden konnte, den Lessing in seinem Volke zu erwecken so unablässig beflissen gewesen ist.

Wir wissen aus Goethe’s biographischen Jugendbekenntnissen, wie „der Enthusiasmus für den offenbar über alle seine Zeitgenossen erhabenen Mann, der täglich bewies und darthat, was er vermöge,“ sich durch ganz Deutschland und selbst in den stillen, abgeschlossenen Kreisen des Frankfurter Lebens geltend machte, und wie in der alten Krönungsstadt der deutschen Kaiser die Begeisterung für diesen Empörer gegen Kaiser und Reich selbst Familien und Befreundete zu erbitterter Parteinahme auseinanderriß. So waren der Knabe Goethe und die nächsten Seinen, wie er in „Dichtung und Wahrheit“ sagt, „Fritzisch gesinnt“; „Fritzisch“, fährt Goethe fort, „nicht preußisch! denn was ging uns Preußen an? Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüther wirkte.“ – Und wie der Knabe Goethe die fliegenden Blätter der Siegeslieder auf die Thaten des großen Königs und die Spottlieder auf seine Feinde und Gegner eifrig abschrieb, so stand auch dem in Leipzig studirenden Jünglinge Goethe Friedrich II. noch immer über allen vorzüglichen Männern des Jahrhunderts. Selbst das Elend und die Gräuel, mit welchen der langjährige Krieg einen Theil Deutschlands so schwer heimsuchte, konnten diese Begeisterung nicht mindern. „Die Siege, die Großthaten, die Unglücksfälle, die Wiederherstellungen folgten auf einander, verschlangen sich, schienen sich aufzuheben; immer aber schwebte die Gestalt Friedrich’s, sein Name, sein Ruhm in Kurzem wieder oben“.[1] War es doch seit Jahrhunderten das erste Mal, daß ein deutscher König über auswärtige Feinde Siege erfocht, die das deutsche Nationalgefühl erwecken konnten! Es war ein Großes für diese Erweckung des deutschen Selbstgefühls, daß Friedrich die prahlerischen Franzosen, die übermüthigen Verächter alles Deutschen, bei Roßbach zum Hohn und Spott der Welt machte – zehn Jahre bevor Lessing ihrer geistigen Despotie über Deutschland ihr Roßbach angedeihen ließ – und daß sächsische Bauern auf der Siegesstätte der Preußen ein Denkmal errichteten. Daß er die räuberischen Erbfeinde Deutschlands demüthigte, daß er die barbarischen Horden Rußlands niederwarf, daß er, er allein, einer Welt in Waffen sieben Jahre lang, ungebeugt und letztlich siegreich, Trotz bot: das ließ viele Deutsche vergessen, was der Krieg Schreckliches über sie brachte. Das war es, was sie in dem Empörer wider Kaiser und Reich vielmehr nur den muthigen, aufstrebenden Helden sehen ließ, der über die niedergeworfenen Schranken des Hergebrachten hinweg dem instinctiven Drange seines Geistes nach freier Entfaltung seiner Kraft und eigener Gestaltung und Erfüllung seines Lebens und seiner Lebensaufgabe mit kühnem, auf sich selbst allein gestellten Muthe folgte. Das war es, was die Gemüther der Menschen jener Zeit unwillkürlich auf Friedrichs Seite zog; das war es, was die Tellheims, wie Lessing sie schildert, unter seine Fahnen trieb, und was den Sachsen Lessing hinzog zu dem Verwüster seines Vaterlandes. Das endlich war es, was einen Goethe aussprechen ließ: daß durch Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Krieges der erste wahre und höhere, eigentliche Lebensgehalt in die deutsche Poesie und mit ihr in die lebendige Seele der Nation gekommen sei, und daß dadurch das protestantische Deutschland für seine Literatur einen Schatz gewonnen habe, welcher der Gegenpartei fehlte. Neben solchem Verdienste um die Erweckung des deutschen Nationalgefühles sind es weiter besonders zwei Gedanken, welche den großen Preußenkönig als den Vorläufer und Mitstreiter Lessing’s bezeichnen.

„Ein Mensch, der die Wahrheit sucht und sie liebt, muß unter aller menschlichen Gesellschaft werth gehalten werden!“

Mit diesem herrlichen Ausspruche hatte Friedrich wie mit einem strahlenden Sonnenaufgange seinen Regierungsantritt und seine erste Regierungshandlung, die Zurückberufung des von seinem Regierungsvorgänger schimpflich vertriebenen Philosophen Wolf begleitet. Diese Werte enthalten den innersten Lebenskern des Princips der freien Selbstthätigkeit und der souveränen Berechtigung des nach Erkenntniß der Wahrheit strebenden Menschengeistes über die Welt des Gegebenen um ihn her.

Der zweite berühmte Ausspruch des großen Herrschers ist nur eine nothwendige Consequenz jenes ersten. Er lautete:

„Alle Religionen müssen tolerirt und ein jeder muß nach seiner Façon selig werden.“

Mit diesen beiden Sätzen, die seine Macht in seinem Staate aufrecht erhielt, so lange sein klares Auge über Preußen wachte, tritt Friedrich ebenbürtig hin neben seinen größten Zeitgenossen, als dessen Vorläufer er damit auf dem Gebiete der Geistesfreiheit erscheint. Das Wort Friedrichs von der höchsten Werthachtung, welche unter aller menschlichen Gesellschaft dem muthigen Wahrheitforscher gebühre, dieses herrliche Wort, das unsere Zeit noch lange nicht eingelöst hat, ist es nicht gleichsam das Motto der Lessingschen Schriften zur Vertheidigung des Verfassers der Wolfenbüttelschen Fragmente gegen die Götze von damals, deren Saat eben jetzt wieder so wuchernd emporschießt? Und jenes andere Wort des großen Königs – ist es nicht, in unscheinbarer Form, der Grundgedanke des Nathan, des erhabensten Werkes, das Lessing seinem Volke und der Menschheit hinterlassen hat?

Es wird eine Zeit kommen, und sie ist nicht mehr allzuferne, in welcher man von Friedrich nur noch das wissen und preisen wird, was er im Sinne des größten deutschen Geistes seiner Zeit, als Lessing’s dienender Helfer gethan und gewirkt hat. Es wird eine Zeit kommen, wo all der blutige Ruhm der Schlachten und Kampfthaten des siebenjährigen von Bruderblut befleckten Krieges in dämmernden Schatten gehüllt und nur noch etwa einem Specialhistoriker bekannt sein wird. Aber die Heldenthaten des Geistes, welche Lessing, der Tapferste der Tapfern, für die Befreiung des menschlichen Geistes aus den Fesseln des Irrthums und der Intoleranz vollbracht hat, – sie werden nimmer vergessen werden. Nein! dieser Thaten Ruhm wird vielmehr nur immer höher steigen unter den Geschlechtern der redenden Menschen, in je weiteren Kreisen unseres Volkes diese Thaten gekannt und nach ihrem Werthe erkannt werden. Und ist es nicht jetzt schon die höchste Huldigung, welche dem Genius dargebracht werden kann, wenn schon heute gesagt werden darf, daß der höchste Ruhm des größten Königs seines Jahrhunderts darin besteht, daß er zu seinem Theile ein Mitstreiter Lessing’s gewesen ist? Fürwahr! es wird hinfort kein deutscher König mehr im Herzen und in der Geschichte des deutschen Volkes fortleben, der nicht sich würdig macht, daß dereinst von ihm gesagt werden könne, er habe sich und sein Thun erfüllt mit einem Hauche Lessingschen Geistes! –

Gleiches zieht das Gleiche an. War es ein Wunder, daß Lessing sich angezogen fühlte von Friedrich? Daß Er, der immer auf sich selbst Gestellte, Er, der Charakter im Vollsinn des Wortes, die Größe der charaktervollen Persönlichkeit des auf sich selbst gestellten Königs empfand? Aber auch Lessing, der Sachse, war, wie Goethe, der Frankfurter Patriziersohn, eben nur „Fritzisch“ gesinnt, nicht preußisch. Er, der keine Ader von Localpatriotismus besaß und anerkannte, wohl aber deutschen Patriotismus hegte, sich als Deutscher empfand in einer Zeit, wo deutscher Patriotismus seinen meisten Volksgenossen ein vollständig fremder Begriff war, – er, dessen Geburtsland der Krieg verwüstete, er trug sich während dieses Krieges hier in Leipzig mit dem Erfolge einer Ode auf den großen Preußenkönig. Er, der in Leipzig als Preußenfreund verdächtigt wurde, während er in Berlin als eingefleischter Sachse angesehen ward, – er sehnte sich von Leipzig fort nach Berlin, wo er (wie er seinem Freunde Gleim schrieb) „nicht länger nöthig haben werde, es seinen Bekannten ins Ohr zu sagen, daß der König von Preußen dennoch ein großer König sei.“ Er wußte wohl, warum er so fühlte und empfand. Er schrieb in sein Tagebuch: „Ich beneide alle jetzt regierenden Könige, den einzigen König von Preußen ausgenommen, der es einzig mit der That beweist: Königswürde sei eine glorreiche Sclaverei.“ Schon als Jüngling hatte er in Berlin den großen Regenten besungen, aber als einen solchen, „dem es ein Glück sein würde, wenn sein Volk

  1. Goethe: Werke XXIV., 112.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_123.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)