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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Recht verjährt nicht; soll dies nur so viel heißen, daß es bei den Regenten nicht verjährt, wohl aber bei den Regierten? Auch Ungarn hat eine glorreiche Geschichte hinter sich und thut wohl daran, sich seiner zu erinnern und die an sich guten Gesetze seiner alten Verfassung aufrecht zu halten, resp. sie den Anforderungen der Neuzeit anzupassen. Wenn aber Böhmen, wie es in der neuesten Zeit vielfach geschehen, seine slavischen Agitationen wieder hervorsucht und in ungezügelter Wuth auf deutsche Art und deutsches Wesen schmäht, so möge es doch eingedenk sein, daß es – wir glauben nicht zu viel zu sagen – das meiste Gute, was es überhaupt besitzt, einzig und allein den Deutschen verdankt. Um 806 wurde es bereits von Karl dem Großen abhängig, am 15. Juli 895 trat es zu Regensburg freiwillig in den deutschen Reichsverband, und schon zu jener Zeit fing deutsche Cultur an, sich in Böhmen auszubreiten; die Abhängigkeit von Deutschland dauert durch lange Jahrhunderte fort, und vergebens suchte sich Ottokar der Oberlehnsherrlichkeit Rudolph’s von Habsburg zu entziehen. All seine Blüthe und seinen Wohlstand verdankt es Deutschland, und es gehört ein starker Uebermuth dazu, dies abzuleugnen oder zu verkennen. Einst trug Böhmen als deutsche Kur dem Kaiser das Schwert voran, und jetzt will es Miene machen, sich „dem Kaiser und dem Reich“ zu entziehen! Böhmen kann nicht auf eigenen Füßen stehen, daher schließe es sich mit all seinen Kräften, wie früher, an Deutschland an, das seine starke Tochter mit mächtigen Armen zu schützen wissen wird.

Was aber auch die kommenden Zeiten bringen mögen, der herzinnige Wunsch schließe diesen Artikel: Möge bei den kommenden Kämpfen jeder Deutsche stets bereit sein zu Rath und That, so oft es gilt des Vaterlandes Ehre und Unabhängigkeit. Deutschland über Alles! das sei jedes Ehrlichen Wahlspruch.




Blätter und Blüthen

Der Proceß der Frau Jerome-Patterson macht gegenwärtig in Paris großes Aufsehen. Fast alle Zeitschriften haben einiges darüber berichtet. Den Zeitungsredacteuren in Paris ist der Zutritt zum Civiltribunal, vor welchem der Proceß verhandelt wird, untersagt und wir haben deshalb keine Aussicht die volle Wahrheit desselben zu erfahren; ohnedies wäre den französischen Zeitschriften nicht gestattet, die ganze Wahrheit in dieser Angelegenheit aufzudecken.

Der Gegenstand dieses Processes ist eine bei dem Tribunale erster Instanz des Seinedepartements von Jerome Bonaparte Patterson und seiner Mutter eingereichte Klage auf Betheiligung bei der Hinterlassenschaft des gestorbenen Jerome, früheren Königs von Westphalen, gegen den Prinzen Napoleon, als den alleinigen Erben seines Vaters.

Jerome hatte 1803 in Amerika eine Heirath eingegangen mit Mary Elisabeth Patterson. Jerome Bonaparte Patterson ist der Sohn dieser Ehe. Diese Heirath wurde durch Napoleon unter dem 11. und 30. Ventose des Jahres XIII der französischen Republick annullirt und endlich wurde ihr auch durch zwei Sentenzen des kaiserlichen Familienrathes vom 4. Juli 1856 und 5. Juli 1860 jede rechtliche Wirkung bestritten und anerkannt, daß es bei den Verhältnissen dieser Angelegenheit selbst dem Vertheidiger dieser Ehe nicht gestattet sein könne, sich der in Art. 201 und 202 des Code Napoleon (der in Frankreich noch allgemeine und vollständige Gültigkeit hat) eingeräumten Vortheile zu bedienen, wonach den nichtigen Heirathen die bürgerliche Wirkung verbleibt, wenn sie in gutem Glauben eingegangen wurden.

Ob und wie weit Frau Jerome-Patterson und deren Sohn vor dem französischen Tribunal Recht bekommen werden, läßt sich nicht voraussagen; in wie weit ihr Recht begründet ist, läßt sich nur aus der Geschichte dieser Ehe abwägen. Nicht Allen dürfte sie in ihren Einzelheiten hekannt sein.

Nachdem Jerome in Paris kaum das Knabenalter zurückgelegt hatte, bestimmte er sich für den Seedienst. Daß er den Handel erlernt habe und von seinen Eltern dazu bestimmt sei, ist nicht der Fall, so allgemein es auch angenommen wird. Nach mehreren unbedeutenden Zügen im mittelländischen Meere ging er als Schiffslieutenant nach Amerika. Hier stieg er, wenn auch nicht durch sein Verdienst, zum Schiffscapitain. Er lebte abwechselnd in Boston, Washington und Baltimore. Er hielt sich länger in Amerika auf, als in der Absicht seines Bruders lag, der mehrere Male an den Generalconsul der französischen Republik in Amerika, Pichon (früher Advocat in Paris, später westphälischer Staatsrath), den Befehl sandte, daß die französischen Fregatten und Jerome zurückkehren sollten.

Jerome weigerte sich, und Pichon sandte die Schiffe ohne ihn zurück. Darüber zerfiel Jerome mit ihm, der mit einem schönen jungen Mädchen Mary Elisabeth Patterson, der Tochter eines reichen Kaufmanns und Banquiers in Baltimore, ein Liebesverhältniß angeknüpft und, um den Vater für sich zu gewinnen, selbst Kaufmann zu werden beschlossen hatte.

Elisabeth’s Vater war auch jetzt noch gegen eine Verbindung mit Jerome, da dieser weder körperlich noch geistig irgend eine ihn auszeichnende Eigenschaft besaß und ohne alle Existenzmittel war.

Jerome suchte den Vater seiner Geliebten durch die Vorspiegelungen der Macht, welche sein Bruder in Frankreich besaß, zu gewinnen. Er versöhnte sich durch Le Camus (nachheriger westphälischer Minister-Staatssecretair, Graf von Fürstenstein) Vermittlung mit Pichon, redete diesem vor, er habe jede Verbindung mit Elisabeth Patterson abgebrochen und sei entschlossen, nach Frankreich zurückzukehren. Er bat ihn um einen Vorschuß von 30,000 Franken, und Pichon war gutmüthig genug, sie zu geben. Jerome drang nun mit aller Ueberredung in Elisabeth’s Vater, seine Einwilligung zu geben. Er erhielt sie, und schon drei Tage nachher, am 27. December 1803 feierte er seine Verbindung mit der schönen, unschuldigen und mit dem vollsten Vertrauen an ihn glaubenden Elisabeth. –

Napoleon hatte sich zum französischen Kaiser proclamirt und hatte, um seine Macht zu verstärken und auf die Dauer zu sichern, den Plan gefaßt, seine Brüder zu französischen Prinzen zu erheben und mit Prinzessinnen zu vermählen. Er schrieb diesen Plan auch an Hieronymus und fügte den Befehl hinzu, seine rechtmäßige Gattin zu verlassen und nach Frankreich zurückzukehren.

Jerome theilte seiner Frau und deren Eltern mit, daß er nach Frankreich zurückkehren müsse und welche hohe Stellung ihn dort erwarte. Elisabeth’s Eltern erschraken.

Sie sahen das Geschick ihrer Tochter im Geiste voraus. Bekannte theilten ihre Besorgniß. Jerome hatte schon damals den Entschluß gefaßt, seine Gattin zu verlassen, dennoch suchte er bei ihr und ihren Eltern jede Besorgniß zu verscheuchen. Er schwor, daß er sie ewig lieben und nie verlassen werde, und es wurde ihm nicht schwer, Elisabeth, die ihm vertraute, zu überreden, ihm zu folgen. Ihre Eltern waren untröstlich – sie wollte ihr Geschick an das ihres Mannes knüpfen und folgte ihm, auf das Reichste von ihren Eltern ausgestattet.

Das Schiff landete nach glücklicher Fahrt im Hafen von Lissabon. Nach einem kurzen Aufenthalte dort sagte Jerome, den bezahlte Lügner bei seiner Grabrede „den edlen“ nannten, daß er nach Paris vorauseilen wolle, um alle Vorbereitungen für ihren Empfang zu treffen. Sie suchte ihn zurückzuhalten, sie sah ihrer Niederkunft entgegen und bedurfte seines Schutzes in dem fremden Lande doppelt.

Mit Lügen suchte er sie zu überzeugen, daß er zuerst allein nach Paris reisen müsse, er gab ihr die heiligsten Schwüre, daß er in kurzer Zeit wiederkehren werde, um sie zu holen. Er reiste ab – sie hatte ihn zum letzten Male gesehen. Nur mit einigen Dienerinnen blieb sie allein, ohne Schutz zurück. Keine Nachricht, selbst nicht einmal einen Brief erhielt sie von dem „edlen“ Jerome.

Endlich, durch Schmerz und Angst zur Verzweiflung getrieben, faßte sie den Entschluß, um die Gewißheit ihres Geschickes zu erfahren, mit ihren Dienerinnen nach Frankreich überzuschiffen. So kam sie auf dem Texel an, froh ihrem Ziele so nahe zu sein. In größter Eile wollte sie Paris zu erreichen suchen – da wurde dem amerikanischen Schiffe, welches sie trug, die Landung verboten. Auf Napoleon’s oder Jerome’s Willen waren durch den Polizeiminister die französischen, holländischen und spanischen Häfen für Elisabeth verschlossen. Ihr „edler“ Gatte ließ ihr sagen, daß sie nicht landen dürfe, daß sie nach Amerika zurückkehren möge.

Vergebens bat sie, nur in einem kleinen Dorfe Hollands ihre Niederkunft abwarten zu dürfen; vergebens verwandten sich in Amsterdam anwesende Amerikaner für die unglückliche, verlassene Frau, das roheste Herz wurde durch Jerome’s Verfahren empört, nur sein eigenes nicht.

Elisabeth wandte sich nach England, wo sie gastfreundlich aufgenommen wurde. Nach ihrer Niederkunft kehrte sie zu ihren Eltern zurück – arm, denn ihr Eigenthum hatte Hieronymus mit sich genommen.

Um die Trennung dieser Ehe herbeizuführen, nöthigte der „edle“ Mann seine Mutter zu der Erklärung, daß die Verbindung ohne ihre Einwilligung Statt gefunden habe. Sodann verordnete er durch einen kaiserlichen Erlaß, daß die Verbindung nicht in das officielle Verzeichniß eingetragen werde. Ferner ersuchte er das Oberhaupt der von ihm in Frankreich wieder eingeführten katholischen Kirche, die Ehe zu annulliren. Doch der Papst gehorchte ihm nicht. Glücklicher war Napoleon Bonaparte im folgenden Jahre, 1806, wo der Erzbischof von Paris sich bewegen ließ, die Ehe und das derselben entsprossene Kind (Jerome) für ungesetzlich zu erklären. Hierauf heirathete der „edle“ Jerome die Prinzessin Mathilde von Würtemberg und zeugte mit ihr den Prinzen Napoleon und die Prinzessin Mathilde. Nichtsdestoweniger sah er seine erste Frau und deren Sohn noch später als zur bonapartischen Familie gehörend an. Denn, als er König von Westphalen geworden war, verlangte er von seiner ersten Frau den Sohn, um ihn seinem Range und seiner Geburt gemäß zu placiren, konnte ihn aber nicht erhalten. Die amerikanische Madame Bonaparte war zwar von der Legislatur Maryland’s von ihrem Manne, der sie böswillig verlassen hatte, getrennt, doch geschah dies vorbehaltlich ihrer und ihres Sohnes Rechte. Als Madame darauf von 1809 bis 1829 in Europa zubrachte, wurde sie nicht nur von allen Mitgliedern der durch den Sturz des Tyrannen inzwischen etwas bescheidener gewordenen Bonaparte-Familie als Verwandte aufgenommen, ihr Sohn sollte auf verabredetermaßen nach einem nicht zur Ausführung gekommenen Plane die Tochter Joseph Bonaparte’s, weiland Königs von Spanien, ehelichen. Der jüngere Jerome heirathete hernach eine Amerikanerin und erhielt sodann von seiner Großmutter, der Madame Letizia, ein Beglückwünschungsschreiben, worin er „Mein lieber Sohn“ angeredet war. Andere Mitglieder der Bonaparte-Familie beglückwünschten ihn auf ähnliche Weise. Ingleichen erhielt er entsprechende Beglückwünschungsschreiben bei der Geburt eines Sohnes. Bei der Vermählung der Prinzessin Mathilde mit dem Fürsten Demidoff im Jahre 1840 zeigten ihm Prinz Jerome, Fürst Demidoff und die Prinzessin

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_111.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)