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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

nur dadurch, daß er auf meine Frage „Vier Rubel!“ antwortete. Mein Begleiter versetzte: „Der ist zu theuer, drei Rubel ist genug.“ „Nein, vier!“ war die lakonische Antwort, worauf ich ihm vier Rubel hinreichte. Sie nehmen, prüfen und einstecken, war Eins, und sein Gespräch in eifriger Weise fortsetzend, knöpfte er oben vom Halse den Mantel los, daß er ihm von den Schultern in den Staub glitt. Ich glaube, daß er hieraus auch nicht die geringste Notiz mehr von uns nahm. Langsamer und fast majestätischen Schrittes strich er mit seinem Begleiter zwischen den Kramläden weiter dahin, und wollte ich meinen Mantel haben, so mußte ich ihn selbst vom Boden aufheben. Das that ich dann, reinigte ihn vom Staube und – noch jetzt trage ich das bequeme, warme Kleidungsstück, wenn der rheinische Herbstnebel ernsthafteren Schutz nöthig macht, als ihn ein – deutscher Schlafrock leistet.

Es war Morgens gegen elf Uhr, also die Zeit des zweiten Frühstücks herangekommen, und mein Armenier und ich verspürten dies um so mehr, als uns aus den Garküchen des Bazars ein besonders leckerer Fleischgeruch entgegenkam. Wir machten also Halt und traten an einen der aus Latten und Schilf errichteten Läden, vor denen das Heerdfeuer stets im Gange erhalten wird.

„Macht uns Kebab,“ redete ihn mein Begleiter an, „und gebt uns dazu frisches Brod!“ Geschäftig, aber ohne eine Miene zu verziehen, machte sich der Wirth sofort an das Werk; er war Perser, die Mütze, die er amtsmäßig auf dem Kopfe zurecht schob, war die hohe Persermütze, dann strich er den ebenso wie seine Fingernägel zinnoberroth gefärbten Bart, wusch die Hände und trocknete sie auf’s Sorgfältigste. Aus einer neben ihm stehenden Schüssel nahm er nun das schon zu haché zerhackte und gewürzte Schaffleisch, formte es mit großer Virtuosität zu zwei Finger langen und zwei Finger breiten Stücken und faltete deren etwa je zehn um messerklingenartige Eisenstäbe. Diese legte er über die Steinwände seines Holzkohlenfeuers und während er sie mit der Rechten fleißig hin und her wendete, damit der Kebab auf allen Seiten gleichmäßig gar werde, wedelte er mit einem Fächerchen, das er in der linken Hand hielt, den Dampf des in die Kohlen träufelnden Fettes bei Seite, um jeden brandigen Beigeschmack zu verhüten. In einigen Minuten war der Kebab fertig und wurde uns, auf frischgebackenes Brod gelegt und mit dem säuerlichen Granatenpulver leicht bestreut, zum Verspeisen hingereicht. Wir aßen mit bestem Appetit und nach Herzenslust und ich glaubte, nie etwas Leckereres als Frühstück gehabt zu haben. Bei solchem Kebabmahle aus der Faust dient das Brod nicht blos mit als Speise und als Teller, sondern endlich auch als Serviette, um Mund, Bart und Hände vom Fett zu reinigen. Wer nichts umkommen lassen will, verspeist zuletzt dann also noch Teller und Serviette. Wir aber hatten überhaupt mehr all dieser guten Sachen erhalten, als wir trotz ihres Wohlgeschmacks und unseres Appetites genießen konnten; es blieb noch ein gut Theil übrig, und trotzdem hatte ich nicht mehr als nach unserm Gelde einige Pfennige zu verspeisen gehabt. „Wollt Ihr nun nicht auch noch Ploff?“ fragte der Garkoch und zeigte auf eine Schlüssel mit einer Reisspeise, die auch nicht unappetitlich erschien. Wir dankten aber und setzten unsere Streifereien fort.

Auf einer Ecke des Bazars hatte ein Mirza Posto gefaßt, ein ähnlicher öffentlicher Schreiber wie Bodenstedt’s Mirza Schaffy und kaum unbedeutender als Schaffy, den ich sehr wohl gekannt habe und von dem man in Tiflis so wenig Notiz zu nehmen Ursache hatte, daß er starb und begraben wurde, ohne daß auch nur ein Hahn danach krähte. Wird dem Bodenstedt’schen Schreiber Schaffy ein Platz in der Literaturgeschichte eingeräumt, so wisse also hiermit Jedermann, daß auch dieser Platz Niemandem gebührt, als dem geistreichen Bodenstedt, der den armseligen Schaffy nur benutzt hat, um seine Zuckersachen, die oft über scharfe Pfefferkörner gebacken sind, scheinbar anspruchsloser auf unsern Markt zu bringen. Der Mirza auf dem Bazar von Eriwan trug zum Zeichen, daß er schon nach Mekka gewallfahrtet war, einen grünen Turban und schien überhaupt ein Mann von Welt, denn er hatte in mir gleich den weither gekommenen Ausländer erwittert, lächelte mir freundlich zu und winkte mich endlich an seinen Schreibladen heran. Was er ausbot an Schriftstücken, blieb mir unverständlich, weil es türkisch oder arabisch war, hauptsächlich Koransprüche und einige Lieder. Auch sein russisches Kauderwälsch konnte ich nur mit Mühe verstehen, weshalb ich mich bald von ihm losmachte und in seiner Nähe einen geeigneten Punkt zum Zeichnen aufsuchte. Aber war mir meine europäische Kleidung schon lästig, weil sie die Augen des neugierigen Volkes reizte und mich bei den Vornehmen als hohen Beamten erscheinen ließ, so war mein Zeichnen jetzt vollends Anlaß, daß ich gleich einem Verkäufer umlagert war und vor der Unmasse gaffenden Volkes nicht den geringsten Blick auf die Gegenstände frei hatte, die ich zeichnen wollte. Zum Glück trieb sich auch mein Kosak auf dem Bazar herum. Ich winkte ihn heran und ließ mir von ihm, wie man sich wohl sonst die Mücken verscheuchen läßt, wenigstens so viel freien Raum machen, daß der Blick auf den entfernten Markttrouble, die Festung und den Ararat im Hintergründe frei wurde.

Nachdem ich schließlich noch ein Pulverhorn gekauft hatte, und einen großen Kindschall oder Dolch, persische Strümpfe, Stiefelchen und allerliebste Damenpantöffelchen, ging ich mit meinem Armenier in das Hotel des Gouverneurs zurück. Eben setzte man sich zur Mittagstafel, und mein Armenier zeigte, daß trotz des Kebabs sein Appetit wieder ganz vortrefflich war.


Erlebtes in Friedensjahren und Kriegsmonaten.
Von Fr. Annecke.

Die nachfolgenden Skizzen umfassen Erinnerungen und Erlebnisse aus einem elfjährigen Friedensdienst in der preußischen Armee, der in die dreißiger und vierziger Jahre fällt, und aus dem kurzen, unglücklich pfälzisch-badischen Revolutions- oder Reichsverfassungs-Feldzuge im Jahre 1849. Der Verfasser hat sich bei diesen Aufzeichnungen streng an die Wahrheit gehalten, indem es ihm nicht darum zu thun war, den Lesern dieser Blätter eine aus Wahrheit und Dichtung zusammengewebte Anekdotensammlung vorzulegen, sondern die Absicht ihn leitete, einem größern Publicum ein treues Bild von Zuständen und Vorgängen zu geben, über welche, so sehr sie auch das allgemeine Interesse in Anspruch nehmen, seines Wissens noch niemals mit der Ausführlichkeit und rücksichtslosen Wahrheitstreue geschrieben worden ist, wie sie der Gegenstand verdient. Manches mag dem Leser übertrieben erscheinen, aber es ist nichtsdestoweniger buchstäblich wahr. Ich mache dabei jedoch auf den Umstand aufmerksam, daß die Erinnerungen, so weit sie die Zustände der preußischen Armee betreffen, aus den Jahren 1835–40 stammen und in allen ihren Details nur auf diejenigen Kreise jener Armee passen mögen, denen ich damals angehörte. Seit jener Zeit mag sich Vieles geändert haben. Was die Form meiner Auszeichnungen betrifft, so habe ich statt einer systematischen Abhandlung, die vielen Lesern langweilig sein würde, die ungebundene Form einzelner Skizzen, Schilderungen, Beschreibungen und Erzählungen gewählt, die ich ohne irgend welche logische oder chronologische Ordnung in bunter Reihe auf einander folgen lasse. Ich hoffe, daß es mir dadurch gelingen wird, allen Lesern den Gegenstand genießbar zu machen, ohne seinem Inhalt und Zweck Abbruch zu thun.

1. Der „verehrte Herr“.

Gegen Ende der dreißiger Jahre wurde in K. ein Garnison-Auditeur angestellt, der bei dem Officiercorps nur unter dem Namen „der verehrte Herr“ bekannt war. Dieser Name wurde ihm deshalb beigelegt, weil er die Subalternofficiere nie anders, als mit dem stereotypen Titel „verehrter Herr“ anredete. Die preußischen Militair-Auditeure vereinigten damals in ihrer Person die dreifache Function des Untersuchungs- oder Verhörrichters, des Anklägers und Vertheidigers. So verschiedenartige und sich widersprechende Funktionen zu erfüllen, ohne wenigstens die eine oder die andere derselben über’s Knie zu brechen, dazu gehören jeden falls ausgezeichnete Juristen und ausgezeichnete Menschen, Männer von gründlichen Kenntnissen, scharfem Verstande, tiefem Rechtsgefühl und unbefangenem Urtheil. Unser „verehrter Herr“ besaß diese Eigenschaften nicht, wie ich denn überhaupt unter denjenigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_103.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2022)