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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sicher nach Hause bringen und vor der Wiedervereinigung mit der Gesellschaft behüten sollte. Aber Else mußte sich geirrt haben, denn wir ritten und ritten, freilich in behaglichem Schritt, der ein ebenso behagliches Gespräch erlaubte, ohne in bekannte Regionen zu kommen. Die Tage waren schon kurz und die Nacht war da, ehe wir uns ihrer versahen. Mit der Nacht waren plötzlich schwarze Gewitterwolken heraufgezogen, und bald sahen wir den Weg nur vermittelst des Blitzes. Schon tröpfelte der Regen herab, wir gaben den Pferden die Sporen, schon strömte es vom Himmel, und Donnerschlag folgte auf Donnerschlag. Wir befanden uns in einer Lage wie Dido und Aeneas und hatten uns außerdem verirrt. Else hatte sich zu sichere Kenntniß des Landes zugetraut, und selbst bei der besten Kenntniß wäre es in dunkler Nacht und bei strömendem Regen schwer gewesen, sich zurecht zu finden. Die Straße lief in vielfachen Windungen zwischen Canälen und Gräben hin; wir mußten ihr folgen, da es in keinem Lande so schwer ist, wie in Holland, querfeldein, den Weg abzukürzen oder eine Zuflucht zu suchen. Erst nach einem Ritt, der uns bei den vielen Unannehmlichkeiten sehr lang erschien, entdeckten wir rechts von unserm Wege, etwa zweihundert Schritte weit von uns, ein Licht, das unregelmäßig aus Fenstern und Spalten irgend eines Gebäudes zu dringen schien. Glücklicherweise führte an dieser Stelle eine Brücke über den Canal und vom Canal aus ein Weg dem Lichte entgegen. Wir folgten diesem Wege und kamen an ein Thor, das eine Staketenwand schloß, und wir vermutheten, daß das Gebäude, aus dem das Licht kam, eine Scheune sei, wie sie sich auf den großen eingezäunten Wiesen Hollands zu finden pflegt. Auch eine Scheune war uns bei dem immer heftiger strömenden Regen als Zufluchtsstätte höchst willkommen. Ich stieg ab, öffnete das Staketenthor und führte mein und Else’s Pferd der Scheune entgegen. Der Weg führte gerade an das Scheunenthor, dennoch mußte ich lange klopfen, bis es geöffnet wurde, denn der Lärm des Donners, der noch immer grollte, des strömenden Regens, verbunden mit Pferdewiehern und Gestampf, welches zugleich mit einem höchst eigenthümlichen Gesumse und vielstimmigen Gesange aus dem Innern der Scheune kam, machte, daß mein Klopfen und Rasen nicht gehört wurde. Endlich wurde geöffnet. Ein kleiner, brauner Junge sah uns mit großen, schwarzen Augen an, verstand uns bald und lud uns ein, so rasch als möglich einzutreten, indem er Fräulein Else mit vielem Geschick vom Pferde half, während er zugleich den Zaum meines Thieres ergriff. Dieses, erschrocken über den Anblick, den das Innere der Scheune bot, bäumte sich; aber der Junge behandelte es als ein Mann, der sich auf wilde Pferde versteht, und brachte es rasch wieder zur Ruhe. Er führte die Thiere in die Scheune, und wir folgten ihm.

Ein wunderbares Schauspiel erwartete uns, ein Schauspiel, das uns Beiden ein erstauntes Ach! ebenso schnell hervorrief als unterdrückte. Die ganze Scheune bildete einen einzigen, großen, weiten, ungetheilten Raum; aus diesem weiten Raume boten sich die verschiedensten Gruppen in verschiedener Beleuchtung. Beinahe die ganze Hälfte der Scheune rechts vom Thor, durch das wir eintraten, war von Pferden der verschiedensten Größen und Racen eingenommen, von denen einige aus Trögen fraßen, andere neugierig und klug den Neuangekommenen entgegen sahen, noch andere bereits auf dem Strohe lagen, um, wie es schien, nach langem, ermüdenden Marsche auszuruhen. Einzelne Stalllaternen an den Wänden und Holzpfeilern beleuchteten sie und einzelne Männer, die zwischen ihnen und hinter ihnen auf dem Stroh lagen, mit dämmerigem Lichte. Die Männer erfreuten sich eines tiefen Schlafes, trotz dem Lärm des Ungewitters und der mannigfachen Töne, die sich in der Scheune selbst hören ließen. Eigenthümlicher aber war der Anblick, den der Winkel links am andern Ende der Scheune gewährte. Dieser war in volles Licht getaucht, und dieses Licht kam von den vielen Stalllaternen, die dort an den Holzwänden angebracht waren, von zwei großen Kerzen, die vor einer Art improvisirten Betpultes brannten, und von zehn bis zwölf großen, gelben, aus rohem Wachs gekneteten Wachskerzen, die alle zusammen in einem mit Sand angefüllten Futtertroge rechts vom Betpulte staken. In dieser hellerleuchteten Abtheilung der Scheune stand eine höchst auffallende Versammlung von Männern. Sie alle hatten weiße wollene oder damastene von schwarzen oder blauen Bändern eingefaßte Mäntel umgeworfen, von deren Ecken vier gleichmäßig gebundene, längliche Wollfadenbüschel herabfielen und die oben, an dem Theile, der den Nacken bedeckte, mit silbernen oder goldenen Tressen besetzt waren. Mehrere dieser Männer trugen unter dem Mantel lange, weiße, leinene Kittel, die faltig bis über die Knöchel herabfielen, geschlossen und in der Mitte vermittelst einer Schnur am Leibe fest gehalten waren. Der Mann, der in einem solchen Kittel an dem Betpulte, in der Nähe der gelben Wachskerzen stand, hatte die Brust mit einem aus Silbertressen zusammengesetzten viereckigen Schilde geziert. Die Männer in den Kitteln trugen auf dem Kopfe weiße Hauben, die zum Theil mit Stickereien bedeckt waren; die anderen hatten Hüte oder gewöhnliche Mützen auf. Sämmtliche Männer standen in einer Richtung, dem Betpulte zugekehrt. So stille als sie dastanden, so stille saßen hinter ihnen auf ausgebreitetem Stroh mehrere Weiber und Mädchen, deren manche ein schlafendes oder wachendes Kind auf dein Schooße oder in den Armen hielt. Der weibliche Theil der Versammlung hatte, das andächtige Schweigen abgerechnet, nichts Feierliches oder Festliches. Die Frauen und Mädchen waren im äußersten Negligé; sie lagen oder saßen höchst ungezwungen auf dem Stroh, die Haare ordnungslos zurückgestrichen oder über Brust und Schulter herabfallend, die gewöhnlichsten Werktagskleider nach Bequemlichkeit lose gemacht oder verschoben. Hinter dieser Gruppe, ganz nahe dem Thore, stand eine lange Reihe von Kasten und Kisten, welche theilweise geöffnet waren und einen Blick in ihr· Inneres gestatteten. Da waren die phantastischsten männlichen und weiblichen Trachten aufgehäuft, welche alle Farben spielten und meist mit Goldtressen, Schleifen und allerlei schimmernden Flitter geschmückt waren. Zwischen den Kisten ordnungslos zerstreut lagen und ragten hervor allerlei buntbemalte Reifen, Stangen, Fahnen und anderer ähnlicher Hausrath wandernder Kunstreitergesellschaften.

Es war kein Zweifel: wir befanden uns bei einer Kunstreitergesellschaft und zwar höchst wahrscheinlich bei der im Lande berühmten Truppe Wullenweber’s, deren Ankunft seit mehreren Tagen in Amsterdam erwartet wurde. Das erkannten wir sogleich bei unserem Eintritt; aber die in dem beleuchteten Winkel stehenden, in Todtenhemden gehüllten Männer, ihr stilles Gebahren und die sonderbare Beleuchtung blieben Elsen noch immer ein Räthsel. Sie wandte sich mit erstaunt fragendem Gesicht zu mir. „Merken Sie es nicht?“ flüsterte ich, „der größte Theil der Gesellschaft besteht aus Juden; sie feiern den Vorabend des Versöhnungstages. Der Vorsänger verrichtet jetzt sein stilles Gebet, daß ihn Gott würdig mache, der Gemeinde vorzubeten, und seiner Lunge Kraft gebe. Wenn dies vollendet ist, wird er zu singen anfangen; achten Sie auf die Melodie, Else, sie ist höchst originell und rührend.“

„So!“ lispelte Eise ängstlich und neugierig zugleich und näherte sich der Gruppe der Weiber. Eine derselben, die auf einem Strohbund saß und einen Säugling an der Brust hielt, rückte etwas bei Seite und lud sie ein, sich zu setzen, sprach aber nur leise, wie um die Andacht der Andern und ihre eigene nicht zu stören. Ihr ganzes Wesen war das einer guten und besorgten Mutter aus dem Volke. Ihre Aufmerksamkeit war sehr getheilt zwischen der religiösen Andacht und der Sorgfalt für das Kind, das sie verhüllt und mit Tüchern bedeckt am Busen hielt. Von Zeit zu Zeit hob sie eines der Tücher auf und blickte mit schmerzlichem Ausdruck auf das bleiche, offenbar kranke Gesicht des Kindes. Bei jeder Bewegung desselben zitterte sie am ganzen Körper und ließ das hebräische Buch, das aufgeschlagen auf ihren Knieen lag, auf den Boden fallen, ohne es zu beachten, mit wie großer Frömmigkeit sie es auch jedes Mal aufhob, so oft das Kind ruhiger wurde. Sie führte dann das Buch an die Lippen und küßte die hebräischen Lettern. Sie war auch gekleidet wie eine Frau aus dem Volke. Ein grobes Tuch, dessen einer Zipfel über den Rücken herabfiel und das unter dem Kinn zusammengebunden war bedeckte Kopf und Haare, welche letztere trotzdem schwarz und in dicken, aufgelösten Scheiteln auf die blassen Wangen hervorquollen Ein gewöhnliches, sehr schlichtes, braunes Kattunkleid, das in der Mitte von einem dünnen Tuche zusammengehalten war, bedeckte die Gestalt, die die Fülle einer Frau in den besten Jahren verrieth. Nur die schwarzen, glühenden Augen hatten etwas, was mit der hausmütterlichen und zugleich frommen Situation der Frau nicht zusammengestimmt haben würde, wenn sie nicht der Ausdruck sanfter Trauer gemildert hätte.

Else sah das schöne, verblühte Gesicht der ebenso zärtlichen, als frommen Mutter anfangs mit mitleidigem Blicken an, nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_082.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)