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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 6.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Bei Kunstreitern.
Von Moritz Hartmann.

Man kann auch in einer holländischen Stadt glücklich sein, selbst wenn diese Stadt ihre historische Größe und Bedeutung längst eingebüßt hat, selbst wenn zwischen dem ordentlichen Pflaster dieser Stadt das Gras wächst, und selbst wenn sie nur von Holländern bewohnt ist. Ich war um so glücklicher in einer solchen Stadt, die ich nicht nennen will, als ich daselbst eine liebenswürdige deutsche Familie kannte, welche sich hier ansiedelte, um die vor Kurzem angeerbten Güter und deren Verwaltung in der Nähe überwachen zu können. Ich hatte sie auf einer Lustreise kennen gelernt, war von ihr eingeladen und, als ich der Einladung ein Jahr später folgte, mit einer Herzlichkeit empfangen worden, wie man nur einen lieben Anverwandten empfängt. In solcher Fremde, in der man mit Sitten und Charakter der Einheimischen nichts gemein hat, ist jeder Landsmann ein Anverwandter, abgesehen von dem Interesse, das man für Reisebekanntschaften empfindet, deren Andenken sich sehr vortheilhaft mit den Erinnerungen einer schönen Lustreise verknüpft und mit diesen identisch wird. Was mich betrifft, ich bedurfte dieser Erinnerungen nicht, um mich zu der deutschen Familie hingezogen zu fühlen und um der Einladung ungeachtet eines großen Umweges sobald als thunlich zu folgen. Fräulein Else, die Tochter des Hauses, wäre stark genug gewesen, mich in viel unwirthbarere Gegenden zu locken. Sie hatte während der kurzen Reise mit ihrer lebhaften Anmuth, mit ihrem lieblichen Wesen mein ganzes Herz gewonnen, und die Briefe, die ich während unserer Trennung von ihr erhielt, waren nicht geeignet, ihr Andenken in mir ersterben zu lassen. Auf den verschiedensten Wegen, in den verschiedensten Gegenden, in den fernen Pyrenäen wie in dem traurigen Irland erheiterten sie mich und gaben mir das Bewußtsein, dessen der Wanderer so sehr bedarf, daß es irgendwo auf Erden einen Punkt giebt, da man gerne gesehen ist, da man gemüthlich ausruhen könnte. Je größer die Anzahl dieser Briefe wurde, desto größer wurde in mir die Sehnsucht nach dieser gemüthlichen Rast, und von Irland kommend vernachlässigte ich die Schönheiten Schottlands, um mich so rasch als möglich in Leith nach Holland einzuschiffen.

Seit vierzehn Tagen weilte ich bereits bei den Reisebekannten, und sie waren mir schon mehr als Gastfreunde. Der Vater gehörte seinen landwirthschaftlichen Sommerbeschäftigungen an, da er als neuer Gutsbesitzer in einem fremden Lande die hiesige Art der Oekonomie mit deutscher Gründlichkeit studiren wollte. Er verbrachte den größten Theil seiner Zeit auf den Feldern und überließ mich seiner Tochter, die, da die Mutter längst gestorben war, dem Hauswesen vorstand. Noch mehr als für dieses Vertrauen war ich ihm für die Freuden, für die tiefen Herzensgenüsse dankbar, die mir dieser ungestörte Umgang mit dem ebenso schönen als liebenswürdigen Mädchen verschaffte. Wir ritten zusammen aus, wir lasen, wir plauderten, wir glaubten einander bis in die geheimsten Winkel unserer Herzen zu kennen und empfanden Beide die schöne Genugthuung, durch diese nähere Bekanntschaft Eines in des Andern Augen nichts verloren zu haben. Die Heiterkeit unseres Umganges war uns dessen sichere Bürgschaft.

An einem schönen September-Nachmittage folgten wir, trotz einigem Widerstreben, der Einladung mehrerer junger Männer, die in der Stadt den Ton angaben und uns schon mehrere Male aufgefordert hatten, mit ihnen einen Ritt nach einem der schönen Punkte der Umgegend zu machen. Wir ritten wohl an zwei Stunden starken Trabes in’s Land hinein, ohne eine Veränderung der Scenerie zu bemerken. Man kann in Holland eine Stunde lang selbst auf der Eisenbahn die Augen im Schlafe schließen, ohne beim Erwachen zu bemerken, daß man nur wenige Schritte weiter gekommen. Ein Canal, auf dem sich ein Trekschuyt langsam fortbewegt, ein Garten mit ölbestrichenem Staket, eine Wiese mit wenigen Kühen, am Horizont eine unendliche Reihe von Windmühlen, die langweilig ihre Flügel bewegen – das ist die Landschaft, der man noch häufiger in der Natur als auf der Leinwand der holländischen Maler in’s Gesicht blickt. Auf unserem Spazierritt war es nicht anders. Die Pferde bewegten sich, die Sträucher rechts und links flogen an uns vorbei – die Landschaft blieb dieselbe. Wir hielten vor einem Weghause, das, etwas höher gelegen, die Aussicht über eine größere Anzahl von Canälen und Windmühlen gewährte, außerdem seines guten Käses, seines trefflichen Thees und seines guten Weins wegen berühmt war; vor seiner Thür kreuzten sich mehrere Land- und Wasserstraßen, und es war hier etwas lebhafter, als sonst im offenen Lande dieses dem Meere abgerungenen Sumpfbodens.

Die Jugend der …er guten Gesellschaft fand an dem Champagner des Weghauses so großes Gefallen, daß es ziemlich spät wurde, ehe man sich auf den Weg machte, und daß sie dann mit großer Schwierigkeit die richtige Stellung im Sattel fand. Es ging beim Aufsitzen, trotz der Gegenwart mehrerer Damen, so lärmend her, daß demnächstige Rohheit zu befürchten war. So entschloß sich Else kurz, gab ihrem Pferde die Sporen und galoppirte vorwärts. Ich folgte ihr, und bald hatten wir die ganze Gesellschaft weit hinter uns. Es that uns so wohl, nach mehreren geräuschvollen Stunden wieder allein zu sein, daß Else einen Nebenweg einschlug, der uns, wenn auch mit einigem Zeitverlust, doch


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_081.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)