Seite:Die Gartenlaube (1861) 078.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

das des Hof-Kapellmeister Reissiger. In dichter, frischgrüner Blätterlage breitet sich Epheu über dasselbe aus. Die einfache Tafel von weißem Marmor enthält die Inschrift:

Karl Gottlieb Reissiger,
geb. 31. Januar 1798, gest. 7. November 1850.

Es war in der frühen Morgenstunde jenes feierlichen Tages von Schiller’s hundertjähriger Geburtsfeier, wo durch die bereits so reich und schön mit Laub und Ehrenpforten geschmückten Straßen Dresdens sich langsam, unter den Klängen des Beethovenschen Trauermarsches der großartige Leichenzug des beliebten und allgemein geachteten Componisten fortbewegte. Ein trüber grauer Himmel wölbte sich schwer und dunkel über diesem mit Trauerfahnen und Palmen einherschreitenden Zuge, während am Abend vom klaren wolkenlosen Himmel der Mond mit glänzendem Scheine auf die von Tausenden von Lichtern und Fackeln hell erleuchtete Stadt niederblickte, in deren Straßen das regste Leben herrschte, der lauteste Freudenjubel ertönte.

Einen so seltsamen Contrast in großartigen Feierlichkeiten, wie Dresden an jenem Tage zeigte, vermag eben nur eine so große Stadt zu bieten, während Gegensätze das Leben nicht allein überall zeigt, wo Leben ist, sondern sie uns auch da entgegentreten, wo es zu Ende und das Reich des Todes beginnt. Welcher Contrast zwischen jenen Gräbern der auf den Dresdener Barrikaden in den Maitagen gefallenen Kämpfer und dem Grabe der preußischen und sächsischen Krieger!

Ein über 80 Fuß langes Grab, das 76 Tode birgt, die in jenen Maitagen ihre Ueberzeugung mit dem Leben bezahlten, ist auf dem Trinitatiskirchhofe, ein etwas kleineres auf dem Annenkirchhofe. Beide Gräber sind wild überwuchert, und nur hier und da zeigt ein kleines Kreuz den Namen eines der darin ruhenden Todten. Gleich heiße Thränen des Schmerzes mögen aber an diesen Gräbern mit den kleinen Kreuzen vergossen sein, wie an jenem mit der großen Granitpyramide, gleich heiße Thränen an beiden Stätten noch immer geweint werden; in gleicher Klarheit wölbt sich auch ein Himmel über ihnen, und ein Gott ist’s, der ihre Thaten richtet! – Jene starben in Ausübung ihrer Pflicht, diese für eine Ueberzeugung, für eine Idee – wer will sagen, welche von Beiden vor Gott höher stehen?




Ein englisches Geschäftshaus.

Comptonhouse ist eine der größten Merkwürdigkeiten Liverpool’s, ja durch seinen Umfang, die Zweckmäßigkeit und Großartigkeit seiner Einrichtungen sicher eines der Wunderwerke dieser reichen Handelsstadt, wenn nicht der Welt. Manche der schönen Leserinnen werden schon von Waterloohouse in London gehört oder es selbst zu besuchen vielleicht Gelegenheit gehabt haben. In Waterloohouse kann man Alles erhalten und zwar keineswegs zu außerordentlichen Preisen, sondern im Gegentheil zu den niedrigsten festen Ansätzen, was den weiblichen Anzug, den weiblichen Putz betrifft. In Waterloohouse findet eine elegante Dame Alles vereint, was die Industrie, die Kunst, der Geschmack und der Luxus aller Völker und aller Länder der Welt für die Erhöhung weiblicher Schönheit und weiblicher Reize hervorzubringen vermögen. In Waterloohouse sind sechszig Commis angestellt, und wenn eine Dame dort einmal ihre Einkäufe gemacht, so kann sie gewiß sein, daß sie bei folgenden Besuchen stets von demselben Angestellten umhergeführt und bedient wird, der dies das erste Mal gethan. Aber was ist Waterloohouse in London gegen Comptonhouse in Liverpool, wo nicht weniger als achtundzwanzig große Säle für die verschiedenen Geschäftsabtheilungen bestimmt sind, deren Betrieb mehr als vierhundert Personen beiderlei Geschlechts besorgen. Es verlohnt sich schon der Mühe, etwas länger bei Comptonhouse und dessen Merkwürdigkeiten zu verweilen.

Der Begründer dieses umfangreichen Geschäftshauses, Mr. J. R. Jeffery, kam vor ungefähr achtundzwanzig Jahren nach Liverpool. Er fing mit einem einzigen ganz kleinen Laden an, fügte nach und nach Laden an Laden hinzu, änderte und verbesserte, bis er in den Besitz einer ganzen Reihe von Häusern und Grundstücken gelangte, die sich zwischen drei der Hauptstraßen Liverpool’s ausdehnen. Nun errichtete er ein kolossales Gebäude von den großartigsten Verhältnissen, dessen Aeußeres allein jeder größern Stadt zur höchsten Zierde gereichen würde. Der Bau wurde im September begonnen, die alten Häuser mit unglaublicher Schnelligkeit niedergerissen und das neue Gebäude, an dem unausgesetzt Tag und Nacht mit der größten Ausdauer gearbeitet wurde, ebenso schnell errichtet. Während der langen Winternächte wurde der ganze Bauplatz durch große Gasflammen erleuchtet, die jede Nacht zahlreiche Zuschauer anzogen. Mit der größten Anstrengung und Beharrlichkeit gelang es, diesen ausgedehnten Bau binnen sechs Monaten auszuführen, und Mitte April vorigen Jahres stand dieses bewundernswerthe Bauwerk vollkommen vollendet und ausgerüstet da, und konnte dem öffentlichen Verkehr übergeben werden.

Die äußern architektonischen Verhältnisse von Comptonhouse sind allerdings bedeutend und geschmackvoll, vermögen indeß doch nicht ein solches Interesse zu erregen, als die inneren Einrichtungen. Treten wir daher unverweilt ein. Jeder Besucher wird sofort über die außerordentliche Ausdehnung des Raumes, die Klarheit der Beleuchtung sowohl am Tage wie bei Nacht, und die überall hervortretende Eleganz der geschmackvollen Anordnung erstaunt sein, er wird sich zuerst wie durch Zauberei in den Hauptraum des Glaskolosses zu Sydenham oder etwa in die Rotunde des Museums zu Berlin versetzt glauben, und in der That kann die große Kuppel, durch welche das Licht mitten in den Laden fällt, nur mit einem jener riesenmäßigen und einfach edlen Bauwerke verglichen werden. Das Auge übersieht nach rechts wie nach links einen hundertundsechszig Fuß langen Raum, an dessen beiden Seiten sich die Eingänge zu den verschiedenen Sälen erstrecken. Der Hauptanblick aber ist die große Kuppel selbst, und zu ihr wird die Neugierde des Besuchers gewiß zuerst hingezogen. Diese Kuppel erhebt sich weit über das Dach des übrigen Gebäudes, augenscheinlich eine höchst beträchtliche Höhe. Sie ist vom ersten Stock an mit prachtvollen Fenstern von bedeutender Größe umgeben, die von dem dicksten Spiegelglas gebildet werden, während das obere Dach mit angemessenen cassettirten Verzierungen geschmückt ist. Diese Kuppel ist vollständig so angelegt, daß durch alle Räume des großen Gebäudes ein reiches, überall genügendes, aber nirgend blendendes Licht verbreitet wird. Nebenbei dient sie außer zur größten Zierde auch noch als ein die Luft stets trefflich reinigender Abzug. Ueber dem Kranzgesims, das den untern Theil der Kuppel umfaßt, geht eine ununterbrochene Reihe von Gasflammen, ungefähr sechs Zoll von einander entfernt und nach einem neuen System eingerichtet, so daß Nachts die Hellung der des Tages fast gleichkommt.

Das Gebäude soll eine Grundfläche von mehr als sechstausend Quadratfuß bedecken, und wenn man nun bedenkt, daß es sechs Stockwerke hoch ist, so ist es leicht zu begreifen, daß der ganze Raum, den es umfaßt, ungeheuer ist. Einigen englischen Rechenkünstlern zufolge würde der für’s Geschäft bestimmte Raum, wenn man sich ihn als einen drei Fuß breiten Fußsteig denkt, sich drei englische Meilen oder zwölftausend Fuß lang erstrecken, während derjenige Theil des Gebäudes, der lediglich für häusliche Zwecke bestimmt, von gleicher Ausdehnung ist und beide zusammengelegt eine Länge von anderthalb deutschen Meilen erreichen.

Der größte Theil des Erdgeschosses ist nur durch Fächerschränke abgetheilt. Die Schränke sind neun Fuß hoch, mit Fächern inwendig an beiden Seiten und gänzlich von polirtem Mahagoinholze. Diese Anwendung ist vollständig genügend, die verschiedenen Abteilungen von einander zu trennen, da jede Abtheilung unter ihrer bestimmten Verwaltung steht. In dieser Weise ist der von Adam Smith ausgestellte große Grundsatz aller Nationalökonomie, das Princip der Arbeitstheilung, hier durchgeführt. Dabei mögen die schönen Leserinnen nicht vergessen, daß, wie schon bereits erwähnt, Comptonhouse achtundsechszig verschiedene Abtheilungen mit vierhundert Angestellten aus beiden Geschlechtern enthält.

Nach diesem ersten Ueberblicke des Erdgeschosses möge der Besucher noch einmal zurückkehren, um den Hauptsaal ein wenig genauer zu untersuchen. Sicher bewundert er die überall vorherrschende edle Einfachheit des Styls und den durch alle Anordnungen absichtlich hindurchblickenden Grundsatz, allen überflüssigen Prunk zu vermeiden, um von vorn herein zu verhindern, daß die Pracht des Gebäudes nur irgend den Glanz der ausgelegten reichen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_078.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)