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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

nageln und Fleisch daran zu hängen, bezahlt ein Fleischer auf dem Newgate-Markte 40 Pfund Sterling– über dritthalbhundert Thaler – jährlich, und für den Laden gegenüber, eine Höhle von 12 Fuß Breite und 7 Fuß Tiefe, 170 Pfund Miethe. Und dies ist an einer wohlfeilen, versteckten Stelle. In der Nähe von Bonser, dem ersten Verkaufsmann in Newgate (so heißen sie, nicht „Fleischer“, da sie eben blos im Großen ein-und verkaufen), kostet dieselbe Räumlichkeit schon an 1500 bis 2000 Thaler.

Wir frühstückten im „Alten Kaffeetopf.“ Wieder heraustretend fanden wir den Markt in vollem Schwunge. Läden, Wände, Thüren, Breter, Häuser, – Alles war verschwunden, wenigstens unsichtbar geworden hinter Hammeln, Schweinen, Kälbern, Ochsen, zwanzig Arten von wilden Enten, Wasserhühnern, Hasen, Kaninchen und was weiß ich sonst noch für Gethier. Die beiden Schwingthüren der Tavernen waren zu bloßen Ritzen zwischen herabhängenden Schweinen geworden. Menschliche Ungeheuer in schmierigen Nachtmützen und mit Fudern von Fleisch auf Schultern und Rücken trabten und balancirten blindlings durcheinander, nach ihren Herren schreiend, damit diese ihnen Weg und Richtung zeigen sollten. Wandelnde Fleischmassen! Ihr Haar nichts als Fett, ihre Gesichtsrunzeln verklebt mit Talg, ihre Hände lebendige, rohe Beefsteaks, ihre Kleider selbst gemästet wie 7 Zoll hoch mit Fett bekleidete Schweineviertel. Die Fleischer, deren Karren draußen in unabsehbarem Gewirre harren, prüfen hier und da mit einem Finger eine Fleischmasse und schließen in demselben Augenblicke einen Kauf von 100 bis 200 Pfund Sterling ab. Die schon harrenden Träger fallen über die gekaufte Waare her, werfen Centnerlasten von Keulen auf ihre furchtbaren Rücken und taumeln damit blindlings und rücksichtslos gegen lebendiges Fleisch ab, während der Käufer seine knisternden, spröden Banknoten oder Hände voll Gold hinten in der Verkaufshöhle nachlässig hinwirft. Die meisten Fleischer schlachten nicht selbst, sondern kaufen ihren Bedarf immer auf diesem Großmarkte. Dieses Geschäft dauert höchstens drei Stunden. Was später und Abends folgt, ist Kinderei und Kleinhandel, der freilich zuweilen, namentlich Sonnabends, zum Größten und Ungeheuersten wird, was im Detail auf einem so kleinen Raume und in so kurzer Zeit geleistet werben kann.

Nachdem ich in dem Gewirr des Großgeschäfts bald von der schweren Hinterviertelkante eines Aberdeen-Ochsen geohrfeigt, bald von der scharfen eiskalten Pfote eines Schweines am Halstuche oder im Nacken gepackt, bald von den Hörnern eines Widders in’s Kreuz gestoßen und sonst auf tausenderlei Weise fettig gewischt und braun und blau, selbst blutig geschlagen worden war (einmal mitten in dieser wahnsinnigen Wildniß wüthender Leichname von Thieren, war schlechterdings nicht wieder herauszukommen), konnte man endlich wieder Athem schöpfen und seiner Wunden und Püffe bewußt werden. Einmal eingef– oder eingeweiht, beschloß ich, diese sonderbare Welt genauer und tiefer zu untersuchen. Auf Fürsprache meines Führers bekam ich Zutritt in die Werkstatt der Herren Benables und Dixon, die wöchentlich im Durchschnitt 500 (im Sommer) bis 1000 (im Winter) Hammel schlachten. Die Werkstatt bestand nach der Straße zu blos in einem großen Kasten, in welchem ein kaufmännisch aussehender Herr über dicken Büchern saß.

„Und wo ist das Schlachthaus?“ fragte ich verwundert. – „Hier,“ antwortete er, indem er auf eine Thür hinter seinem Kasten zeigte und sie hernach öffnete. Indem er aus seinem Kasten trat, um mich hinein zu lassen, stieg mir Qualm und Schlachtgeruch in dicken Wolken entgegen. Ich sehe endlich durch die geöffnete Thür in einer dunklen Höhle, nicht größer als eine gute Stube, acht menschliche Gestalten, alle mit bloßen Armen, alle thatsächlich vom Haar bis zu den Stiefelsohlen von Blute rauchend und triefend.

Diese acht Ungeheuer bilden zwei „Gänge“, wie mich der Buchführer zu dem Kasten herein belehrte. Jedes Schaf geht durch vier Paar Hände, um fix und fertig zum Verkauf zu werden.

Die beiden „Gänge“ arbeiten in der Regel 12 Stunden des Tages und schlachten oder „bringen aus“ während dieser Zeit 160 Stück, sodaß auf jedes noch nicht Minuten kommen. Mein Auge war bald an die Dunkelheit gewöhnt, sodaß ich die kleine Mordhöhle deutlich übersah und mich zwang, ein paar Minuten auszuhalten, um mir ein Bild von dieser „Nachtseite“ menschlicher Industrie zu verschaffen. Die acht menschlichen Ungeheuer waren in voller Arbeit zwischen lebendigen, ganzen, Halden, sterbenden, todten, halb und ganz geschundenen Hammeln. An der einen Wand entlang standen mindestens 15, lebendige Thiere festgebannt hinter einen Verschlag, aus welchem ein schwitzender, von Blut getränkter Riese, ein Bild des Grauens in dem dunkeln Dampfe dieses Raumes, eins nach dem andern hervorzog, es auf einen großen, aber übergitterten Kasten warf und durchstach, während die andern sofort ihre Arbeit des Schinkens und Ausweidens begannen. Die lebendigen Schafe standen und starrten auf diese furchtbare Scene und gaben zuweilen Töne von sich, wie ich sie nie aus solchen Thierkehlen vernommen, zitternd-quiekend grunzende Töne, für mich das Grauenvollste und Erschütterndste des ganzen scheußlichen Bildes, das nur von den Ochsenschlächtern in ihren dunkeln Schuppen und unterirdischen Höhlen, den fabrikmäßigen Schlächtern der 250,000 Stück, die London neben zwei Millionen Schafen, 30,000 Kälbern und 40,000 Schweinen jährlich verzehrt, noch übertreffen wird.

Ich sah mit künstlicher Abhärtung auf diese Mord-Industrie und nahm an, daß sie nothwendig sei, also ohne alle Sentimentalität, aber nie war mir das Herz schwerer, als nach diesem Anblick, den ich unter den verhältnißmäßig heitern Scenen des draußen begonnenen Einzelverkaufs vergebens los zu werden suchte.

Die eigentlichen aristokratischen Großhändler hatten bereits geschlossen, so daß sie den zum Einzelverkauf herabsteigenden Freunden der Armen und „gebildeten Proletarier“ mehr Raum ließen.

Die ordentlichen und wohlhabenderen Armen kaufen sich hier (für die Hälfte der eigentlichen Fleischer-Preise) ihre Fünf- bis Zehnpfundstücke Fleisch für die Woche. Es wird Sonntags frei vor dem Kohlenfeuer gedreht. Während der Woche hauen sie sich jeden Tag ein Stückchen ab. Ein Papierchen voll „Erbsen-Pudding“ dazu aus dem Laden, einige Kartoffeln und ein großer Humpen Bier mit Gischtmütze (nie ohne dieses), vielleicht auch ein klatsch von grünen Blättern in Salzwasser gekocht – das ist das Mittagsmahl der Arbeiter und wohlhabenderen Armen.

Das Gedränge, Geschiebe und Geschrei dieses Detail-Geschäfts läßt sich leicht denken, da der Newgate Markt – in der Mitte von 3 Millionen Menschen, die alle zu den Carnivoren erster Classe gehören, sich auf dem theuersten Pflaster in einander und über einander schiebt und die Straßen und Gäßchenwinkel Tausende von Hausvätern, Müttern, Kindern, Körben und Kiepen aufnehmen und befriedigen müssen. Merkwürdig ist die Schnelligkeit, Grobheit und witzige Kürze, womit hier gehandelt wird. Kaum sieht ein sorgsamer Hausvater oder die wegen knapper Börse bedenkliche Mutter und Gattin ein Stück Vieh an, so ist’s auch schon vom Haken herunter und in ihren Korb. Will oder kann sie nicht so viel zahlen, als der feste Preis ist, fliegt es mit einer kurzen, schnöden Bemerkung schon einem andern Kunden zu.

So etwa kommen und verschwinden im Durchschnitt täglich 100 Kälber, 150 Schweine, 6000 Hammel und über 700 Ochsen, außer Geflügel, Kaninchen, Hasen etc., von diesem einzigen Fleischmarkte Londons.




Die Juden im Ghetto zu Rom und die heilige Inquisition.

Wenn man in Rom über den Ponte Sisto nach dem jenseits der Tiber gelegenen Stadttheil geht, so kommt man durch mehrere lange, schmale Straßen auf einen kleinen, unschönen Platz. Auf dem kleinen Platz steht ein palastartiges Gebäude im Baustyl des fünfzehnten Jahrhunderts. Die Zeit hat seine Mauern mit ihrem eigenthümlichen, dunkeln Colorit gefärbt, der ornamentale Schmuck ist hie und da heruntergefallen, und die Fensterbogen und die mit Wappen geschmückten, hohen Portale bieten den Anblick des Verfallens und der Verkommenheit. Das große Gebäude ist der Palast Cenci, einst der Schauplatz einer furchtbaren Tragödie, welche durch Shelley’s geniale Feder und in den drei berühmten Bildern des Palastes Barberini ewig leben wird. In diesen Mauern wohnte Beatrice Cenci, die schöne und tugendhafte Römerin, welche ihr eigener Vater, ein reicher und wegen seiner moralischen Verworfenheit in Rom allgemein verabscheuter Patrizier, mit seinen blutschänderischen Nachstellungen verfolgte. Der alte Francesco Cenci ging in seiner Verworfenheit so weit, sich seiner beiden ältesten Söhne durch gedungene Banditen zu entledigen, und nun

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_042.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)