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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Rudern in dem klaren Meere gehörig beobachten zu können. Er stieg augenblicklich senkrecht in die Tiefe hinab und kam erst dann wieder herauf, wenn ich die abgelaufene Schnur nach der Oberfläche zurückzog. Als wir mit dem Boote still hielten, blieb er ziemlich lange unter dem Wasser, doch keineswegs so lange, als gewöhnlich gefabelt wird, und höchstens 2½ Minuten. Den Lund nahm ich mit in unser Haus, band ihm die Flügel und ließ ihn frei. Er suchte sich sogleich einen dunkeln Winkel und flog auch später immer dahin zurück. Wir brachten einen Hund herein, hetzten ihn auf den Vogel und sahen mit Vergnügen, daß dieser dem Vierfüßler gewachsen war. Er biß nach der Nase des Hundes und zwar mit so viel Geschick, Sicherheit und Kraft, daß der Hund laut aufheulend wie toll gegen das Thier rannte und später nie wieder zu bewegen war, sich dem erbosten kleinen Vogel zu nahen. Auch ich sah bald ein, daß mit dem wirklich rasenden Meerbewohner keine sonderlichen Beobachtungen angestellt werden konnten, und beschloß deshalb, ihn wieder frei zu lassen. Ich brachte ihn hinter unser Haus und setzte ihn dort auf eine Wiese nieder, erwartend, daß er dem Meere zueilen würde. Vergeblich, er blieb ruhig sitzen, oder trippelte vielmehr nach einem Verstecke umher, stellte sich aber augenblicklich zur Wehre, sobald wir uns näherten, und seine ungeheuere Wuth zeigte sich dabei im grellsten Lichte. Da er nicht floh, warf ich ihn in die Luft; er flatterte aber sofort wieder auf die Erde herab. Ich wiederholte den Versuch wohl zehn Mal, und erhielt immer dasselbe Ergebniß. Endlich trug ich ihn nach dem Meere und warf ihn nach demselben hin. Er erreichte es, tauchte unter und schwamm auf und unter der Oberfläche weiter und weiter in das hohe Meer hinaus. Ein junger Lund, welchen wir ebenfalls aus einer Höhle gezogen hatten, war übrigens ganz das Gegentheil seines Herrn Vaters. Er war sanft und wirklich liebenswürdig. Wir fütterten ihn mehrere Tage, konnten ihn aber leider nicht durchbringen.

Unsere erste Jagd auf den Bergen hatte bis nach Mitternacht gewährt und konnte so lange währen, weil ja damals kaum ein Unterschied zwischen Tag und Nacht bemerklich wurde. Die Mitternachtssonne stand noch groß und still und ziemlich hoch über den von ihr vergoldeten Fluthen, als wir heimfuhren. Nun hatte man uns aber gesagt, daß wir den Berg am Morgen besuchen müßten, und deshalb brachen wir nach wenigen Stunden der Ruhe wieder auf, um eine zweite Jagd dort zu machen. Als wir den Berg erreichten, hatten wir ein ganz neues Schauspiel vor uns. Das Meer war leer von Vögeln, sie saßen jetzt auf dem Berge, Zehn bei Zehnen, Hundert bei Hunderten, Tausend bei Tausenden, der ganze Berg glich einem über und über weiß betüpfelten Kegel. Von unten bis oben hinauf zeigte sich ein weißer Strich an dem andern. Das waren die Vögel, welche nicht brüteten, also kaum die Hälfte. Ein Schuß, welchen ich abfeuerte, brachte eine ungeheure Wirkung hervor. Hunderttausende stürzten sich mit einem Male zur See hinab. Es schwärmte um uns, daß es fast wie Donner klang, „Arr, Err, Quarr, Querr“ schrien die Alken, „Err“ (leiser) die Lunde, laut aufkreischten die Möven. Tausende saßen und Tausende flogen um uns herum. Wenn sie so zum Meere hinabstürzten, sah es aus, als sei von dem Berge herab eine Dachung zum Meere gelegt worden; denn die fliegenden Massen schienen nur eine ununterbrochene Linie zu bilden. Ich stieg aus, um zu schießen. Man hatte mir gesagt, daß die Alken und Lunde Anfangs fehlen würden, und wirklich Recht gehabt. Drei, vier, sechs, acht Schüsse blieben erfolglos, bis ich doch dahinter kam und nun einen der Burschen nach dem andern herabdonnerte. Ich mußte eine Elle vorhalten, wenn ich treffen wollte. Natürlich lagen wir wieder den ganzen Tag auf den Bergen. Dabei konnte ich nun beobachten, daß die Vögel zu gewissen Zeiten, nämlich Vor- und Nachmittags ohne eine mir erklärliche Ursache zu schwärmen begannen und wohl eine Stunde lang den Berg in eine Wolke hüllten, während sie sonst den übrigen Tag und die Nacht hindurch sich still verhielten. Oft hatten sie wirklich keinen Grund zum Fliegen und waren doch nicht einen Augenblick ruhig. Dann wieder saßen sie wie festgebannt lange Zeit an einer Stelle. Ein Jagdedelfalke hatte sich, wie ich im Voraus vermuthet hatte, irgendwo in der Nähe der Vogelberge angesiedelt. So oft er erschien, verursachte er einen entsetzlichen Schrecken und räumte regelmäßig den ganzen Berg ab; dann sah man eine schwarze, überaus bewegliche Wolke pfeilschnell nach dem Meere schießen und in ihm plötzlich verschwinden. Es waren die Alken und Lunde, welche sich kopfunterst hinabstürzten, um sich vor dem gefährlichen Gegner in den sicheren Fluthen zu verbergen. Er hatte die Vögel so beunruhigt, daß sie selbst durch die Möven in Aufruhr kamen, sobald diese selbst gewisse Flugstellungen annahmen und hierdurch den Falken gewissermaßen ähnlich wurden. Es war leicht einzusehen, daß der gewandte Räuber sich ohne Mühe die für ihn und seine Jungen nöthige Nahrung aus diesen Schwärmen holte.

Von den Besitzern der Berge erfuhr ich, daß die Lunde und Alken im Winter sich nur höchst selten sehen lassen. In den ersten Tagen des April stellen sie sich ein, erst einzeln, später in immer stärkeren und stärkeren Schaaren, und schon eine Woche nach dem Eintreffen der ersten Vorboten ist der Berg bedeckt. Um Pfingsten herum haben sie Eier. Bis Ende August verweilen sie in der Nähe der Brutplätze, dann wird es still und todt auf dem Berge und während des Winters sieht man auf dem beschneiten Kegel kaum einen einzigen Vogel, höchstens dann und wann eine Möve. Man stört die brütenden Vögel niemals durch Schießen, um sie nicht zu vertreiben, ja man glaubt, daß Denjenigen sicherem Unglück treffen würde, welcher mit einem Feuergewehr zur Jagd der Thiere auszieht.

Das wären nun ungefähr die Beobachtungen, welche ich in den zwei Tagen machen konnte. Sie können weiter Nichts als einen oberflächlichen Begriff der Wirklichkeit geben und sind, wie ich am besten selbst einsehe, im höchsten Grade mangel- und lückenhaft.

Unsere Herberge im Bauerhofe ließ Manches zu wünschen übrig. Man hatte uns zwar das gute Häuschen des Hofes eingeräumt und den Fußboden mit Sand bestreut, die Decke aber mit grünen Zweigen geschmückt. Allein die Thüren waren so niedrig, daß wir uns fast regelmäßig beim Durchgehen an den Kopf stießen, weil wir nicht, wie die übrigens riesenhaften Bewohner des Hauses, daran gewöhnt waren, uns vorher jedesmal zu bücken. Zum Schlafraum, dem Boden, führte eine wahre Hühnersteige. Die Betten waren mit Lundfedern, denn hierzu benutzte man die Federn aller Seevögel, die Decken mit Eiderdaunen gefüllt. Die Innelte ließen jedoch so viel von ihrem Inhalte durch, daß wir am Morgen jedesmal Papagenos waren. Schlicht und sehr schmutzig war das Essen. Ich fügte mich, durch Erinnerungen aus Afrika gestählt, mit der Gelassenheit eines Weltweisen in das Unvermeidliche: meinem Gefährten aber ging der erzväterliche Schmutz denn roch zu weit. Dabei hatte man eigenthümliche Ansichten von der Benutzung der Geschirre. Man brachte uns z. B. das Essen im Waschbecken, das Waschwasser aber in Eßschüsseln. Als die gute Hausfrau bemerkte, daß wir von den schönen Eiern weiter Nichts benutzten als die Schale, machte sie uns den ehrlichen Vorschlag, den ausgeblasenen Inhalt, welcher nothwendiger Weise mit Speichel, ja sogar mit dem Speichel unserer tabakskauenden Gefährten und andern nicht eben appetitlichen Sachen vermengt war, doch ja sorgfältig aufzuheben, weil sie uns daraus Eierkuchen bereiten wollte. Diese beiden Angaben mögen genügen, um die Annehmlichkeiten unserer Herberge zu schildern.

Am andern Tage brach Sturm los und brachte Regenwetter mit sich. Das Meer ging sogleich sehr hoch und machte uns jede Landung an den steilen Bergen unmöglich. Auch am folgenden Tage hielt dieses Unwetter an. Da wir jedoch mit Ausbalgen der Vögel und Ausblasen der Eier vollkommen zu thun hatten, hinderte uns dies im Ganzen wenig. Anders war es am dritten Tage. Wir wollten fort, allein es regnete und stürmte, und die Bootsleute erklärten, nicht in See gehen zu können. Endlich schienen sich die Verhältnisse etwas günstiger zu gestalten. Wir gingen in See; aber ich muß gestehen, daß es mir leid that, dies gethan zu haben. Wer niemals das Eismeer bei Sturm und die Menge der Schären an der Küste Norwegens kennen gelernt hat, kann sich unmöglich einen Begriff machen von der Fahrt, welche wir jetzt hatten. Daß das Boot sich in Wellenlinien bewegte, deren größte Höhe etwa um zwanzig Fuß über der tiefsten Tiefe lag, ließ uns ziemlich gleichgültig, denn weder ich noch mein Gefährte wurden seekrank; allein daß wir, wenn wir uns auf der Höhe einer Welle befanden, sehen mußten, wie rings um uns herum die Brandung toste und schäumte, so daß die Furcht rege wurde, im nächsten Augenblicke auf dieser oder jener Klippe zu zerschellen: – das machte doch die Fahrt nicht nur sehr ungemüthlich, sondern wirklich gefährlich. Ein Seehund, welcher ab und zu neben dem Boote sich zeigte, schien auch wirklich Mitleid mit uns, die wir außerdem noch durch den kalten Wind und Regen gepeitscht wurden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_031.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)