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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

gepachtet hatte und aus denen ich ziemlich Erkleckliches löste. Um so verdrießlicher war es mir, als ich seit einiger Zeit Spuren von Ottern bemerkte. Es wird Ihnen bekannt sein, welch’ erheblichen Schaden so ein Räuber anzurichten im Stande ist. Ich hatte deshalb fleißig die Eisen gelegt und ging regelmäßig des Morgens hinaus, um nachzusehen.

„Eines Morgens bemerkte ich denn, daß eines derselben fehlte. Die Stelle, auf der ich es gelegt hatte, war ringsum zerwühlt und aufgerissen, die freilich etwas alte Kette war abgesprengt und der zurückgebliebene Theil derselben um eine ganz zerzauste Weidenstaude geschlungen. Augenscheinlich hatte sich das Thier schlecht gefangen, die Kette abgesprengt und war, um sich seines vermeintlichen Feindes zu entledigen, seinem natürlichen Elemente zugeflüchtet.

Aber da das Eisen schwer war, mußte es ersaufen. So dachte ich, als ich alles übersah. Ich legte deshalb Gewehr und Tasche weg, stieg in das Wasser hinab, das hier etwas tiefer war und einen kleinen Tümpel bildete, und suchte mit dem langen Stocke nach dem Thiere. Umsonst, ich konnte nichts entdecken. Ich ging darauf eine Strecke weiter hinauf, in der Vermuthung, daß es aus dem Grunde weiter gelaufen sein möchte. Plötzlich hörte ich in einer kleinen Einbuchtung ein starkes Geräusch, das in einem Schnauben und in dem eigenthümlichen Pfeifen bestand, welches die Otter ausstößt, sobald sie gereizt wird oder verwundet ist. Ich stieg sofort aus dem Bache und ging etwa noch fünfzehn Schritte seitwärts an einem sogenannten Altwasser hinauf, und erblickte denn auch alsbald eine gewaltige Otter, die größte die ich je sah, wie sie um sich schlug und wühlte und sich wie toll gebehrdete. Mit leichter Mühe schlug ich sie todt. Das Eisen hatte augenscheinlich, als sie Verrath witternd aufspringen wollte, sie unglücklicker Weise noch mit der Ruthe gefangen, das Thier hatte sich, wie ich vermuthet hatte, in das Wasser geflüchtet und, als es merkte, daß es, vom schweren Eisen zu Boden gezogen, ersaufen müßte, auf dem Grunde fortlaufend sich wieder dem Lande zugewendet und war in dieser „Altern,“ wie wir es nennen, wieder herausgekommen, wo es sich des Eisens zu entledigen suchte. Die Ruthe war beinahe abgedreht, und wäre ich nur um eine halbe Viertelstunde später gekommen, so wäre das Thier entwischt. Wie gesagt, der Bursche war der größte, den ich je gesehen hatte; er maß von der Schnauze bis zur Schwanzspitze 5 Fuß, und ich schätzte sein Gewicht auf 20 Pfund.

„Den Prachtkerl auf die Schulter nehmend, wollte ich nunmehr Gewehr und Tasche holen, allein wer beschreibt mein Erstaunen, als Beides verschwunden war! Daß sie gestohlen waren, unterlag keinem Zweifel, ich sah die Fußtritte der Diebe im thauigen Grase und ward ganz wüthend, wenn ich an den Spott dachte, der mir zu Theil werden würde, wenn ich ohne Gewehr nach Hause käme. Ohne weiter an das Gefährliche meines Beginnens zu denken, folgte ich rasch der Fährte. Umsonst, auf dem abgefallenen Laube im Walde war jede Spur bald verloren. Nun eilte ich einen kleinen Hügel hinan, der, mit einigen Bäumen bewachsen, niederes Buschholz hatte, um von dort aus den kecken Dieb zu erspähen. Kaum war ich jedoch auf der Höhe angelangt und in das Gebüsch eingetreten, als es rechts und links neben mir knackte und ich mit einem Ruck zu Boden gerissen war. Mein Rufen war vergebens, ich hatte nichts als meine Fäuste, denn selbst das Messer steckte in der gestohlenen Waidtasche, und meine Gegner waren sechs starke Männer. Man band mir die Hände auf den Rücken zusammen und schlang die Leine um einen nahen Baum, so daß ich mit dem Rücken an dem Stamm lehnen mußte.

„Während ich so dastand, hatten sich die Burschen etwas weiter zurückgezogen und berathschlagten, was sie mit mir anfangen sollten. Einer derselben, der Haupträdelsführer wie es schien, und derselbe, der sich meines Gewehrs und meiner Tasche bemächtigt hatte, flüsterte leise den Uebrigen etwas zu, worauf das Corps in ein schallendes Gelächter ausbrach. Sie ließen mich nicht lange über den Grund ihrer Heiterkeit im Ungewissen. Vorne am Hügel, wo ein Felsen senkrecht abwärts fiel in das Thal, standen zwei ziemlich starke Birken nahe aneinander. Auf jede derselben stieg nun einer der Burschen, und indem sie sich an einem der oberen Zweige anhaltend herabließen, bogen sie mit Hülfe der Untenstehenden beide Bäume herab fast bis auf den Boden. Dann schnitt man mich vom Baume los, zog mich unter die beiden Birken hinein und band mich mit je einem Arm und Fuß an die herabgebogenen Aeste. Als ich gehörig befestigt war, ließen sie beide Bäume, unter einem schrecklichen Jubelgeschrei in die Höhe schnellen. Ich glaubte gegen den Himmel hinauf geworfen zu werden, und die Prellung, die im Augenblicke erfolgte und mir fast alle Gelenke zerriß, preßte mir einen furchtbaren Schmerzensschrei aus. Denken Sie sich meine Lage. Da hing ich zwischen Himmel und Erde, an immer schwankenden Aesten über einem Abgrund von gewiß fünfzig Fuß Tiefe. Ich rief aus Leibeskräften, aber meiner Stimme antworteten anfangs nur die Spottreden meiner abziehenden Feinde und dann blos noch das höhnende Echo. Der Schmerz an den Gelenken war furchtbar.

„Als der Abend herankam, zog ein Wetter am Himmel herauf, der Wind blies aus vollen Backen, ich flog auf und nieder, die Bäume bogen sich, und ich hoffte jede Minute, daß sie brechen möchten, denn ich hatte vor Schmerz nur den einen Wunsch zu sterben, und ich wäre damals froh gewesen, wenn mich der Sturm in die Tiefe hinabgeschleudert hätte. Je dunkler es wurde, desto heftiger wüthete der Sturm, der Regen goß in Strömen nieder, der Donner brüllte und blendende Blitze fuhren um mich her. Endlich erbarmte sich eine mitleidige Ohnmacht meiner.

„Als ich wieder zu mir kam, stand die Sonne bereits hoch am Himmel, Alles war frisch und grün und glänzend, aber ich schwebte, wie eine arme Seele zwischen Seligkeit und Verdammniß, zwischen Himmel und Erde. Je weiter die Sonne emporstieg, desto gräßlicher ward meine Lage. Ihren glühenden Strahlen ausgesetzt, glaubte ich verbrennen zu müssen, mein Gehirn kochte und das Blut, das in meinen Adern tobte, drohte mir den Kopf zu zersprengen. Lange konnte dieser Zustand nicht mehr dauern, und in den lichten Augenblicken, die anfingen immer seltener zu werden, suchte ich so gut wie möglich meine Gedanken zu sammeln, um als guter Christ aus der Welt zu scheiden.

„Da tönte mit einem Male ein helles Pfeifen an mein Ohr, so fröhlich als nur je eines aus der Brust eines herumlungernden Strolches hervorkam. Ich strengte mich mit aller Gewalt an zu sehen, woher diese Töne kamen. Nicht lange, so erschien unter den Bäumen da unten das Menschenkind, und ich erkannte in ihm einen unserer ärgsten Holzdiebe, den ich schon einige Dutzend Male zur Anzeige gebracht und öfters eigenhändig abgestraft hatte. Es war der Gabelmacher Lenz wie er leibte und lebte, mit seiner Pelzkappe, die Hände tief in den Taschen seiner blauen, zwilchenen Hosen. Augenscheinlich lungerte der Kerl da oben herum in der Absicht, sich ein Stück Holz auszusuchen, das er bei nächster Gelegenheit holen konnte, und mochte dabei wohl nicht ahnen, daß er so genau beobachtet werde. Sonst war mir der Kerl, wenn er mir auf der Landstraße begegnete, ein Dorn im Auge, aber jetzt erschien er mir als rettender Engel. – – Ich versuchte zu rufen, aber ein neuer Schrecken durchbebte mich, ich konnte mit aller Anstrengung keinen Laut hervorbringen, der Hals war mir wie zugeschnürt.

Schon begann sich der Gabelmacher in immer weitern Kreisen von mir zu entfernen, in wenigen Augenblicken vielleicht war er verschwunden und ich war rettungslos verloren. Da strengte ich alle meine Kräfte an und stieß ein heiseres Gebrüll aus. Ich konnte gerade noch erkennen, wie der Lenz unten erschrocken bei Seite sprang und wie er dann zu mir heraufsah, dann schwanden meine Sinne und ein heftiger Blutsturz war die Folge dieser Anstrengung. Der Gabelmacher wäre, wie er mir nachher erzählte, beinahe vor Schrecken davongelaufen, wie er da oben einen Menschen hängen sah, und dann wäre ich wohl sicher verloren gewesen. Aber er hatte sich rasch besonnen und war zu einigen Holzhauern hinabgeeilt, die eine Stunde weiter unten beschäftigt waren, und hatte diese heraufgeholt, worauf sie mich dann so gut als möglich aus meiner Lage erlösten und in’s Dorf hinunterbrachten. Der herbeigerufene Arzt erklärte es für ein wahres Wunder, daß ich so lange dieser Qual hatte widerstehen können, und behauptete, daß ich, wenn dieser Blutsturz nicht eingetreten wäre, ohnfehlbar hätte ersticken müssen. Zeitlebens ein Krüppel würde ich aber wohl bleiben, meinte er. Und wirklich war mein Zustand schlimm genug. Mein linker Arm war ganz aus der Achselhöhle gerissen und an den beiden Handgelenken das Fleisch bis aus die Knochen durchschnitten; hier sehen Sie noch die Narbe davon. Gegen alles Erwarten gelang aber meine Heilung, und mit allem Respecte vor dem Doctor, der sein Möglichstes that, mich wieder herzustellen, so sehen Sie doch, wie ihn seine Weisheit diesmal im Stiche ließ.“ Damit machte Nickl einen Kreuzsprung, der einem Jongleur Ehre gemacht hätte. „Und da jetzt meine Geschichte zu Ende ist,“ fuhr er fort, „dächte ich, ich ginge mit meiner Mannschaft da links

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