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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

auch noch kleine Glassplitter. Der Mörder hatte sie wieder aufgerichtet und den Perpendikel natürlich doch wohl angestoßen. Derselbe war aber gleich oder bald darauf dennoch stehen geblieben, die Uhr zeigte ein Viertel nach Drei, und gerade von vor Drei bis nach Vier hatte Schenk’s Mutter gewacht; sie hatte alle Glockenschläge gehört.

„Schenk war durch zwei tiefe Messerstiche in der Brust, die aber beide das Herz verfehlt hatten, tödtlich verwundet worden, hatte aber jedenfalls noch mit dem Mörder gerungen, wie der Zustand des Bettes und seine blutigen, zerschnittenen Hände bewiesen. Ein Schlag auf den Kopf hatte den Schädelknochen durchbrochen und dem Leben des Armen vermuthlich ein schnelles Ende gemacht. Das Mordinstrument – oder waren es mehrere? – war nicht zu finden, überhaupt nichts, was mit der Person des Mörders in Verbindung gewesen oder auf dieselbe hindeutete, als ein mit Erde oder Staub beschmutzter Handschuh, der zusammengedrückt in dem Winkel zwischen Bett und Secretair gefunden wurde. Er war fein, wenig gebraucht und von dunkelbrauner Farbe, unten auch mit Knöpfchen zu schließen, was damals noch keineswegs gewöhnlich. In E. wenigstens fanden sich schwerlich bei den Händlern solche Paare vorräthig. – Endlich waren aus dem Schränkchen anscheinend mehrere Papiere und Kostbarkeiten verschwunden – nach Angabe der Mutter von bedeutendem Werth und doch für den Räuber ziemlich nutzlos oder gefährlich, da es nur Gegenstände von alterthümlicher Façon sein sollten, meistens von den Groß- und Urgroßeltern Schenk’s herstammend, und daher nach einigermaßen deutlicher Beschreibung augenblicklich wieder zu erkennen. – Das war alles.

„Auch im Hause hatte sich nichts weiter gefunden – darüber werde ich aber noch zu sprechen haben. – Die Hausthür war Morgens verschlossen gewesen, und von dem Riegel der Hofthür behauptet das Mädchen, welches um 6 1/2 Uhr zum Brunnen gegangen, das Gleiche. Dies blieb aber unwahrscheinlich, da es dem Thäter diesen Weg, den einzigen anscheinend möglichen, versperrt hätte. Die Thür in der Stadtmauer dagegen war verschlossen; der Schlüssel hing unberührt im Zimmer Schenk’s. Aber man konnte vom Hofe auch ohnedies in den Nachbarhof, und wenn man denselben passirt hatte, auf einen unbebauten Fleck an der Mauer und auf die Straße gelangen.

„Es ist nur seltsam,“ schloß unser Berichterstatter seine lange Mittheilung, „daß auch die weißgetünchte Grenzmauer des Schenk’schen Hofes keine Spur von einem angestemmten Fuß oder einer angelegten Leiter zeigt, daß im Mittelsteige des Hauptgartens zwei oder drei sehr sichtbare Abdrücke eines feinen Stiefels, aber nur bis zu dem kleinen Rondel mit dem Bassin zu verfolgen sind.“

„Dies Letztere kann auch ich nicht erklären – ich muß das Terrain und die Spuren wenigstens erst sehen,“ sagte ich jetzt nach einer Pause, und das Herz klopfte mir, als sei ich ein blöder Schuljunge, der zum ersten Mal den Muth faßt, eine allgemeine Frage zu beantworten. – „Es wäre immerhin nicht unmöglich, daß der alte Jäger etwas fände, was ihr übersehen, und am besten würde der Garten überhaupt bis zu näherer Untersuchung noch verschlossen gehalten.“

„Das geschieht auch,“ versetzte der Assessor halb pikirt, halb verwundert. „Wo aber wollen Sie hinaus, Herr Hauptmann? Ich seh’s, Sie haben noch etwas Anderes.“

„Allerdings,“ erwiderte ich. „Der Mörder ist nicht über die Hofmauer, sondern durch den Garten entflohen. Ueber den Altan – haben Sie da schon nachgesucht? – kann man meines Wissens ziemlich leicht hinab, vielleicht dort auch hinauf kommen. Ich möchte darauf schwören, daß ich den Thäter auf seinem Rückwege gesehen habe. – Brauche ich es euch zu sagen, wie die Beiden auffuhren, mich anstarrten? Wie sie lauschten, als ich jetzt das anscheinend so unbedeutende, in Wirklichkeit vielleicht so überaus bedeutungsvolle Begegniß in der vergangenen Nacht mittheilte?

„In der That,“ sprach der Assessor, als ich geendet, „ich fange an, an Ahnungen und Instinkte im Menschen zu glauben! Es war mir widerwärtig, heut Abend noch mit jemand, selbst mir Ihnen Beiden, meine Herren, zu reden, und doch trieb mich etwas dazu; mir war als müsse ich irgend eine Aufklärung erhalten. Und nun dies, die erste Stufe, auf der man wirklich Fuß fassen kann! Nicht wahr, Hauptmann – die Nachtposten an den Thoren stehn bis nach vier Uhr? Der Mensch muß also gesehen worden sein.“

„Ich zuckte die Achseln. „Ja,“ sagte ich, „die Posten stehn sogar jetzt noch bis sechs Uhr, allein ob sie trotzdem den Burschen gesehen haben, ist eine andere Frage, ich möchte wenigstens nicht darauf schwören. Und überdies – wer sagt uns, daß der Mensch in die Stadt gegangen? – Doch das können wir alles morgen früh sogleich erfahren. Ich verspreche Ihnen bis neun Uhr die genaueste Nachricht, da meine eigene Compagnie die betreffenden Posten gestellt hat.“ – Und nachdem wir noch eine Weile fortgeredet, gaben wir uns für alle Fälle und selbst, wenn auch nichts Wichtiges erkundet würde, ein Rendezvous im Trauerhause bis neun Uhr und trennten uns dann. Ich begleitete auf meinem Wege den Rath Huber noch eine kurze Strecke weit. Wir blieben Beide einsylbig.

„Als wir auf der Ecke am Markt uns zum Abschied die Hände reichten, fragte er gedämpft und gleichsam nachdenklich: „Haben Sie jemals von irgend einem Feinde Schenk’s gehört, Hauptmann? Hat er Ihnen nie eine Andeutung von dergleichen gemacht?“

„Nie!“ versetzte ich der Wahrheit gemäß und mit Bestimmtheit. „Im Gegentheil, er hat nur bei Gelegenheit wohl einmal sein Glück und seine Zufriedenheit gerühmt, daß er mit aller Welt, mit Groß und Klein im Frieden lebe, daß selbst die Verbrecher, die er zu strafen gehabt, ihm fast immer unverkennbare Zeichen der Zuneigung, des Zutrauens gegeben. Es versöhne ihn das, meinte er dabei, mit mehr als einer, seiner Stellung anklebenden Härte und zeige ihm, daß er im Ganzen auf dem richtigen Wege sei.“

„Und haben Sie auch nie bemerkt, ob er jetzt oder früher einmal in irgend einem intimeren Verhältniß mit – irgend einem weiblichen Wesen gestanden?“ fragte Huber nach einer Pause wieder.

„Nie, Herr Rath!“ entgegnen ich ebenso bestimmt. „Im Gegentheil sag’ ich auch hier – von einem legalen Verhältniß war, wir wir ja alle wissen, keine Rede, und von einem andern, meine ich, noch viel weniger. Aber was denken Sie, Herr Rath?“

„Nichts, nichts,“ erwiderte er mit einer ablehnenden Handbewegung. „Ich möchte eben nur eine Todfeindschaft ahnen oder für möglich halten können, die zu solchem Resultat führte. Hat er auch nie von seinem Tode zu Ihnen geredet? Man hat Beispiele –“

„Nicht doch, Herr Rath,“ fiel ich ihm ins Wort, da ich seinen Gedankengang ohne Mühe verfolgen konnte. „Schenk hatte keine Sorge, nicht einmal die Ahnung, daß er jemals, vielleicht bald, schnell sterben könnte. Wenigstens sprach er es gegen mich niemals aus. – Mit einem Wort – ich habe niemals bemerkt, daß er überhaupt irgend ein Geheimniß habe, daß in seinem frühern oder gegenwärtigen Leben etwas sei, was er hätte verbergen mögen.“

„Es ist seltsam,“ murmelte Huber kopfschüttelnd, „ich weiß das ja so gut wie Sie, aber ich kann mich von dem Gedanken nicht los machen, daß doch etwas dagewesen sein muß, was er uns Allen verbarg. Was sind das für Papiere, die der Mörder geraubt? Staatspapiere? – Doch genug!“ brach er dann ab und schüttelte nochmals meine Hand; „morgen ist ja auch ein Tag! Gute Nacht, lieber Hauptmann.“

„So schieden wir, und ich ging in einer eigenthümlichen Stimmung nach Hause. Es war meine feste Ueberzeugung gewesen, die ich in allen Punkten gegen den Rath ausgesprochen, und die Weise, der Inhalt seiner Fragen, seiner Antworten ließen mich jetzt fast zweifeln, ob jene Ueberzeugung wirklich, eine völlige, feste, richtige sei, machten mich peinlich unsicher und erfüllten mich mit noch peinlicheren Gedanken. Ich hatte eine unbehagliche, fast schlaflose Nacht, und mir wurde erst wieder besser, als ich am folgenden Morgen zum Handeln kam und meinen Feldwebel wegen der Nachtposten ins Gebet nehmen konnte. Es machte sich alles schneller als ich gehofft; er wußte zufällig den Namen des Mannes, der bis vier Uhr an meinem Thore gestanden. Es war noch dazu einer der intelligentesten und tüchtigsten Leute der Compagnie und wohnte so nahe, daß mein Bursche ihn gleich herbeiholen konnte. Ich hatte mich in der Annahme, daß ich grade von diesem Mann etwas erfahren könnte, nicht getäuscht.

„Kaum hatte ich gefragt: „ist Ihnen auf Ihrem Posten zwischen zwei und vier Uhr nichts Besonderes begegnet, Sinefsky?“ – so erwiderte er: „zu Befehl, Herr Hauptmann – nichts Besonderes grade, aber doch was mir auffiel. Ich habe nach der Ablösung auch auf der Wache davon geredet. Um drei Viertel auf Vier kam vom Wall herunter, wo gleich hernach auch der Herr Hauptmann herausspazierten, ein großer Mensch in Hut und Mantel auf’s Thor zu und strich durch die kleine Pforte so hart an mir vorüber, daß er mich zur Seite drängte und ich ihm mein Hollah

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