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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Es sollen nun wirklich auf Grund der erhaltenen Mittheilung von der Berliner Polizei Nachforschungen angestellt sein, doch mögen dieselben nicht befriedigend ausgefallen sein. Der Lehrer erhielt statt der gehofften Belohnung einen derben Verweis, der zwar auch als Belohnung angesehen werden kann, aber doch eigentlich im Vergleich zu der gehabten Mühe zu gering war.




Die Puste-Post. Es bildet sich noch ein neues Ader- und Verkehrssystem durch das „unterirdische London“ hin. Eben werden Röhren vom General-Postamte Londons in der Mitte der City nach einem Punkte des Westendes gelegt, um Packete hindurch zu pusten, Röhren für „pneumatische Beförderung“, wie man gelehrt sagen muß, denn es ist Unternehmen einer „Pneumatic Despatch Company", d. h. einer Gesellschaft, die nicht mit Pferden, Schiffen oder Dampf, sondern mit Luft fährt und fördert. Die Packete sollen einfach durch Röhren von einem Orte zum andern geblasen werden. Das geht sehr gut, billig, sicher und schnell - 40 englische oder etwa 9 deutsche Meilen in der Stunde. Ich hab’s an einem Modell im Kleinen gesehen, einer Glasröhre, mit einem hohlen Cylinder an irgend einer Stelle derselben. Setzt man die Röhre senkrecht auf einen hineinpassenden Körper (man operirte mit Bleikugeln) und bläst in dieselbe durch die von der Seite eingefügte Röhre, so wird die Kugel von unten durch die Röhre in die Höhe getrieben und kann durch Anhalten des Athems an jeder Stelle beliebig sofort aufgehalten werden. Das ist der Mechanismus für pneumatische Beförderung von Sachen und – Personen.

Das aerodynamische Gesetz dieser sonderbar aussehenden Erscheinung – daß die Kugel durch Einblasen über ihr in die Höhe gezogen oder getrieben wird – versteh’ ich noch nicht, die Engländer, die mir die Sache zeigten, verstanden’s auch nicht, aber sie sind praktisch und gehen darauf los mit massenhaftem compagniertem Capital und werden auch noch pneumatische Eisenbahnen unter der Erde hin legen, um Personen tausendweise sicher, billig und schnell in wenigen Stunden Hunderte von Meilen weit hin und her zu pusten. Der ursprüngliche Erfinder oder Entdecker des Modells für solche pneumatische Beförderung unter der Erde hin (weil man die Bodenoberfläche dazu nicht benutzt und viel besser mit Korn und Kartoffeln und Viehfutter bewirthschaften kann) ist ein Deutsch-Däne, der mir sein Modell zeigte, als er sonst weiter nichts mehr hatte und halb verhungert war. Welcher Erfinder und Schöpfer von neuen Cultur-Capitalien hat nicht Aehnliches erlebt oder – erstorben?

Ein andermal mehr über diesen neuen Luftgeist des beflügelten Fortschritts. Jetzt noch ein kräftiger Schluß aus Ruge’s Schillerbuche über die Faulheit, Bosheit und Bornirtheit der Menschen gegen Wohlthaten, die ihnen durch neue Ideen und Erfindungen geboten werden:

„Gegen nichts sträubt sich die Menschheit hartnäckiger, als gegen Ersteigung einer neuen Stufe in ihrer eigenen Selbstschätzung. Ihre (wir wollen’s auf die Philister und „Bestehens“-Wütheriche beschränken) Bescheidenheit wird zur Wuth, ihre Niederträchtigkeit wird ihr zum Dogma, wenn es gilt, ihr neue Ehren und Vorzüge zu schenken. Der Weltverbesserer, und sollte er auch nur Kartoffeln einführen oder den Dampfwagen bauen wollen, erhält immer die Antwort: Wir glauben nicht an Deine Wohlthat und nicht an unsere Fähigkeit, sie zu genießen. Darum braucht die Entwickelung Jahrhunderte zur Durchsetzung einer Idee, wie die der Reformation und vollends die der Freiheit aller Staatsbürger, der Herrschaft des Gedankens, des Gesetzes und der unbehinderten Erörterung.“

Dies scheint nicht in eine Notiz über die neue Puste-Post zu passen, aber sie fordert gerade am meisten das Hohngelächter der Philister und Gewohnheitsmenschen heraus. Und doch giebt es nichts Gescheidteres, Schöneres, Praktischeres für Verkehr, als statt donnernder Wagen, schwitzender Pferde, platzender Dampfkessel und übereinanderstürzender Wagen die stille, weiche, überall umsonst zu habende, sichere, schneller beflügelte Luft anzuwenden.

B.




Ein Redactionsbureau in der Wildniß. Ein Amerikaner, der mit einer nach den Goldminen des Frazer-River bestimmten Expedition die Reise durch die ungeheuern Prairien machte, welche sich pfadlos jenseit St. Paul im Staate Minnesota ausdehnen, schreibt in seinem Reiseberichte: „Als den letzten Posten der Civilisation in nordwestlicher Richtung des nordamerikanischen Festlandes muß ich St. Cloud, eine etwa 1000 Einwohner zählende Stadt bezeichnen, denn hier, mitten in der Wildniß, fanden wir das letzte Gasthaus und die letzte Zeitung, die um so mehr Interesse erregt, da der Herausgeber, Redacteur und Drucker derselben eine Dame ist. Wir machten Mrs. Swißhelm, als Collegen, unsern Besuch und fanden eine hübsche, junge, kleine Frau mit großen klugen Augen und einer ungewöhnlich hohen und breiten Stirn. Sie trug die braune Kleidung der Quäkerin, saß am Fußboden und nähete ruhig an einem Teppich für ein neuangebautes Zimmer, eine Beschäftigung, in der sie sich auch durch unser Kommen nicht stören ließ. Für alle Neuigkeiten, die wir ihr mitzutheilen vermochten, war sie uns vielleicht eben so sehr als Zeitungsschreiber, wie als liebenswürdige Frau dankbar. Sie fragte viel und lebhaft, aber sie that nicht eine einzige müßige Frage, sondern berührte immer den Kern und das wirkliche Wesen der Dinge, die sie zu wissen wünschte. Alle ihre Gegenbemerkungen waren treffend und nicht selten witzig. Nach längerem Gespräch führte sie uns endlich in ihr Allerheiligstes, in das Redactionsbureau. Es war ein kleiner, gangähnlicher Raum, der zugleich als Arbeits-, Speise- und Kochzimmer diente. In der einen Ecke stand ein Schreibpult mit der unerläßlichen Scheere und dem Kleistertopfe, in der andern ein gedeckter Tisch und nicht weit davon der eiserne Kochofen, auf welchem ein Kessel, eine Theekanne und eine Schmorpfanne sichtbar waren. In einem anstoßenden größern Raume befand sich die Druckerei. Sie enthielt zwei Handpressen, einige Setzkasten etc. Die wackere Frau erzählte uns, daß sie, ehe sie ihr Unternehmen begann, erst selbst Setzen und Drucken lernen und in der ersten Zeit Tag und Nacht arbeiten mußte, weil sie Niemanden zur Hülfe hatte. Später gelang es ihr, sich einige Knaben zur Stütze heranzubilden, und gegenwärtig, nach fünfjähriger geistiger und körperlicher Anstrengung, hat sie endlich eine sorgenfreie Stellung, wenn auch in sehr bescheidenen Verhältnissen, errungen. An einen Setzkasten gelehnt, erzählte sie uns, wie ihr Leben unter den halsstarrigen, rohen, ja gewaltthätigen Pionieren, unter die ein feindliches Schicksal sie verschlug, für sie, die feingebildete Frau, ein wahres Martyrthum gewesen war, und welche Schwierigkeiten, Anfeindungen und Vorurtheile sie überwinden mußte, ehe es ihr gelang, festen Fuß zu fassen. „Es hat mir fast das Leben gekostet, meinen Lebensunterhalt zu gewinnen,“ schloss sie ihre einfache Erzählung und wir schieden mit wahrer Hochachtung von der eben so muthigen wie liebenswürdigen Frau.“




Unsere schönen deutschen Damen mögen sich gratuliren, daß sie nicht in London wohnen: dort wird auf junge hübsche Fräulein in einer Weise Jagd gemacht, die wirklich etwas Unangenehmes hat. Aus den Londoner Polizeiberichten der letzten Woche geht hervor, daß in Zeit von einigen Tagen nicht weniger als fünf junge Ladies verschwunden sind, ohne daß man bis jetzt ihren Aufenthalt kennt.

Miß Theresa Brown, heißt es in diesem Bericht, und drei andere in Clapham Road (sehr respectables, vom bessern Mittelstande bewohntes Viertel) residirende Damen sind von ihrem elterlichen Hause entführt worden, oder haben dasselbe nach gemeinschaftlicher Verabredung verlassen. Man hat ihre Spur bis Bristol verfolgt, wo die Polizei alle Anhaltspunkte zur weitern Verfolgung verloren hat. – Die Polizei ist weiter benachrichtigt worden (information has been received, wie die officielle Formel lautet), daß eine junge Dame, Namens Eugenie King. 17 Jahre alt, welche von Hawkhurst in der Hauptstadt ankam, um Verwandte zu besuchen, in der Eisenbahnstation von London Bridge von einem modisch gekleideten Manne mit Livrebedienten getroffen wurde, der, unter dem Vorgeben sie und ihre Effecten nach Mecklenburgh Square zu ihren Verwandten zu geleiten, sie in einen Brougham setzte – und nichts Weiteres ist von ihr gesehen und gehört worden. Gestern, heißt es weiter, wurde die Polizei benachrichtigt, daß Miß Maria Bumpus von 120 London-Road ihr elterliches Haus spät am Abend verlassen, um dem Abendgottesdienst in der St. Judes-Kirche, Southwark, beizuwohnen, und auf ihrem Wege von einer respectablen Frau angeredet wurde, welche sie in ein Cab zu steigen vermochte und mit ihr davon fuhr. Da die junge Dame nicht nach Hause zurückkehrte, so wurden Nachsuchungen angestellt, aber obgleich eine bedeutende Belohnung ausgesetzt worden ist, so hat sich bis jetzt noch keine Spur von der Verschwundenen auffinden lassen. Miß Bumpus ist 15 Jahre alt und besitzt große persönliche Reize.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_016.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2022)