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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

dem Gipfel des Berges standen, konnten wir rings um uns herum, von unserer über dreihundert Fuß erhabenen Warte unmöglich entdecken, wo der Schwarm endete, noch wahrnehmen, wo das Meer frei von Vögeln gewesen wäre. Ich versuchte zu spähen und nahm mir ein kleines Quadrat im Meere in das Auge; dasselbe theilte ich wieder in vier andere und begann nun zu zählen. Ich konnte mehr als zweihundert unterscheiden. Das eine Quadrat enthielt also beinahe tausend Vögel; ich hätte aber Tausende solcher Quadrate aneinander setzen können und noch lange nicht mit ihnen den Raum angefüllt, welchen ich von Vögeln bedeckt sah. Es flimmerte, schwirrte, rauschte, schrie, tanzte um uns herum, daß uns fast die Sinne vergingen. Ich schwelgte und verbot zu schießen, aber ich hätte es auch nicht gekonnt, wenn ich nämlich nicht auf die ruhig sitzenden Vögel hätte feuern wollen. Es war ganz unmöglich einen Vogel auf das Korn zu nehmen. Meine lange Lehrzeit als Jäger schien mir heute vergeblich gewesen zu sein. Ich glaubte erst lernen zu müssen. Die ganze Masse war im höchsten Grade aufgeregt, aber nicht scheu; viele ließen uns so nahe an sich heran kommen, daß ich meinte sie mit meinem Stocke erschlagen zu können; – scheu waren nur die Möven und Scharben. So konnte ich denn studiren und sehen, wie steif und kalt auch unsere besten Abbildungen sind. Hier zeigte sich mir die Schönheit, der Reiz des Gebens in jeder Bewegung. Die so steif erscheinenden Alken saßen nicht einen einzigen Augenblick lang ruhig, sondern bewegten wenigstens den Kopf und Hals nach allen Seiten hin ohne Unterlaß und gewannen hierdurch unglaublich, weil ihre Umrisse nun wahrhaft künstlerische Linien bildeten. Namentlich vor- und rückwärts beugten sie sich häufig, gerade als wollten sie wittern oder sichern. Die Lunde saßen ruhig, doch war auch bei ihnen der eigenthümliche Kopf in steter Bewegung. Manchmal trippelten sie auf ihren Wartesitzen lebhaft hin und her. Am spaßhaftesten aber nahmen sie sich dann aus, wenn sie so eben aus ihren Höhlen hervorlugten und neugierig fragend auf uns schauten.

Mir machte es ein unnennbares Bergungen, unter den Millionen herumzuwandern. Bald wurde ich mit großer Ueberraschung, bald mir Furcht betrachtet. Ich hätte Hunderte erlegen können, schoß aber am ersten Tage gar nicht, am zweiten nur einige Mal unter die größten Haufen. Der Erfolg war stets verhältnißmäßig unbedeutend; denn blos die tödtlich Verwundeten fielen mir zur Beute, die übrigen erreichten, selbst wenn sie stark angeschossen waren, regelmäßig das Meer und waren uns dort verloren.

Unsere Wirthe und Besitzer der Berge hatten keinen abgerichteten Hund zum Herausholen der erbeuteten Thiere und deren Eier, wie dies auf anderen Inseln der Fall ist. Deshalb mußten wir uns schon selbst bequemen, das Geschäft jener Hunde zu übernehmen. Und wir fanden genug Eier und auch Brutvögel in den Höhlen. Wie bemerkt, waren die Löcher überall angelegt, wo sich nur ein passendes Plätzchen fand, d. h. mit anderen Worten auf dem ganzen Berge. Die meisten hatten mehrere Ausgänge, andere waren so tief, daß wir ihr Ende trotz alles Grabens und Wühlens nicht erreichen konnten. Bei einigen war der Gang von vorn bis hinten mit trocknen Pflanzen ausgepolstert, bei andern fand sich nur eine Reihe zusammengeschichteter Nester im hintersten Kessel. Wir fanden in den Nestern der Lunde überall nur ein Ei von rein weißer Farbe, wenn es frisch war, von braunrother Farbe aber, wenn es der Torf beschmutzt hatte; die Eier der Lummen und Alken waren grau oder lebendig grün und sehr bunt mit braunen, rothen und schwarzen Punkten gezeichnet. Ganz frisch gelegte Eier waren selten, weil die Bewohner der Höhe schon seit mehreren Wochen hier geerntet hatten. Wie man uns erzählte, schätzt man die Zahl der Eier, welche man von diesem einen Berge nimmt, auf fünf- bis sechstausend jährlich, und das ist schon eine Sache von Bedeutung, denn fünf- bis sechstausend Eier sind fünf bis sechshundert Thaler unseres Geldes werth. Außer den Eiern werden aber noch alle Vögel, welche man in der Höhle ergreift, abgewürgt und verspeist, und die Leute thun daran ganz recht, denn selbst die Alken schmecken keineswegs so schlecht, als gewöhnlich geglaubt wird: sie müssen nur richtig zubereitet werden. Die Zahl der Eier und Vögel übrigens, welche von den Bewohnern dem Berge entnommen werden, hat auf das Gesammtergebniß der Brut kaum einen Einfluß. Man macht es sich bequem, weil man ohnehin keine gute Absatzquelle für seine erbeuteten Schätze hat, und nimmt nur diejenigen Nester aus, zu denen man ohne große Mühe gelangen kann. Das ist aber unstreitig die allergeringste Zahl; eine Zahl, welche mit den übrigen unerreichbaren in keinem Verhältniß steht. Im Hintergrunde jeder Felsspalte sieht man zwei, drei, vier Eier liegen, so bald sich für eben so viel Vögel Platz zum Brüten findet. Diese sind vor den Angriffen des Menschen gesichert, denn der Arm reicht nicht so weit hinein, und was der Vogel in die Tiefe gelegt hat, wird eben nicht weggenommen. Ohne sich der geringsten Uebertreibung schuldig zu machen, darf man dreist behaupten, daß die Zahl der erbeuteten Eier vielleicht noch weniger als ein Hundertstel von allen denen ist, welche gelegt werden und glücklich auskommen.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Zur Geschichte des Aberglaubens. Es wird den meisten Lesern noch erinnerlich sein, wie der Königin von Preußen vor zwei Jahren auf einer Reise ihr Portefeuille verloren ging, und daß es selbst Stieber sammt der ganzen thätigen Polizei, die doch einen so langen Arm hatte, nicht gelang, den Verbleib desselben auszukundschaften; es wurde deshalb dem Finder eine Belohnung von 300 Thalern zugesichert.

Da plötzlich schien es, als wenn die Aufklärung von einem Lehrer eines märkischen Dorfes, das ich jedoch hier nicht nennen mag, ausgehen sollte. Der Nachbar dieses Lehrers hatte eine alte ererbte Bibel, welche, auf einem Schlüssel tanzend, schon manches Geheimniß enträthselt und manchen Sünder entlarvt hatte. Konnte diese Bibel hier nicht auch den Dieb nennen und dadurch alle schlauen Polizisten beschämen? Der Lehrer bringt Bibel und Schlüssel in gehörige Stellung und fängt dann sein Examen mit derselben an. Es waren besonders drei Fragen zu beantworten:

1. Wo ist der Diebstahl geschehen?
2. Was war der Dieb?
3. Wie hieß derselbe?

Damit die Bibel die erste Frage beantworten könne, wurden ihr verschiedene Ortsnamen genannt; sie rührte sich nicht! Endlich wird der Name Leipzig genannt, und siehe da, die Bibel bewegte sich! Natürlich nicht durch Zufall, sondern vermöge der durch das Vererben in ihr wohnenden Zauberkraft.

Die erste Frage war somit gelöst! Nun die zweite: Was war der Dieb? War er ein Schuhmacher, Schneider, Tischler, Diener etc.? Die Bibel rührt sich nicht! Endlich bei der Frage: War der Dieb ein Droschkenkutscher? zittert sie leise und bekundet damit ganz sicher, daß ein Leipziger Droschkenkutscher die Kühnheit hatte, sich an königlich Preußischem Eigenthum zu vergreifen. Nun aber die dritte und unbedingt schwierigste Frage: Wie hieß der Dieb?

Die Zahl der Eigennamen ist groß, noch dazu, wenn wir Gemeinnamen, wie Schulze (mit z und tz) und Müller mit dazu rechnen wollen; auch konnte ja der Zauberer in der Bibel mit dem Leipziger Droschkenpersonal nicht genau bekannt sein, oder doch mit dem Namen so verschwiegen sein, wie Frithjof gegen König Ring:

Gar viel fragst Du, o König, doch Antwort geb’ ich Dir,
Jedoch nicht meinen Namen, denn der gehört nur mir!

Aber mochten die Fragen so künstlich gestellt sein, oder mochte die Bibel das viele Fragen satt haben, genug, sie ertheilte auch noch die letzte Antwort. Bei dem Namen „Vogel“ bewegt sie sich ganz deutlich und hat nun unzweifelhaft ausgesprochen: „Der Dieb ist der Leipziger Droschkenkutscher Vogel.“

Ich bin nun mit dem Leipziger Droschkenwesen nicht so bekannt, daß ich sagen könnte, ob dort ein Fuhrmann solches Namens ist; aber der Entdecker des Diebstahls mußte doch wohl die Kraft und Wissenschaft seines Zauberers kennen und seiner Sache gewiß sein, denn er hatte nichts Eiligeres zu thun, als der Berliner Polizei das Resultat seiner mühsamen Forschung mitzutheilen. Wahrscheinlich verlangt der Zauberer für geleistete Dienste ein dankbares Herz, denn der Lehrer begehrte für seine Enthüllung nur 100 Thaler, die übrigen 200 Thaler sollten den Berliner Armen zugewiesen werden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_015.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)