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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Stärkung vergönnt. Ueberreiz folgte auf allzu große Abspannung. Wein, Punsch, tolle Lustigkeit bis an den Morgen sollte das Uebel gut machen – ach! und die arme Constanze, die mit dem ruhigen, klaren Blick einer verständigen Frau dies Treiben sah, bemerkte nur zu gut, wie des geliebten Mannes Gesundheit dadurch immer angegriffener wurde, wie er dies selbst oftmals fühlte und ihn dann eine tiefe Schwermuth überwältigte, die sich bis zu den finsteren Ahnungen eines frühzeitigen Todes steigerte. Im Ganzen blieb aber der kleinen jungen Frau doch stets ein guter Muth und ein heller Blick, und mit der Zeit war sie schon froh, wenn sie es mit Scherz und Laune, oder mit Bitten und Schmeicheln dahin brachte, daß Mozart den Thee an ihrer Seite trank, sich seinen Abendbraten daheim schmecken ließ und dann nicht mehr ausging.

Wären nur zwei Dinge nicht gewesen: Mozart’s Feinde und Neider und dann die elenden Nahrungssorgen! Um letzteren bei seinen bedeutenden Bedürfnissen und Ausgaben zu entgehen – die ihm oft bei seiner Freigebigkeit und unbegrenzten, namenlosen mißbrauchten Gutherzigkeit über den Kopf wuchsen – mußte eben, wie schon erwähnt, riesenhaft gearbeitet werden. Wie viel arbeitete er außerdem, ohne einen Kreuzer dafür zu nehmen, aus bloßer Gefälligkeit für Bekannte! Wie viel mehr für seine Freunde! Wie oft verwendete er sich mit der größten Aufopferung für arme reisende Virtuosen! Wie oft componirte er für sie Concerte, von welchen er nicht einmal die Abschrift behielt, damit sie unter guten Auspicien auftreten und Unterstützung finden könnten! Wie oft theilte er mit ihnen Wohnung, Tisch und Geld! Wie zahllos ward er benutzt, ausgezogen und betrogen! Und doch verlor Mozart nie den Glauben an die Menschen. Wie ein gutes, aber unerfahrenes Kind nahm er alle Welt für so gut, als er war. Und selbst wenn er sich hintergangen und mit dem schnödesten Undanke belohnt sah, dauerte sein Unwille doch nur Minuten, dann war schon wieder Alles vergessen. Da sah es denn freilich oft unendlich traurig, ja zum Verzweifeln in seiner Casse aus, sodaß ihn z. B. einst, als er mit seiner jungen Frau eine kleine Reise machen wollte, einer seiner Schuldner am Wagen zurückhielt und nicht fortließ, bis er mit der größten Noth die dreißig Gulden aufgebracht, die er jenem schuldete. Und Andere? Andere schuldeten ihm Hunderte von Gulden und bezahlten ihn nie! Und seine Feinde?

Seit dem Jahre 1782 hatte er des Herrlichen wieder viel geschaffen. Vor allen Dingen glänzten unter den Schöpfungen dieser Zeit sechs wundervolle Quartette, die er seinem hochverehrten und lieben Freunde, seinem Muster und Vorbilde, Joseph Haydn, gewidmet. Sie waren vortrefflich, und Haydn selbst sagte zu Mozart’s Vater, der damals gerade zum Besuche in Wien war: „Ich sage Ihnen vor Gott und als ein ehrlicher Mann, daß ich Ihren Sohn für den größten Componisten anerkenne, von dem ich je gehört habe.“ Aber Mozart hatte nachgerade auch noch Anderes geschaffen, so z. B. ein Oratorium: „Davidde penitente“; ferner, auf Kaiser Joseph’s Befehl, den „Schauspiel-Director“, eine Komödie mit Gesang, die bei einem Feste in Schönbrunn zur Aufführung kommen sollte. Den ganzen Inhalt des kleinen Stückes bildet ein Streit zwischen zwei Sängerinnen, von welchen jede behauptet: sie sei die erste, die beste, die vorzüglichste. Ein ziemlich pikantes Interesse erhielt aber diese dramatische Kleinigkeit dadurch, daß Mlle. Cavaglieri und Madame Lange, Mozart’s ehemalige geliebte Aloyse – jetzt seine Schwägerin, – sich selbst unter den fingirten Namen von Herz und Silberklang darstellten. Waren sie doch damals die beiden ersten Sängerinnen Wiens, das heißt, jede war die erste in ihrem Genre und die zweite in dem ihrer Rivalin. Kaiser Joseph hatte an diesem Künstlerstreit seinen Gefallen, und so sollte denn „der Schauspiel-Director“ als Urtheilsspruch in letzter Instanz dienen. Mozart erfüllte dabei seine Pflicht als Componist mit großer Gewissenhaftigkeit, indem er keine der Parteien bevorzugte; dennoch hatte er die Freude, seine Schwägerin als Siegerin aus dem musikalischen Wettkampfe hervorgehen zu sehen.

Aber diese Kleinigkeiten traten bald gegen eine seiner Hauptschöpfungen zurück. Es war dies die herrliche Oper „Le nozze de Figaro“ – „Figaro’s Hochzeit“. – Mozart hat kaum etwas Schöneres und nichts, was schwieriger zu componiren war, geschrieben. Und doch! – „Le nozze de Figaro“ war in Wien nicht durchgedrungen, während eine andere, weit, weit schwächere Oper von Martin: „La Cosa rara“ in die Wolken erhoben wurde. Und wie war dies möglich? Nun – die Schlange hatte sich ja lange genug durch den Staub gewunden und an den Stufen des Thrones, in den Boudoirs der Sängerinnen, zu Füßen der Sänger und im Gewühle des öffentlichen Lebens gezischt und ihr Gift ausgestoßen, warum sollte sie nicht endlich den neuen Messias der Musik in die Ferse stechen?

Salieri – Mozart’s Freund – der kleine zierliche Hof-Capellmeister Salieri, den Mozart scherzweise nur Monsieur Bonbonniere nannte, da er, wo er ging und stand, Zuckerwerk aus einer Bonbonniere naschte, – dieser schön gestaltete, in musikalischer Beziehung recht tüchtige und anerkannte Mann, hatte seit langer Zeit aus Neid und aus Furcht, von Mozart – dem Schöpfer der neuen deutschen Oper – brachgelegt zu werden, im Geheimen alle Minen springen lassen, um diesen, seinen gefürchteten Rivalen, zu vernichten. Als nun Salieri erfuhr, daß Mozart durch Kaiser Joseph II. beauftragt sei, jetzt wieder eine italienische Oper über Beaumarchais’ Figaro zu schreiben, wollte er vor Neid, Angst und Mißgunst vergehen. Da kam ihm ein Zufall herrlich entgegen. Gerade um dieselbe Zeit schrieb ja auch sein Günstling, Vincenzo Martin, – einer der damals beliebtesten Componisten in der älteren italienischen Manier, – eine neue Oper unter dem Titel „La Cosa rara.“ Das war vortrefflich! „La Cosa rara“ mußte triumphiren, – denn von Martin fürchtete der schlaue Italiener nichts, – der „Figaro“ dagegen fallen. So konnte Salieri seinem lieben Freunde, Maestro Mozart, einen furchtbaren Stoß versetzen, ohne sich selbst auch nur im Entferntesten bloßzustellen. Waren doch die italienischen Sänger – durch ihr eigenes Interesse gestachelt – längst für eine solche Schlacht gewonnen; denn auch sie haßten ja Mozart, den Untergraber der italienischen Oper; während sie nicht anstanden, Vincenzo Martin zu protegiren, da er ihr gehorsamer Sclave war.

Hierzu kam aber auch noch, dem Publicum gegenüber, etwas sehr Gewichtiges: daß nämlich die Musik zur „Cosa rara“, in welcher sich das Talent eines ganz gefälligen Componisten kundgab, Jedermann sehr leicht in die Ohren fiel, indeß die Musik des „Figaro“ durch ihre Gediegenheit immer bedeutend schwerer zu verstehen war. Während daher Salieri seinem lieben Freunde Mozart ein um das andere Mal vor Entzücken über das neue Meisterwerk die Hand drückte und in Lobeserhebungen und Glückwünschen überfloß, lachte er sich an der Spitze seiner Mitverschworenen mit satanischer Schadenfreude in das Fäustchen. Mozart war ja geradezu auf die Schlachtbank geliefert, da er sein Werk einer Gesellschaft anvertrauen mußte, die ihm, vom Capellmeister und Oberdirector an bis zum letzten Sänger und Choristen, den Untergang geschworen hatte. Ohne es zu wissen, gab er sich in die Hände seiner Henker.

Sämmtliche italienische Sänger und Sängerinnen befleißigten sich denn auch in der That, bei „Figaro’s“ Aufführung so schlecht als möglich zu singen, ja selbst das Orchester hudelte seinen Theil auf solch’ abscheuliche Weise, daß Mozart – Thränen des Zornes und der Entrüstung in den Augen – schon nach den beiden ersten Acten in die kaiserliche Loge eilte, den Schutz seiner Majestät anzuflehen.

In der That war denn auch der Kaiser über das Vorgefallene indignirt. Es erging auf der Stelle eine scharfe Zurechtweisung an sämmtliche Mitwirkende. Aber was half es, daß nun der übrige Theil der Oper ein wenig besser ging? Der Schurkenstreich war geglückt. Das Publicum blieb kalt, – „Figaro’s Hochzeit“ – dies wundervolle Meisterwerk, das jetzt – nach mehr denn 70 Jahren – noch eine Lieblingsoper der ganzen civilisirten Welt ist, fiel und konnte sich in Wien lange Zeit von seinem Falle nicht erholen. Mozart, außer sich vor Schmerz und Unwillen, schwur, nie wieder eine Oper für Wien zu schreiben! Aber Wien ist ja nicht die Welt! Bald fand die neue Oper den Weg nach dem Musik liebenden und musikalisch gebildeten Böhmen, in dessen Hauptstadt Prag, sich damals der Impressario – der Theaterunternehmer – Bondini befand. Bondini stand an der Spitze einer ganz ausgezeichneten italienischen Operngesellschaft, deren hervorragendste Mitglieder Luigi Bassi, Capellmeister Strobach, die schöne und feurige Saporitti, der Tenor Antonio Baglioni und der famose Giuseppe Lolli waren. Auch das Orchester war unbedingt das beste, das damals bestand.

Von dieser Gesellschaft aufgeführt, und zwar vor einem so empfänglichen und musikalischen Publicum, wie das Prager, gefiel „Figaro’s Hochzeit“ ganz ungemein. Prag war außer sich vor

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_614.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)