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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Gängen durchschnittenen Gebüsches, in dessen Gezweig wahrscheinlich kein Vogel nistet, einen viereckigen, bedeutend großen und tiefen Teich. Von den vier Ecken dieses Teiches laufen nach allen vier Himmelsgegenden vier Canäle, die sich leicht krümmen und langsam verengern, bis sie in einer ganz schmalen Rinne endigen. Zur rechten Seite jedes dieser Canäle befinden sich fächerartig ausgestellte Wände aus Stroh oder Schilfgeflecht, von denen jede einzelne Wand die andere deckt. Die linke Seite des Canals umgibt ein Erdwall von ungefähr gleicher Höhe wie die schräg gestellten Schilfwände. Ueber beide spannt sich nach der ganzen Länge des Canals das Fangnetz, welches, je enger der Canal wird, desto niedriger zieht, bis es die zum bloßen schmalen Graben einschrumpfende Wasserrinne berührt. Hier bildet das Netz einen Sack aus Maschen, der in der Erde befestigt ist.

Auf dem rings von dichtem Gebüsch umgebenen Teiche werden eine nur geringe Anzahl gezähmter Kriekenten gehalten. Tritt nun die Zeit ein, wo die wilden Enten ihre Züge beginnen, so dienen die ruhig auf dem stillen Gewässer schwimmenden zahmen Thiere als Lockvögel, kaum nämlich gewahrt der heranrauschende Schwarm den Weiher mit den darauf befindlichen Enten, so fällt er darauf nieder. Sein Instinct hat ihn nicht irre geleitet, denn nahe den Eingängen in die Canäle schwimmen Gerstenkörner, die sich im Canale selbst in größerer Menge vorfinden. Der Reiz des Futters aber und selbst der Hunger würde die scheuen, mißtrauischen, vor jedem ungewohnten Laut aufflatternden Thiere doch nicht verleiten, das offene, breite Wasser des Teiches, auf dem nur wenige Gerstenkörner treiben, zu verlassen, wenn nicht die Dreistigkeit der gezähmten Enten sie das Wagniß unternehmen lehrte. Vertraut mit der Einrichtung der Canäle und zum Verführen abgerichtet, schwimmen die zahmen Enten ihren wilden Schwestern voran, gierig nach den schimmernden Körnern schnappend. Bald folgen die Verlockten in Menge, der Gefahr vergessend. Der Trieb, Nahrung zu suchen, macht sie ungestüm und unvorsichtig und läßt sie die Grenze überschreiten, welche die Lockvögel stets einhalten. Die gezähmten Enten gehen nämlich nur bis an die erste schräg stehende Schilfwand, wo das Netz beginnt. Hier kehren sie regelmäßig um. Die wilden Enten dagegen gerathen in ihrem Ungestüm über diese Wand hinaus und erblicken, sowie sie Kehrt machen, die regungslose Gestalt des hier lauernden Wächters. Aus Furcht vor diesem zieht die in den Canal eingedrungene Menge weiter vorwärts, um den unheimlichen Blicken des Lauernden nicht wieder zu begegnen. Allein der Wächter schlüpft ebenso schnell von Wand zu Wand, sodaß er immer dicht hinter dem Zuge bleibt. So stürzen sich die Bethörten ahnungslos in’s Verderben. Der Canal wird enger und immer enger, und die bannenden Blicke des Wächters begegnen immer auf’s Neue den geängstigten Thieren, die nun auch wohl das verhängnißvolle Netz über sich gewahren. Endlich erreichen sie das Ende der gekrümmten Wasserrinne, das Netz fällt, und die erbarmungslose Hand des Wächters erwürgt die in den Maschen zappelnden Zugvögel.

Das ist der sich stets in derselben Weise wiederholende Vorgang beim Fange der Kriekenten. Die Zahl der auf einmal in jedem der vier Canäle gefangenen Vögel beträgt durchschnittlich dreißig Stück; die jedesmalige Beute eines Jahres, wobei zu beherzigen ist, daß die Fangzeit schwerlich über sieben Wochen lang dauert, läßt sich in der Sylter Vogelkoje auf 22 bis 24.000 veranschlagen. Während der Fangzeit ist jedes lärmende Geräusch in der Umgegend der Vogelkoje streng und bei beträchtlicher Strafe untersagt. Es mag dies wohl nöthig sein, da die Nähe der Dünen, die sich gerade auf diesem Punkt der Insel höchst malerisch gestalten und in ein zerrissenes Dünengebirge mit zahllosen trichterförmigen Vertiefungen, Quer- und Längenthälern übergehen, der vielen Sandhasen wegen eine große Anziehungskraft für Liebhaber der Jagd haben, die hier, wenn nicht frei ist, doch geduldet wird. Die immerwährende Ruhe in der Vogelkoje und rund umher in der unwirthbaren Dünen-Einöde macht für Menschen von regem Gefühl einen längeren Aufenthalt in derselben gewiß nicht zum Genuß. Schon der Anblick dieser verkrüppelten Bäume, die, von der Gewalt der Stürme niedergedrückt, mehr in die Breite als in die Höhe wachsen, erzeugt unheimliche Gedanken und muß namentlich des Nachts diese leblose Welt mit phantastischen Gebilden bevölkern. Selbst am hellen Tage, bei Sonnenschein zeigte sich das mit bartartigem grauen Moos überwucherte Gebüsch in so schauerlicher Beleuchtung, daß mir das ganze Gehege wie ein gespenstischer oder verzauberter Wald vorkam, und ich wußte mir die Worte des Capitains, der mir später noch eine Menge beglaubigter Vorgänge erzählte, wohl zu erklären. Das Wächteramt in dieser Vogelkoje verlangt, soll der Mann seine Pflicht thun, einen Menschen, der sich von Nichts aufregen läßt. Mich dünkt, nur entweder gänzliche Gefühlsstumpfheit oder ein unter allerhand schweren Gefahren und Schrecknissen aller Art zugebrachtes, für alle Eindrücke von außen unempfängliches Leben kann diesem Posten dauernd vorstehen.

Unter den vielen Punkten, welche die Insel Sylt in Bezug auf charakteristische landschaftliche Scenerien darbietet, nimmt die Umgebung der Vogelkoje einen hervorragenden Rang ein. Erklimmt man den Seedeich im Osten der Koje, so hat man ein Landschaftsbild vor sich, wie man es so leicht nicht wieder findet. Ost- und nordwärts überblickt man die blau-grüne Binnensee mit den weißen Segeln der Küstenfahrer und Wattenschiffer. Weiter südlich steigt schroff aus dem Meere der hohe Rücken der Insel, welcher die größeren Ortschaften Keitum, Morsum, Archsum etc. trägt. Ueber diesen in weiter Ferne schimmert die silberne Mauer der Dünen von Hörnum. Den westlichen Horizont begrenzt die zu kühnen Gipfeln sich aufthürmende Dünenwelt des Listlandes, über welcher ganze Wolken schwärmender Möven auf- und niederschweben. Unter uns, dicht vor unsern Füßen, liegt der stille Teich, die mit Netzen überzogenen curvenartig gekrümmten Canäle und das graue Gebüsch mit dem gespenstischen Moosbehänge, den vielen blätterlosen, phantastisch gekrümmten und durcheinander geschlungenen Aesten, um die wie ein Todtengewand dieselbe Moosbekleidung flattert. Bläuliche Rauchwolken, aus der Hütte der Wächter aufsteigend, ziehen, in dünne Streifen sich auflösend, gegen den Wall der Dünen, hinter denen die Brandung der Nordsee braust. Hat erst die Landschaftsmalerei das ferne Sylt entdeckt, dann werden wir hoffentlich auf unsern Kunstausstellungen nicht mehr lange gelungene Bilder aus jenem ultima Thule vermissen, wo es noch mancherlei Schätze zu heben gibt.

E. W.


Ein fürstlicher Mäßigkeitsverein im sechzehnten Jahrhundert. Als in unserer Zeit die Stiftung von Mäßigkeitsvereinen Mode wurde, und sogar Fürsten an die Spitze derselben traten, vernahm man oft im Volke die zwar nur halbwahre Behauptung: „Die Großen können leicht das Versprechen ablegen, sich des Branntweins zu enthalten, so lange ihnen Portwein, Madeira und Champagner bleiben.“ Allein es hat auch Zeiten gegeben, wo Fürsten Deutschlands aus freiem Antriebe, bewogen vom Ernste der Zeit, zusammentraten, um ein sittigeres und mäßigeres Leben bei sich und bei ihrer Umgebung einzuführen. Als nämlich im Jahre 1524 die Fürsten Richard, Erzbischof von Trier, Pfalzgraf Ludwig vom Rhein, Herzog von Baiern, Pfalzgraf Friedrich, Herzog von Baiern, Pfalzgraf Wilhelm, Herzog in Ober- und Niederbaiern, die Bischöfe Konrad von Würzburg, Wilhelm von Straßburg, Philipp von Freisingen, Georg von Speier, Markgraf Kasimir von Brandenburg, Otto Heinrich, Pfalzgraf und Herzog von Baiern, Philipp, Landgraf von Hessen, u. A. sich zu Heidelberg zu einem sogenannten Gesellenschießen mit der Armbrust versammelt hatten, und manche Stimme über die sittlichen Gebrechen und Mängel der Zeit unter ihnen laut wurde, vereinigten sie sich zur Besserung der Sitten an den fürstlichen Höfen und unter den höheren Ständen in folgenden Bestimmungen: Jeder von ihnen, Kurfürst oder Fürst, geistlich oder weltlich, solle in eigner Person sich alles Gotteslästern und alles Zutrinkens zu ganz oder halb völlig enthalten, Jeder es auch seinen Amtleuten, Hofgesinde, Dienern und Unterthanen bei namhafter Strafe, desgleichen auch der Ritterschaft und den Landgesessenen in jedem Fürstenthum verbieten; wer von jenen sich diesem Gebote nicht füge, solle mit Ausrichtung seines Lohnes vom Amte entlassen und vom Hofe entfernt werden, und kein Fürst solle ihn je wieder zu Amt und Hof zulassen. Den Adel und die Landgesessenen in einem Fürstenthume solle man auf alle Weise und Wege an dieses Verbot zu weisen suchen.

Wenn aber einer der Fürsten in die Niederlande, nach Sachsen, in die Mark, nach Mecklenburg, Pommern oder andere Lande käme, wo zu trinken Gewohnheit ist, und sich dort bei aller Weigerung des Trinkens nicht erwehren möchte, so solle er dann mit seinem Hofgesinde und seinen Dienern an diese Ordnung nicht gebunden sein. Da ferner bisher, wenn ein Fürst in eigener Person zu dem andern an seinen Hof oder anderswo zum Besuche kam, oder seine Botschafter und Räthe sandte, durch Gastauslösung mit Prassen und Auftischen viele Kosten aufgingen, da man desgleichen an den fürstlichen Höfen von den Trompetern, Boten, Schalksnarren, Sängern und andern Spielleuten häufig mit Bitten um Gaben und Geschenke angelaufen wurde, so hat man sich dahin vereint und durch diesen Beschluß vertragen, daß kein Fürst den andern oder des andern Botschafter und Räthe, wenn sie an fremde Höfe kommen, forthin mehr aus der Herberge lösen oder etwas weiter als Futter und Mahl geben solle; es soll auch kein Kurfürst oder Fürst beim geselligen und freundlichen Zusammenkommen dem andern über acht Essen zu einer Mahlzeit geben, es wäre denn bei einer Hochzeit oder dergleichen, wo sich jeder nach Gebühr zu verhalten weiß. Man solle auch keinem Trompeter, Boten, Schalksnarren, Sänger oder dergleichen Spielleuten fernerhin mehr Schildgeld oder etwas anderes geben, sondern sie abweisen. Bei Kurfürsten und Fürsten, welche Frauenzimmer am Hofe haben, solle man nicht mehr, wie bisher geschehen, Ringe an sie vergeben. Jeder Fürst solle seine Trompeter, Boten, Schalksnarren mit so viel Besoldung versorgen, daß sie sich daran genügen lassen müssen. So beschlossen zu Heidelberg am Sonntag Erasmi des Jahres 1524.




Auerbach’s Volkskalender ist soeben von der Verlagshandlung von Ernst Keil ausgegeben worden. Wir machen unsere Leser nochmals auf dieses vortreffliche Volksbuch aufmerksam.



Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben:

Ferdinand Stolle’s Ausgewählte Schriften.
Volks- und Familien-Ausgabe.
Zweite Auflage. Preis 71/2 Ngr. 24 Bände und Supplemente 3 Bände.

Inhalt der Bände: 1. Camelien I. – 2–4. Napoleon in Egypten. – 5. Moosrosen I. – 6-8. Deutsche Pickwickier. – 9. Je länger je lieber I. – 10–12. 1813. – 13–15. Elba und Waterloo. – 16. Moosrosen. II. – 17. 18. Erbschaft in Kabul. – 19. Camelien II. – 20–22. Der Neue Cäsar. – 23. Je länger je lieber II. – 24. Lieder, Gedichte und Biographie. – Supplemente: 1–3 Der Weltbürger. –


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_592.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)