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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Aber es war unendlich schwer, sich Sr. Excellenz zu nähern; Tiphonius hätte wider alle Hauptregeln des kleinen Macchiavell verstoßen. Der mächtige Herr schien triftige Gründe zu haben, den glaubersalzhaltigen lösenden Brunnen zu trinken, er sah düster aus, als hätte er selbst hier mit fortwährendem geheimem Widerstande seiner Subalternen zu kämpfen; Tiphonius bemerkte wohl, daß es das Beste sei, ihm aus dem Wege zu gehen. Aber etwa zwei Stunden später verschwand der Minister regelmäßig in den Hallen neben der Promenade. Erschien er dann nach einiger Zeit wieder unter den Curgästen, so war er auffallend heiter: wenn man ihn grüßte, dankte er nicht mehr vornehm und verdrossen, sondern mit Herablassung und Liebenswürdigkeit, und warf einigen Begünstigten sogar witzige Bonmots zu; allein die Dauer seines Bleibens während dieses fröhlichen Seelenzustandes war so karg gemessen, daß ihm der Kanzleirath auch jetzt nicht zu nahen wagte. Der Ehrgeiz schärfte jedoch die geistigen Fähigkeiten des Mannes und verlieh ihm Erfindungsgabe; er glaubte eine wirksame Methode, mit Sr. Excellenz ein Gespräch anzuknüpfen, gefunden zu haben.

Zwei, drei Tage hindurch lag er gespannt auf der Lauer, die Gelegenheit war nicht günstig; da endlich schien ihm der große, Alles entscheidende Moment gekommen. Es war acht Uhr, in der Entfernung von etwa fünfzig Schritten kam ihm der allgewaltige Gönner entgegen. Sein Schritt war kurz und hastig, er sah geängstigt, beklommen aus; wußte nicht alle Welt, daß er der wohlwollendste, rechtschaffenste Herr, der treueste Gatte, der ehrenhafteste Edelmann sei, man hätte argwöhnen können, er litte an furchtbaren Gewissensqualen. Auf die Consequenzen dieser räthselhaften Stimmung hatte aber gerade Tiphonius, der teuflische Macchiavellist, gerechnet. Se. Excellenz griffen rasch nach den Rocktaschen, und ihre Mienen verdüsterten sich noch mehr; der scharfsinnige Kanzleirath hatte sich nicht verrechnet. Rasch eilte er in die nahen Hallen, wo nach seinem besten Wissen und Dafürhalten der Minister nach dem allgemein gültigen Localgebrauch Zuflucht suchen würde, und verbarg sich hinter der ersten Thür. Wenige Secunden später stürmte der Gönner herein und riß heftig die Thür auf. Jetzt war der entscheidende Moment da. Der Kanzleirath fuhr mit der Geschwindigkeit einer vulcanischen Eruption aus dem Gemach, überließ unter dem Ausruf: „Mit dem größten Vergnügen!“ dem Gönner den Griff der Thür und zugleich einen Zeitungsbogen, dessen Flächeninhalt vollkommen der obersten Steuerclasse der preußischen Journalistik entsprach, und eilte auf die Promenade zurück, indem er die verhängnißvolle Pforte scharf im Auge behielt.

Se. Excellenz ließen länger als gewöhnlich auf sich warten. Die Bademusik hatte das entzückende Lied der Meermädchen aus Weber’s Oberon fast vollendet, als der Gönner endlich wieder im Freien erschien. Er sah unendlich zufrieden aus, seine Stirn war geglättet, der gewöhnlich trübe, von einer unermeßlichen Geschäftslast gedrückte Gesichtsausdruck erheitert, das offene Auge glänzte, er blickte nach einem Menschen umher, dem er so wohl thun konnte, wie ihm selber war. Da stand Kanzleirath Tiphonius vor ihm. Man erzählt von der Klapperschlange, daß die durch ihren bösen Blick gebannten Vögel geradezu in ihren Rachen eilten; aber es ist für ein menschliches Herz tröstend, dazu ein erfreulicheres Seitenstück mächtiger schöner Menschlichkeit anführen zu können. Gefesselt, unwiderstehlich angezogen durch den seelenvollen Blick des Gönners, eilte der Glückliches ahnende Kanzleirath auf den Minister zu. Dieser schien ihn fast erwartet zu haben. Er dankte auf das Huldreichste, als Tiphonius seinen Devotionsapparat aus Filz schwenkte.

„Habe ich nicht das Vergnügen, einen meiner ältesten Beamten aus der Kanzlei vor mir zu sehen?“ fragte lächelnd der Gönner.

„Zu Befehl, Excellenz!“ antwortete Tiphonius und krümmte sich krampfhaft vor Seligkeit.

„So begleiten Sie mich, mein lieber Kanzleirath, und erzählen Sie mir in Kürze, wie Sie leben,“ sagte der Minister und machte eine gnädig einladende Schwenkung mit der Rechten.

Eine solche Huld hatte unser intriganter Held nicht erwartet; sie überstieg seine kühnsten Erwartungen. Er bildete pflichtschuldig einen Schritt links hinter dem Minister die Arrieregarde und schüttete dem großen Mann unverhohlen sein Herz aus. Mit der langen Dienstzeit hub er an, dann ging er auf die kolossale Arbeit über, variirte das Thema der wankenden Gesundheit und des kleinen Gehaltes und schloß mit einem leidenschaftlich romantischen Allegro über mangelnde Anerkennung. Hätten ihn nicht die mitleidigen Blicke des Gönners ermuntert, er wäre nie so frech gewesen.

„Was kann man für Sie thun, mein lieber Kanzleirath? Sie wissen, im Punkte der Gehaltsverbesserungen bin ich nicht unabhängig; aber reden Sie offen, Sie scheinen etwas auf dem Herzen zu haben,“ sagte lächelnd der Minister.

„Excellenz, kein Geld würde mich so glücklich machen, als das Beiwort Geheimer! Excellenz wissen, es ist der sehnlichste Wunsch jedes richtig organisirten Berliners – wenn ich den Titel: „Geheimer Kanzleirath“ erhalten könnte; das höchste Ziel meines Lebens wäre erreicht!“

Der Minister lächelte, aber er lächelte nur wie ein Menschenfreund. „Wenn ein verdienter Beamter dadurch glücklich gemacht wird, so soll es an meiner Verwendung nicht fehlen! Möge Ihnen die Cur gut bekommen!“ Noch einmal schwenkte er die Hand; der Kanzleirath war entlassen. Der glückliche Mann taumelte vor Entzücken, er wäre zu Boden gefallen, hätte ihn der Herr vom Salzfaß, der ihnen nachgeschlichen war, nicht aufrecht erhalten.

„Was haben Sie erreicht? sprechen Sie! theilen Sie mir Alles mit!“ rief der neugierige Herr.

„Noch heute Abend reise ich ab,“ schrie in bacchantischem Taumel der Kanzleirath und riß sich von ihm los, „ich werde „Geheimer“, ich muß zu meiner Frau zurück, sie muß es zuerst erfahren; meine Saison ist zu Ende! nach Hause! nach Hause!“


Blätter und Blüthen.

Ein Brief von Gerstäcker.

An Bord der Anna im stillen Meer.     
4° nördl. Breite. 

Mein lieber guter Freund!

Als ich von Dir Abschied nahm, versprach ich Dir, von unterwegs einmal zu schreiben. – Ich will Dir mein Wort schon von hier aus halten, denn wenn ich meinen Bergsack auch noch nicht geschultert, meine Büchse noch nicht aus ihrem Futteral genommen habe, ist doch schon Manches geschehen, seit wir uns nicht gesehen, worüber ich mit Dir plaudern könnte – jedenfalls werd’ ich’s versuchen.

Als ich die Beschreibung meiner letzten Reise – jener Reise um den Erdball – schloß, geschah es mit den Worten etwa: und der Wandervogel steckt jetzt seine Flügel in die Tasche und ist fest entschlossen, von nun an zu Hause zu bleiben. – Es liegt eigentlich etwas Ironie darin, daß mir diese Worte gerade wieder in der Süd-See einfallen – ein Platz, der doch jedenfalls mit zum „Ausland“ gehört, aber – ich wäre eben kein Wandervogel gewesen, wenn ich hätte von da an so ruhig zu Hause bleiben können, und doch – Gott weiß es – ich bin ungern genug diesmal hinausgegangen. Kommt aber die Zeit, in der ein so unruhiges Blut einmal wieder reif zum „Ziehen“ ist, dann zuckt’s und treibts in den Adern, dann drängt’s und quält’s, und alles Sträuben hilft nichts – man muß fort. Da hab’ ich mich denn auch nicht lange geziert, sondern bin in mein altes Leben und Treiben wieder mitten hineingesprungen – jetzt hab’ ich zu thun, daß ich wieder herauskomme, und damit betäubt man am besten, was sonst dem armen Menschenherzen doch fast zu schwer zu tragen würde – die Trennung von daheim – die Trennung von daheim, ein böses – böses Wort.

Es ist schon ein recht schweres Stück, wenn man sich von den Seinen losreißen muß; wenn die Verhältnisse den Menschen zwingen, seinem Vaterland, seinen Lieben den Rücken zu kehren, und den Wanderstab in die weite Welt hinauszusetzen. Wie weh Einem da um’s Herz wird, ich habe es selber ja erfahren, ich weiß, wie sich’s erträgt. Aber der Mensch hat dann das Wörtchen muß, das ihm über Manches weghilft; und wenn er den Kopf zurückwenden will, geht es eben nicht mehr – er muß, und mit dem Bewußtsein tritt er der Zukunft resignirt entgegen. Anders aber stellt sich das, wenn man nicht gezwungen zu einem solchen Schritt ist, wenn man freiwillig Alles daheim verläßt, was sonst im Stande ist, den Menschen an seine Heimath zu binden, und dabei schon im Voraus genau weiß, welche Entbehrungen, welche Beschwerden, welche Gefahren uns dabei erwarten. Es gehört ein recht fester Wille dazu, dann doch zu sagen: ja! ich thu’s – und es auch wirklich eisern auszuführen. Leicht kann’s auf keinen Fall sein, denn ich halte es für das Schwerste, was ich in meinem Leben ausgeführt, und bin doch gerade nicht immer auf Rosen spazieren gegangen. Jetzt ist aber auch das Schwerste überstanden – der Abschied von daheim, und was nun noch folgen mag von Sonnengluth und Regengüssen, Hunger und Durst und dickköpfigen Indianern, sind eben nur Kleinigkeiten, über die man mit Leichtigkeit hinwegkommt.

Der Reisende selber hat es in der Hinsicht auch wirklich weit besser,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_575.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)