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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

als sie die Verheißung empfing, mit gesenkten Lidern das Haupt erhob, aber noch immer schwieg, überflog eine leise Röthe die Wangen der Matrone, und sie war fast schön zu nennen, als sie mit einer aus weiblicher Würde und Freude gemischten Haltung sprach: „Eigentlich, lieber Sohn, hätten Sie der Erste sein sollen, dem dies schämige Kind das süßeste Geheimniß des Weibes anvertraute. Doch wer weiß, wie lange sie es uns Beiden noch vorenthalten hätte, wenn die große Freude über Harry’s Brief es ihr nicht entrissen. Sie sehen mich ungläubig an? Ja, ja, es ist gewißlich wahr, der Herr unser Gott gab mir an einem und demselben Tage den todt geglaubten Sohn zurück und die beseligende Hoffnung, einen Enkel auf meinem Schooße wiegen zu können.“

Welche Feder wäre fähig, zu schildern, was bei dieser von ihm so heiß ersehnten Nachricht in William’s Herzen vorging? Er war von seinen Knieen aufgesprungen und starrte die Matrone erst ungläubig, dann wie verklärt vor Freude an. Aber unwillkürlich entfernte er sich von Herminen, als fühle er sich nicht würdig, seinem Gefühle Worte zu geben. Da aber erhob auch sie sich, und auf ihn zueilend, umschlang sie ihn mit ihren Armen heiß und innig, während ihre Lippen nichts als nur die Worte: „William! mein ewig Geliebter!“ stammelten.

Lange hielten sie sich so umschlungen, Beide in Thränen zerfließend, während die Mutter, die die ganze Scene mehr errieth, als verstand, nur einzelne Ausrufe hörte, als: „Ich bin ein Elender, ein wahnsinniger Thor!“ – – „O, klage Dich nicht an, sage mir nur, daß Du mich noch liebst!“ – – – „Du kannst mir nicht verzeihen.“ – – „Ich habe nichts mehr zu verzeihen, sobald Du nur an mich glaubst.“ – – „Ist es denn wahr, mein süßes Leben?! Doch sprich es nicht aus mit denselben Lippen, die erst vor einer Stunde sagten, ich sei kein guter Mensch, Gott – Gott, ich verdiene nicht das Glück, Vater zu sein!“ – – „William, Du wirst Deinem Kinde einst noch das edelste Vorbild sein, diese Stunde verbürgt es mir! – –“

Himmlische Minuten! wie sie nur selten denen zu Theil werden, deren Leben auf der Woge der Zeit gleichmäßig dahinfließt! Aber auch sie eilten vorüber, und William fand nun eine selbstquälerische Genugthuung darin, beide Frauen in die Tiefen seiner Brust blicken zu lassen. Vergebens suchte Hermine ihn mehrmals zu unterbrechen, vergebens versicherte ihm die Mutter, daß ihre Tochter sich niemals über ihn beklagt, und er sie nicht in Schmerzen einweihen sollte, zu denen er von jetzt an gewiß niemals mehr Veranlassung geben würde. Ohne Schonung gegen sich verglich er sein Benehmen mit Harry’s einfach redlichem, und indem er auch des Punktes erwähnte, daß der Letztere schon von Ersparungen sprach und einen so edeln Gebrauch davon machte, während aus seiner Mittheilung deutlich hervorging, daß seine Lage augenblicklich noch nichts weniger als glänzend war, gelangte er endlich dahin, sich selbst der gedankenlosesten Verschwendungssucht anzuklagen, und in wahrer Verzweiflung brach er in die Worte aus: „Ja, es muß heraus! Du mußt und sollst Alles wissen, ich bin ein ruinirter Mann! Wenn ich nicht bis übermorgen 4000 Mark habe, die ich nicht aufzubringen weiß, muß ich mich fallit erklären!“

Die Mutter sank bei dieser Nachricht fast in Ohnmacht. Sie warf dann in namenloser Angst den ersten Blick in die Banknote, die natürlich nicht so groß war, um eine solche Summe zu decken. Hermine dagegen fand eine Art Trost darin, als sie sich sagen konnte, daß Geldsorgen ihres Mannes Laune in der letzten Zeit sehr verfinstert und seine Härte, seine Rauhheit gegen sie veranlaßt haben könnten. Auch freute sie sich, als er ihr durch sein Vertrauen endlich Gelegenheit gab, ihm als christliche Ehegattin helfend und rathend zur Seite treten zu können.

„Verkaufe doch das Haus!“ sagte sie heiter. „Von meiner Wäscherin hörte ich, daß Madame Blenheim es sich mit Leidenschaft wünscht, um ihren Park vergrößern zu können.“

Anfangs ergriff William den Gedanken mit Begeisterung, allein bald schüttelte er das Haupt. „Nein,“ sagte er, „das Haus ist mir seit einer Stunde zu theuer geworden. Dort habe ich das höchste Glück genossen, dort habe ich es mit Füßen von mir gestoßen, dort möchte ich es mir auf’s Neue wieder erringen durch ein pflichtgetreues Leben.“

„William!“ rief Hermine begeistert, „was von Deinem Glücke in meiner Hand und in meinem Herzen liegt, das nimmst Du überall mit hin, sei es in eine Hütte oder in einen Palast.“ „Nicht an das Wo ist Seligkeit gebunden, wer hat das Glück schon außer sich gefunden?“ sangst Du nicht oftmals so? Nun wohlan denn, fasse den Entschluß! Laß uns Deinen Vater bitten, den Handel zu machen und uns mit in sein Haus aufzunehmen. „Stadt oder Land, die Außenwelt ist Tand!“ Aus der Stube Deiner Tante wollen wir uns ein neues Paradies schaffen, in der Kammer ist Raum genug für zwei Betten, auch noch für die Wiege unsers Kindes. Die alte Rebekka wird ohnehin zu alt, unser gutes Väterchen gehörig pflegen zu können, Grund genug zu unserer Bitte!“

„Mein Vater soll der Letzte sein, der meine Schande erfährt!“ rief William.

„Nenne nicht dies häßliche Wort, sage lieber Verlegenheit. Und weshalb Dein Vater der Letzte? sind nicht unsere Eltern unsere ersten und natürlichsten Vertrauten?“

„Ja, für die Geheimnisse der Engel und Madonnen!“

„Auch für unsere Verirrungen, geliebter William! Blicke doch in das gute, volle, wenn gleich wehmüthige Auge unserer Mutter! Ich wette, ihre Wehmuth rührt nur von ihrer Ohnmacht, Dir zu helfen, her. Laß uns zusammen und sogleich zu Deinem Vater gehen, ich will ihm unsere Bitte wegen der Aufnahme seiner Kinder unter sein Dach vortragen, Du unterstützest sie dann mit einem offenen Bekenntnisse.“

Jetzt hatte auch die Mutter wieder Kraft gesammelt, und so sehr es sie schmerzte, die Tochter gerade in dieser Zeit so weit von sich zu lassen, fand auch sie sich in die Nothwendigkeit, und beide Frauen hatten endlich die Freude, William zu überreden. Mit ihrem besten Segen entließ die würdige Frau bald darauf die beiden Ehegatten, die nun wieder wie ein Herz und eine Seele, aber mit verdoppelter Kraft und muthig, den besonders für William so schweren Weg antraten.

Das kleine, schmale und hohe Haus des alten Almis lag an einem großen Marktplatze, und das Schreibpult des in Berechnungen Vertieften stand dicht am Fenster. So konnte es geschehen, daß er zu seiner nicht geringen Verwunderung seine Kinder zu so ungewohnter Zeit schon einige Minuten vor ihrem Eintritte gewahr ward. Ihm ahnte sofort, daß William seine Hülfe suche, denn er war nicht so unbekannt mit dessen neuesten Verirrungen, als er sich den Anschein gab. Es finden sich überall Menschen, die es nicht ertragen, Jemand in Unwissenheit mit der Schande oder dem Unglücke eines Verwandten zu sehen. So hatte der schlaue alte Geschäftsmann sich denn schon darauf vorbereitet und sich vorgenommen, nur im äußersten Nothfalle helfen zu wollen. Daß Hermine ihren Gatten begleitete, gehörte freilich nicht mit in diese Vorbereitung, denn gegen sie spielte der Schwiegervater gewissermaßen immer halb und halb den Galanten, und auch jetzt hatte er rasch den bequemen Hausrock mit seinem allerbesten, das grüne Hauskäppchen mit dem schwarzsammtnen vertauscht, das Hermine ihm zu seinem Geburtstage geschenkt, und schon an der Hausthüre trat er den Beiden mit liebreicher Freundlichkeit entgegen, wodurch er Herminens Muth erhöhte, den des Sohnes aber völlig wieder in die Flucht schlug. Hermine nahm denn auch zuerst das Wort, und nicht ohne freudige Verwunderung, aber auch nicht ohne Schrecken vernahm der Alte ihre Bitte, die sie im zärtlichsten Tone vortrug, und sich mit der kindlichsten Demuth zu seiner besseren Pflege erbot.

„Nun, nun, mein Töchterchen,“ entgegnete er nach kurzem Besinnen, „ich finde es natürlich, daß Du, wie andere wohlhabende Frauen, auch gern eine Stadtwohnung hättest. Wäre auch für William bequemer, denn der Weg ist weit, und er brauchte Dich dann Mittags niemals allein essen zu lassen. Ich weiß zwar nicht, ob er das öfter gethan, bekümmere mich nicht um seine Angelegenheiten, so wenig ich ihm erlauben würde, sich in die meinigen zu mischen. – Aber mein Kind, Dein Wunsch kann erfüllt werden, ohne daß Ihr den Krebsgang in diesen alten Kasten zu thun braucht. Das würde dem Credit Deines Mannes schaden, und der Credit gilt dem Kaufmanne mehr als Geld. William hat Dir vielleicht erzählt, daß ich seit Jahren für einen reichen Sonderling, Namens List, nach und nach mehrere Häuser habe kaufen müssen, die ich für ihn administrire. Von einer Zeit zur andern wollte er kommen und eines davon beziehen, aber bis heute hat er nicht Wort gehalten. Im Frühjahre kam eines von diesen Häusern mit einer freien und sonnigen Lage frei, und ich durfte es nicht wieder vermiethen, weil List jedenfalls den Winter darin wohnen wollte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_548.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)