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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

war gerettet, und die zwei Monate, während welcher Schill’s Heldenmuth die Franzosen beschäftigt und auf ihre Vertheidigung als Belagerer angewiesen, hatten dies Resultat ermöglicht. Es war eine glänzende Waffenthat, die Vertheidigung von Colberg, um so glänzender, als sie allein dastand, keine andere preußische Festung ähnlich gehandelt hatte. Das belehrte wohl darüber, daß Muth und Tapferkeit auch unter ungünstigen Umständen zu siegen wissen, daß die Ehre nicht im Rock, sondern im Herzen lebt, daß auch der Bürger seine Stelle haben soll, wenn sich’s um’s Wohl des Landes und seines Heerdes handelt. Aus der feigen Klugheit und Unterwürfigkeit jener Zeiten hebt sich diese Waffenthat einzig groß hervor, und Gott sei Dank, daß sie innig mit dem Volk verbunden ist.

Nach dem Tilsiter Frieden und der Reduction des preußischen Heeres wurden die vier Reiterschwadronen, welche Schill sich gebildet und die er geführt, als Husaren ausgerüstet und erhielten den Namen des „zweiten brandenburgischen Husarenregiments“. Der Inhaber dieses neuen Regiments ward Ferdinand von Schill, den der König außer der Reihe in Anerkennung seiner hervorragenden Tapferkeit zum Major erhoben hatte. Die Infanterie, welche er geführt und die größtentheils in Colberg geblieben war, wurde in ein leichtes Bataillon umgewandelt und durfte zur ehrenden Erinnerung an seinen einstigen Chef den Namen „Bataillon Schill“ fortführen. Ja, eine andere Auszeichnung ward der tapferen Schaar dadurch zu Theil, daß der König verfügte, sie solle zuerst in die von den Feinden geräumte Hauptstadt ihren Einzug halten; stand sie ja doch mit ihrem Schill als die erste Truppe der preußischen Armee da, was Bravour, Muth, Ausdauer, Ruhm und Beliebtheit, ja Enthusiasmus beim Volke betraf.

Aus Pommern herunter rückte diese neugeformte Truppe nach Berlin. Es war ein Triumphzug; in jedem Weiler, jedem Dorf, in jeder Stadt empfing lauter, stürmischer Jubel den Reitersmann Schill und seine Schaar. Blumen und Kränze flogen ihnen entgegen, Ehrenpforten waren ihnen errichtet, stundenlang ging das Volk in Begeisterung unter Klang und Sang mit ihnen, bis die Bewohner des nächsten Ortes kamen, um sie einzuholen. Am 10. December 1808 fand der feierliche Einzug in Berlin statt. Fast zwei Jahre lang hatten hier die Franzosen regiert, und keine preußische Uniform war dort, wo sie sonst mit zur Decoration des Straßenlebens gehörten, gesehen worden. Der Enthusiasmus des Volks war unbeschreiblich. Man denke sich diese Berliner, die mit Leib und Seele an ihre Soldaten gewachsen sind, von denen, wie Rahel schreibt, „Jeder bis auf die albernste Demoiselle wußte, was gut marschiren, aufsitzen und dergl. war“, welche ohne preußische Soldaten nie gewesen, beim Wiederanblick derselben nach zweijähriger Entbehrung Ströme von Freudenthränen vergossen.

Und nun kamen ja zu allererst die Schill’schen Truppen, deren Thaten in Aller Munde lebten, welche von der Bevölkerung mit Verehrung und Stolz genannt wurden, für welche alle Frauen in Entzücken schwärmten. Unermeßlicher Jubel begrüßte sie, als sie einrückten unter ihrer frischen, lustigen Jagdmusik; die Begeisterung für die tapfere Schaar und ihren Führer vermischte sich mit der Freude, von dem verhaßten Anblick des Feindes befreit zu sein, und ein Taumel des Jubels empfing sie, der nahe an Abgötterei grenzte. Man illuminirte am Abend die Stadt und gab Freikomödie, Festmahle und Bälle. Ueberall, wo Schill erschien, im Theater, in den Salons, auf der Straße wurden ihm Huldigungen bereitet; es ward ein Cultus mit ihm getrieben, der auf diesen phantasiereichen, lebhaften Geist betäubend wirken mußte. Seine ganze Erscheinung rief überdies zu solchen Huldigungen auf – kein Soldat, der schöner, imponirender sein konnte, als Schill, diese martialische und doch so liebenswürdige Erscheinung mit ihren feurigen schwarzen Augen und umhüllt von der malerischen Husarentracht. Er war damals 36 Jahr alt und der berühmteste Mann in Preußen, getragen von der Gunst seines Königs, von der Verehrung der Soldaten und der Bevölkerung. Wohlwollend und freundlich, mäßig in seinen Bedürfnissen, großmüthig und freigebig, dabei jungblütig, rasch und lebhaft – wie konnte es fehlen, daß er der Abgott des hoffenden Volks ward? Man beschrieb sein Leben, seine Thaten; man erzählte überall von ihm und seinen Streichen, man verkaufte Portraits von ihm an allen Orten, das mußte wohl eine solche Natur zu einer Ueberschätzung ihrer Kraft verleiten. Wohl sagte er damals, betroffen über den Rausch der Huldigungen, dem er unaufhörlich begegnete: „man macht zu viel aus mir;“ aber die Versuchung trat zu stark an ihn heran, er begann sich als den zu fühlen, den die patriotische Begeisterung der Welt in ihm sah, er wiegte sich in Unruhe und phantastischen Unternehmungen und dies mit einem Starrsinn, der wohl an seine ungarische Abstammung mahnte. Dabei benutzte er seine herrliche Gabe populärer Beredsamkeit bei allen Gelegenheiten, um den erwachenden Patriotismus zu schüren, auf die nahe Zeit der Befreiung des Vaterlandes hinzuweisen.

Wohl gab es Engherzige unter seinen Cameraden, die mit Neid und Scheelsucht auf den jungen Helden blickten; wohl Solche, die von seiner Selbstüberschätzung und lebhaften Neigung zu kecken Handstreichen Unheil für ihn und die geheim betriebene Sache der Erhebung fürchteten; aber im Allgemeinen war er ausgesprochener Liebling und wurde für denjenigen Mann gehalten, dem demnächst die Leitung der Nationalerhebung zufallen werde. Selbst ein Gneisenau, dem Schill ohne Willen einen Theil des Ruhmes der Vertheidigung von Colberg entführt hatte, schrieb damals über ihn: „Mag die Welt immerhin glauben, daß er Colberg vertheidigt hat, für den Staat ist das desto besser. Schill ist noch jung und kann der großen deutschen Sache noch wichtige Dienste leisten, durch seine Popularität und seinen allverbreiteten Namen können noch schöne Dinge gethan werden; wir müssen daher solchen verherrlichen, so viel wir können.“ Und zu Schill sagte er selbst einmal: „Fahren Sie fort, die Gemüther zu erfrischen, wo das Blut etwas stocken will. Meine treue Mitwirkung für Ihre Pläne sage ich Ihnen von Herzen zu.“ Aehnlich sprach sich Scharnhorst in einem noch ungedruckten Brief an ihn aus. „Sie sind auf einem guten Posten,“ heißt es darin, „und die Zeit ist nahe, wo wir auf kräftige Handlungen rechnen müssen. Haben Sie ein gutes Auge auf die Dinge in Oesterreich; der Krieg wird dort ganz wahrscheinlich noch in diesem Jahre (1809) ausbrechen, vielleicht schon zum Frühjahr. Wir müssen alsdann überall fertig sein, um den kleinen Krieg zu unternehmen, und auf Sie rechne ich dabei am meisten. Es wäre gut, wenn Sie sich alsdann Magdeburgs zu bemächtigen suchten und Mitteldeutschland insurgirten. An Theilnahme wird es Ihnen unter der dortigen Bevölkerung nicht fehlen. Doch warten Sie das Zeichen ab und übereilen Sie nichts.“

Wie merkwürdig, wie folgenschwer! Scharnhorst selbst weist dem kühnen Officier das Ziel, dem er bald darauf nachstrebte und das er verfehlen sollte, weil er den wohlgemeinten Rath, nichts zu übereilen, vergaß und, über die Wirklichkeit der Dinge im Irrthum, sich nur seinen patriotischen Täuschungen hingab!

(Schluß folgt.)




Zur Berichtigung irriger Ansichten.
Die Testamentsscheu und der wissenschaftliche Tod.

Das Testament zu machen, verabsäumen und verweigern nicht blos Solche, die in Folge blödsinnigen Aberglaubens fürchten, daß durch die Niederlegung des Testamentes dann ihr Tod eiligst heraufbeschworen werde, sondern auch die, welche (meistens aus Bequemlichkeitsliebe) meinen, daß es bei ernstlichem Krankwerden schon noch Zeit genug sei, auf Anrathen des Arztes die letzten Verfügungen zu treffen. Gerade als ob ein Mensch nicht in jedem Augenblicke dem plötzlichen Tode (aus äußern und innern Ursachen) ausgesetzt wäre, und als ob bei der scheinbar leichtesten Krankheit nicht gegen alles Vermuthen des Arztes ein tödtliches Ende eintreten könnte! Ganz abgesehen davon, daß es äußerst inhuman und grausam ist, einem Kranken durch Erinnern an’s Testamentmachen gewissermaßen sein Todesurtheil zu verkünden.

Kurz, es ist unverständig und gewissenlos, ja oft geradezu sündhaft, wenn Jemand, der vor seinem Tode zum Wohle seiner Angehörigen oder anderer Mitmenschen noch Bestimmungen und Verfügungen zu treffen hat, diese nicht bei Zeiten trifft und zwar so, daß sie auch rechtskräftig sind. Wenn es Manche für hinreichend

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_471.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)