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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

So ehrlich es einige Mitglieder auch mit dem Vaterlande und ihrem Patriotismus meinten, konnte mit dieser Art Freiheitsliebe doch der guten Sache wenig genutzt werden. Es waren eben unpraktische Gefühlsmenschen und Schwärmer, die mit einigen Phrasen und Gedichten die Sache abgemacht glaubten. Der hohe Schwung eines Schiller, der die Begeisterung für alles Große, Hohe und Edle im Menschen so mächtig zu wecken wußte, ging ihnen vollständig ab. Selbst die Bedeutendsten darunter bewegten sich in kindischen und nahezu lächerlichen Dingen. „Wir drei (Voß, Stolberg und Hahn),“ erzählt Voß, gingen bis Mitternacht in meiner Stube ohne Licht herum und sprachen von Deutschland, Klopstock, Freiheit, großen Thaten und von Rache gegen Wieland, der das Gefühl der Unschuld nicht achtet. Es stand eben ein Gewitter am Himmel, und Blitz und Donner machten unser ohnedies schon heftiges Gespräch so wüthend, daß wir in dem Augenblick ich weiß nicht welcher großen Handlung fähig gewesen wären!“ – In diesen sentimentalen Gefühlsscenen suchten sie die Höhe ihrer Vaterlandsliebe, von praktischen Bestrebungen war keine Rede. Die Poesie war ihnen schon eine That. Trotz alledem müssen wir das, wenn auch unklare Streben dieser idealen Fahnenträger als ein achtungswerthes bezeichnen. In ihren Gedichten lag zweifellos die Absicht vor, zur Wiedergeburt des Vaterlandes, zur Verjüngung der Herzen, zur Erfrischung und Reinigung der Sitten zu wirken und so den Strom des Lasters und der Sclaverei aufzuhalten. In vielen Herzen haben ihre Gesänge auch wirklich eine heilige Flamme angezündet.




Welche Beobachtungen kann und wird man bei der totalen Sonnenfinsterniß am 18. Juli 1860 anstellen?
Von G. von Boguslawski.

Bedeutende Sonnenfinsternisse sind Erscheinungen, welche von jeher, zu allen Zeiten und bei allen Völkern, die höchste Aufmerksamkeit erregt haben, sowohl bei dem stumpfsinnigsten Beschauer derselben, welcher, überrascht durch das plötzliche Verschwinden der Sonne, in abergläubische Furcht oder wenigstens in ein banges Staunen versetzt wird, sobald die strahlende Sonnenscheibe sich nach Verlauf weniger Minuten wieder in dem früheren Glanze zeigt, – als auch bei dem Astronomen von Fach, welcher Ursache und Wirkung bei dem Vorgänge kennt und sich die kleinsten Einzelnheiten der Erscheinung vollkommen zu erklären weiß.

Wenn auch die Sonne bei uns in Deutschland in den ersten Nachmittagsstunden des 18. Juli nicht vollständig durch den Neumond bedeckt wird, wenn vielmehr von ihr noch eine nach den beiden Enden hin schmaler werdende Sichel übrig bleibt, deren größte Breite 1/4 bis 1/3 des ganzen scheinbaren Sonnendurchmessers beträgt, so ist die bevorstehende Sonnenfinsterniß auch für unsere Gegenden eine immerhin beachtenswerthe Himmelserscheinung, zumal sie von Jedem, ohne Anwendung eines Fernrohres oder anderweitiger großer Hülfsmittel außer einem geschwärzten Uhrglase, beobachtet und in ihrem ganzen Verlaufe verfolgt werben kann. Größeres Interesse erregt sie natürlich in denjenigen Gegenden, wo die Sonne gänzlich von dem Monde bedeckt wird, oder wo die Sonnenfinsterniß total ist. Dies findet in Europa nur in dem nordöstlichen Theile von Spanien statt, vom biscayischen Meerbusen an bis zum mittelländischen Meere zwischen Cap Tortosa und Cap la Nao, sodann auf den Balearen und Pityusen. Die Zone oder der Erdstrich der totalen Finsterniß[1] geht sodann nach Afrika hinüber, wo man die Sonne in Algier und Constantine wird total verfinstert sehen, und endet in dem rothen Meere bei 16° nördl. Br.; der Anfang dieser Zone ist an der Westküste von Nordamerika, ungefähr bei dem Ausflusse des Oregon- oder Columbiaflusses zu suchen bei 46° nördl. Br., wo sie das britische Nordamerika bis zum atlantischen Ocean bei 60° nördl. Br. in einer nach N.-O. aufsteigenden Curve durchschneidet, die alsdann sich nach S.-O. bis zum biscayischen Meerbusen senkt und in Europa eintritt. Partial wird man die Sonne verfinstert sehen in ganz Nordamerika, Europa, dem größten Theile von Afrika und dem westlichen Theile von Asien. Für Leipzig (resp. für das mittlere Deutschland) wird die erste Berührung des westlichen Randes der Sonne durch den östlichen Rand des in der Richtung von Westen nach Osten vor die Sonne rückenden Mondes 21/4 Uhr Nachmittags stattfinden, und zwei Stunden später wird der Westrand des Mondes wieder gänzlich aus der Sonne heraustreten, so daß ungefähr um 31/4 Uhr die Mitte der Finsterniß und die Zeit ist, wo für den betreffenden Ort der Mond den größten Theil der Sonne verdeckt. Diejenigen Orte, welche westlich von Leipzig liegen, werden die Verfinsterung zeitiger beginnen und enden sehen, dagegen die östlich gelegenen später, wie die Leser dieser Zeilen aus ihren betreffenden Kalendern leicht ersehen werden.

Für wichtige und allgemein interessante Beobachtungen eignet sich aber nur die Zone der totalen Finsterniß, welche, wie oben erwähnt, in Europa nur einen sehr beschränkten Raum in Spanien einnimmt. Dagegen sind die Erwartungen der astronomischen Welt, welche man von der möglichst vielseitigen Beobachtung der diesmaligen totalen Sonnenfinsterniß in Spanien durch die bewährtesten Astronomen hegt, sehr groß; hoffentlich werden sie durch die Gunst des Wetters und die Geschicklichkeit der Beobachter erfüllt werden, und dadurch manche Probleme und Fragen der heutigen Astronomie ihrer Lösung nahe kommen.

Man wird wohl einsehen, daß die Astronomen nicht nur über die allmähliche Verdunkelung der Sonnenscheibe etc. etc. Beobachtungen anstellen, sondern daß sie bei Beobachtungen von Sonnenfinsternissen die Lösung anderer und wichtigerer Aufgaben im Auge haben, welche es wohl verdienen, daß man ihretwegen keine noch so weite Reise scheut, selbst auf die Gefahr hin, daß die Ungunst des Wetters jede andere Beobachtung vereitelt. Durch die vereinten Anstrengungen der berechnenden und der beobachtenden Astronomie werden allein die schönen Resultate erzielt, die man von der Beobachtung einer totalen Sonnenfinsterniß jetzt zu erwarten hat.

Zunächst kann man die Zeit und den Ort des Ein- und Austrittes der dunkeln Mondscheibe in und aus der Sonnenscheibe und der sogenannten inneren Berührungen der Ränder der Sonne und des Mondes genau bestimmen, hiernach die Beobachtung mit der Berechnung vergleichen und hierdurch die sogen. Sonnen- und Mondtafeln rectificiren, welche die Oerter der Sonne und des Mondes für eine gegebene Zeit am Himmel bestimmen; die Beobachtung der Sonnenfinsternisse verschafft uns also ein Mittel, die so sehr verwickelte Bahn des Mondes immer genauer zu bestimmen, und auf diese Weise alle späteren Vorausberechnungen von Himmelserscheinungen, bei denen der Mond eine Rolle spielt, immer genauer anzustellen. Schon dies ist ein großer Gewinn für die Wissenschaft, aber von Interesse fast allein nur für den Astronomen von Fach, aber auch in gewisser Beziehung für jeden Menschen, insofern man aus der Vergleichung alter und neuer Beobachtungen von Sonnenfinsternissen gefunden haben will, daß der Mond im Laufe der Zeiten sich rascher um die Erde bewege, als früher, daß also eine einstige Vereinigung des Mondes mit der Erde in Aussicht stehe. Soweit wird es indeß wohl nicht kommen; es sind noch andere Kräfte vorhanden, die den Mond in respectabler Entfernung von der Erde halten!

Ferner kann man die Sonnenfinsternisse benutzen zu Längenbestimmungen der Orte, wo die Sonnenfinsterniß beobachtet worden ist, also zu einer besseren Kenntniß der geographischen Lage einiger Orte der Erde. Die heutige Wissenschaft hat aber hierzu weit bessere Mittel, und die obenerwähnten Bestimmungen der Fehler unserer Sonnen- und Mondtafeln kann man ebenso gut an allen ständigen Sternwarten wahrnehmen, für welche die Finsterniß überhaupt sichtbar ist, so daß man zur Erreichung dieser Zwecke allein nicht nöthig hat, weite und vielleicht durch trübes Wetter fruchtlos gewordene Reisen zur Beobachtung einer totalen Sonnenfinsterniß zu unternehmen. Dagegen gibt es gewisse Erscheinungen, welche nur bei totalen Sonnenfinsternissen eintreten, und die von der höchsten Wichtigkeit für die Kenntniß der physischen Beschaffenheit

  1. D. h. das Stück der Erdoberfläche, welches durch die Achsendrehung der Erde während der Dauer der Finsterniß in einer gewissen Breitenausdehnung unter dem Mondschatten hindurch geführt wird.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_455.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)