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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 25. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Letzte seines Stammes.
Aus den Papieren eines *schen Beamten.
Herausgegeben von J. F–e.
(Fortsetzung.)


Das ruhige, klare und offene Benehmen des jungen Mannes hatte bisher den günstigsten Eindruck auf mich gemacht. Ich konnte trotz der andern Anzeichen, die gegen ihn sprachen, nicht den geringsten Boden zu der Annahme gewinnen, daß ich einen Verbrecher, gar einen Raubmörder vor mir habe. War nur ein Funke von Schuldbewußtsein in ihm, so mußte er auf die Frage, die ich zuletzt an ihn gerichtet hatte, und auf die ferneren, die er danach erwarten konnte, von vornherein ebenso gefaßt gewesen sein, wie auf die früheren, die er mit voller Ruhe und Klarheit beantwortet hatte. Ich hatte nur einen Erklärungsgrund: eine Schwäche, die erst erschrickt, wenn die Gefahr nahe herantritt. Ich mußte die Gefahr für ihn beschleunigen.

„Waren Sie auf der Reise von Antwerpen bis hierher mit Deutschen zusammen?“

„Allerdings.“

„Waren Bekannte aus der hiesigen Gegend unter ihnen?“

Er zögerte wieder mit der Antwort.

„Ja,“ sagte er zuletzt leise.

„Können Sie von ihnen Jemanden nennen?“

Er schwieg und wurde unruhiger. Die Stirn wurde ihm feucht.

„Ist Ihnen der Name Franz Bauer bekannt?“

„Ja.“

Er sprach das Wort schnell, bestimmt aus. Er sah mich dabei voll und offen an, und es schien ihm wohl zu thun, daß er das konnte. Ich wurde in meinem Verdachte wieder irre.

„Wo haben Sie ihn kennen gelernt?“

„In Californien.“

„Hatten Sie dort mit ihm in Verbindung gestanden?“

„Nein. Ich war nur zufällig einige Male mit ihm in Berührung gekommen.“

„Haben Sie mit ihm gemeinschaftlich jenes Land verlassen?“

„Nein.“

„Wo trafen Sie ihn wieder?“

„In Antwerpen.“

„Blieben Sie zusammen?“

„Wir reisten von da an gemeinschaftlich bis in die Nähe seiner Heimath.“

„Diese ist?“

„Einige Meilen von hier.“

„Erzählen Sie, wie Sie ihn verließen.“

„Wir waren auf der letzten Eisenbahnstation angekommen. Auch von da an war unser weiterer Weg der nämliche. Wir trafen auf dem Bahnhofe der Station einen fremden Lohnkutscher, der Passagiere suchte, gleichviel wohin. Wir mietheten ihn und fuhren zusammen, bis von der Landstraße ein Seitenweg zu dem Heimathdorfe Bauers abging. Er wollte den Weg zu Fuße machen und stieg aus. Ich hätte vielleicht noch eine Viertelstunde auf der Chaussee weiter fahren können, bis ich an einen anderen Seitenweg kam, der mich, gerade in der entgegengesetzten Richtung, zu meinem Bestimmungsorte führte, und den ich gleichfalls zu Fuße zurücklegen wollte. Ich stieg aber, da der Wagen einmal hielt, gemeinschaftlich mit ihm aus. Auf der Landstraße sprachen wir noch einige Worte miteinander. Dann nahmen wir Abschied. Er ging seinen Weg links in einen Wald hinein. Ich blieb noch eine Zeitlang auf der Landstraße und schlug mich dann rechts nach dem Gebirge zu.“

Er hatte das Alles wieder ohne Zögern, offen und unbefangen erzählt. Auffallend konnte, mußte mir nur Eins sein: er hatte der dritten Reisegefährtin, der Antonie Hein, mit keiner Sylbe erwähnt.

„An welchem Tage war das?“ fragte ich.

„Am Sonnabend vor acht Tagen.“

„Zu welcher Tageszeit?“

„Am Abend, etwa zwischen acht und neun Uhr.“

„Waren Sie bekannt in der Gegend?“

„Ja.“

„Waren Sie oft hier gewesen?“

„Nicht oft.“

„In welcher Angelegenheit?“

„Es sind Jahre seitdem verflossen. Ich wüßte nicht, zu welchem Zwecke ich jetzt noch sollte Auskunft darüber geben müssen.“

Ich ließ den Punkt fallen. „Ist Ihnen auch der Weg bekannt,“ fragte ich weiter, „den Franz Bauer zu seinem Dorfe nehmen mußte?“

„Nein. Ich war in dem Dorfe und auf dem Wege dahin nie gewesen.“

„Haben Sie Franz Bauer seit jenem Abschiede wieder gesehen?“

„Nein.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_385.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)