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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Später faßte der Keiler bei Zeiten Posto vor der Hausthüre, sobald er die geringste Anstalt zum Ausgehen oder Satteln bemerkte.

Er suchte mit den Hühnerhunden auf der Jagd einen Acker nach dem andern durch und folgte den Windhunden, bis der Hase gefangen war. Als sein Herr einer militairischen Beerdigungsfeierlichkeit in Mainz beiwohnen wollte, brach der Keiler aus und schwamm ihm durch den Rhein nach. Beim Abfeuern der Kanonen und Gewehre stand der Keiler ruhig neben seinem Herrn und kehrte andern Tags im Nachen mit ihm zurück. Nachdem der Keiler das zweite Jahr zurückgelegt hatte, wurde er, obwohl castrirt, übermüthig und richtete aus Langeweile vielfachen Unfug an. Unter Andern wollte er durchaus mit der alten Mama des Försters schäkern, allein dies geschah in so plumper Manier, daß er dieselbe eines Tages umwarf. Des lieben Hausfriedens wegen sah sich der Förster endlich genöthigt, den Keiler zu erschießen. Dies ging ihm aber so nahe, daß die Kugel den bezielten Fleck etwas verfehlte. Der Keiler wankte in den Garten und verendete auf der Grabstätte seines Jugendfreundes, des Hühnerhundes. Vier Tage nachher schickte Landgraf Ludwig VIII. einen Herrn von Firnhaber aus Darmstadt, um sich die Sau zu erbitten – allein es war zu spät, und der nachherige Oberförster erzählte diese Geschichte nie, ohne mit einiger Rührung hinzuzufügen, „daß er zu diesem Mord gezwungen worden sei!“

Streitende Keiler.

Mit Ausnahme der ältern, einsiedlerischen Keiler lebt das Wildschwein im Freien das ganze Jahr hindurch in größern oder kleinern Rudeln friedlich beisammen. Die Mitglieder einer solchen Gesellschaft halten im Fall der Noth treu zusammen, doch scheint es fast, als ob mit der zunehmenden Verfolgung der Sauen ihre Widersetzlichkeit abgenommen. So sieht man z. B. heutzutage nur noch höchst selten ein Rudel bei Annäherung der Hunde zusammentreten und, die Köpfe nach außen gerichtet, einen undurchdringlichen Kreis bilden, in dessen Mitte Frischlinge und Ueberläufer sich bergen.

Den Tag über liegen die Sauen in einer aufgewühlten Bodenvertiefung, dem sogenanntnn Kessel, dicht gedrängt beisammen und sie wissen alsdann die gegen Kälte empfindlichen Körpertheile sehr gut zu verstecken. Ein solches „eingekesseltes“ Rudel entwickelt eine enorme Hitze, und man sieht an kalten Wintertagen oft eine förmliche Dampfwolke über dem Kessel stehen. Die ältern Keiler machen sich ihr einsames Lager in Gestalt einer muldenförmigen Vertiefung und meist mit einem gewissen Comfort hinter einem Felsblock, Baumstamm etc. zurecht. Ist das Lager auf einer Waldblöße, so werfen sie das aufgewühlte Erdreich und Reisig oft lehnenförmig gegen die Wetterseite auf, füttern den Boden mit Laub und dergl.

Jäger auf der Kanzel.

Nach Sonnenuntergang erhebt sich die Sau vom Lager und trabt nach einigem „Sichern“ davon, um Nahrung zu suchen. Nach der Art und Weise, wie dies geschieht, unterscheidet der Jäger: das „Brechen“, wobei lange Furchen in’s Erdreich gewühlt werden, um zu der sogenannten „Erdmast“, den Engerlingen und andern in der Erde lebenden Insecten und ihren Larven, Würmern, den Wurzeln des Farnkrauts, Kümmels etc. zu gelangen. Nach Letztern graben die Sauen oft so tiefe Löcher, daß man sie in einiger Entfernung gar nicht sieht. Man unterscheidet ferner das „Mausen“ und „Wurmen“, wobei nur kleine Löcher gebrochen werden, das „Ueben“ oder Aufsuchen der abgefallnen Eckern und Bucheln, das „Fressen“ im Getreide, auf der Körnung, an eingegangenem Wild und auf den Kirrungsplätzen für Füchse. Aus dem Gesagten geht zunächst die Nützlichkeit der Wildsau für die Forstwirtschaft hervor, denn der Waldboden wird durch sie von schädlichem Ungeziefer gründlich gereinigt, und man pflegt sogar in Forstrevieren, wo kein Schwarzwild vorhanden, mitunter zahme Schweine zu diesem Zweck in den Wald zu treiben. Durch das Umbrechen wird der Boden überdem lockerer und für atmosphärische Einflüsse empfänglicher gemacht, und in den Furchen keimt später gar manches Pflänzchen, welches auf der hohen Laubdecke des Waldbodens nicht wurzeln könnte.

Das wäre nun Alles sehr gut und anerkennungswerth, allein unser Schwarzwild hat leider keinen Begriff von den verschiedenen Forstabtheilungen und Hauungsplänen. Es beschränkt seine Thätigkeit nicht blos auf den Hochwald, sondern besucht auch mitunter die Samenschläge und Pflanzkämpe, wo es durch Umwerfen der zarten Pflanzen viel Unheil anrichtet. Noch schlimmer ist’s, wenn ein ganzes Rudel sich darauf capricirt hat, die an den Wald grenzenden Aecker zu besuchen oder eine Wiese umzupflügen. Da müssen denn die Wildhirten das Ihrige thun, um die ungebetenen Gäste zurückzuhalten und ihnen ihren Standpunkt klar zu machen. Es bedarf daher kaum der Erwähnung, daß Sauen in Gegenden, wo die „Oekonomie“ vorherrscht, nicht wohl im Freien zu halten sind.

Die eigentliche Mast oder Feistzeit der Sauen beginnt Mitte September und endet mit Eintritt des Winters. In Jahren, wo Bucheln und Eckern gerathen sind, legen die Sauen in dieser Zeit oft einen Zoll hoch Feist am „Brustkern“ (Brustbein) auf. Außer dem Waldobst bietet ihnen der Herbst die Schwämme, Morcheln, Trüffeln, Rüben und Kartoffeln. Wie bei allen Säugethieren, erwacht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_373.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)