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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ort und Stelle zu begeben, um den Thatbestand des verübten Verbrechens gerichtlich festzustellen, und gemeinsam mit der Polizei Alles vorzunehmen und anzuordnen, was zur Ermittlung, Verfolgung und Ueberführung des Verbrechers dienen konnte. Mit den Gerichtsärzten und dem übrigen erforderlichen Gerichtspersonale verfügte ich mich unter Führung des Jägers zu dem Walde.

Wir kamen bei der Leiche an. In dem Augenblicke vorher waren die Angehörigen des Todten eingetroffen, die greise Mutter, die abgehärmten Schwestern. Man sah ihnen Allen die jahrelange Sorge und Entbehrung an. Aber was war das gegen den entsetzlichen Schmerz des Augenblicks! Ich werde nie den Anblick vergessen. Ich mußte handeln. Den Todten konnte ich ihnen nicht lebend wieder geben, aber die Genugthuung des Rechts mußte ich ihnen verschaffen, ihnen wie Allen, die nur einmal Kunde von dem Verbrechen erhielten. Ein Mord ruft mit doppelter, dreifacher Gewalt die Ahndung der Gerechtigkeit hervor. Da ist Jeder betheiligt, da muß das Recht selbst sein Recht haben.

Mein war zunächst das Amt, das Recht zu wahren. Von dem ersten Angriffe, von den ersten Schritten einer Criminaluntersuchung hängt so Vieles, in so vielen Fällen Alles ab. Ich habe jedesmal schwer die schwere Verantwortlichkeit empfunden, die auf mir als Untersuchungsrichter lastete, und fühlte sie doppelt schwer damals.

Die Besichtigung der Leiche wurde vorgenommen. Ein Raubmord war verübt worden. Der Tod war durch eine Schußwunde herbeigeführt, eine Kugel hatte die Brust und in gerader Richtung unmittelbar das Herz getroffen. Der Tod mußte augenblicklich erfolgt sein. Die Kugel wurde in der Leiche gefunden, es war eine mittelmäßig große Pistolenkugel. Die Aerzte, erklärten, daß das Verbrechen vor etwa vierundzwanzig Stunden verübt sein müsse.

Der Ermordete war fast aller seiner Habseligkeiten beraubt. Die Jagdtasche enthielt nur noch einige Wäsche, in der Rocktasche befand sich nur ein seidenes Taschentuch; in einer Hosentasche einige lose Scheidemünze. Sonst wurde nichts an und bei der Leiche gefunden. Kein Geld, kein Ring, keine andere Kostbarkeit, kein Papier, nicht einmal ein Notizbuch. Schon dieser Mangel an allen Gegenständen, von denen ein, zumal wohlhabender Reisender doch immer einen oder den anderen bei sich führt, ließ mit Sicherheit auf eine stattgehabte Beraubung schließen. Sie wurde zur völligen Gewißheit. Der Verstorbene hatte an zwei Fingern Ringe getragen, denn die Eindrücke waren ganz deutlich zu erkennen. Sie mußten vor oder nach der Tödtung abgenommen sein. Er hatte auch eine Taschenuhr getragen, in der linken Westentasche, die Rundung der Uhr zeichnete sich noch darin ab.

Ich hatte da zugleich wichtige Thatsachen für eine künftige Entdeckung des Thäters. Von den Eindrücken der Ringe an den Fingern nahm ich eine vollständig getreue, auch das Maß auf das Genaueste wiedergebende Zeichnung zu den Acten. Die Weste nahm ich, mit den übrigen Sachen des Ermordeten, in gerichtliche Verwahrung, nachdem ich, für den Fall späterer Verwischung, die von dem Tragen der Uhr zurückgebliebene Rundung sowohl an der Weste selbst als zu den Acten genau abgezeichnet hatte.

Außer Ringen und Uhr mußte dem Ermordeten auch Geld, und zwar hauptsächlich Geld geraubt sein. Er hatte den Seinigen geschrieben, daß er Geld mitbringe. Er hatte sie auf bessere Tage verwiesen, das Vermögen, das er sich erworben hatte, konnte daher kein unbedeutendes sein. Wenn auch nicht das Ganze, so hatte er doch sicher einen Theil davon, wahrscheinlich einen ansehnlichen Theil, bei sich getragen. Zweifelhaft konnte nur sein, worin es bestanden habe, ob namentlich in gemünztem Golde, oder in Goldsand, oder in Banknoten, Wechseln oder anderen Werthpapieren. Personen, die aus Californien zurückkehrten, pflegten in der Regel in allen solchen Stücken ihr Vermögen mit sich zu führen. Daß der Ermordete wirklich sein ganzes Vermögen bei sich getragen, wurde später dadurch bestätigt, daß bei den Seinigen nichts von ihm oder für ihn ankam, weder mit der Post, noch auf anderem Wege. Sein gesammtes Vermögen war ihm mithin geraubt. Auch in Betreff der Beraubung der Uhr und der Ringe wurde bald völlige Gewißheit erlangt.

Meine erste Sorge nach der Feststellung des Thatbestandes, auch der Obduction der Leiche, war zu ermitteln, wo der Ermordete zuletzt lebend gesehen sei, seine Reise zurückzuverfolgen, und zu erforschen, ob und in welcher Gesellschaft er gewesen, sowie ob in seiner Nähe oder in der Gegend sich verdächtige Personen gezeigt hätten. Ich kam zu folgenden Resultaten: Die Nachforschungen in Antwerpen, sowie weiter in Belgien und den Niederlanden, blieben ohne allen Erfolg. Weder war dort über den Namen Franz Bauer, noch über Jemanden, der dem Ermordeten geglichen hätte, irgend eine Auskunft zu erhalten. Auch in den angrenzenden deutschen Ländern nicht. Kein Paßbureau, kein Wirth, kein Anderer vermochte Auskunft zu geben. Die erste Nachricht über ihn kam erst aus der Nachbarschaft.

Am Sonnabend, den 18. September, also am zweiten Tage vor der Auffindung der Leiche, hatte in einem etwa fünf Meilen entfernten Städtchen über Mittag ein fremder Lohnkutscher angehalten. Seine Passagiere waren ausgestiegen. Es waren ihrer drei gewesen, zwei Männer und ein Frauenzimmer. Der eine der Männer war nach der Beschreibung der Ermordete gewesen: ein hagerer, blasser Mann, von mittlerer Größe, im Anfange der dreißiger Jahre, bekleidet mit einem grünen Oberrocke, über der Schulter eine Jagdtasche tragend. Daß es der Ermordete gewesen war, stand um so weniger zu bezweifeln, als die später vorgeladenen Bewohner des Wirthshauses, an welchem der Lohnkutscher angehalten hatte, die ihnen[WS 1] vorgezeigten Kleidungsstücke und Jagdtasche mit Bestimmtheit wieder erkannten. Der zweite Mann wurde beschrieben als ein großer, schöner, gleichfalls noch junger Mann, mit dunklen Augen, braunem, lockigem Haar und gleichem Vollbart. Er hatte schwarze Kleidung getragen. Eine genauere Beschreibung war über ihn nicht zu bekommen. Das Frauenzimmer war eine große, bildschöne, üppige junge Dame gewesen. Die Bezeichnung Dame wollten die Wirthsleute ihr so recht nicht geben. Die elegante Reisekleidung einer Dame, schwarzes seidenes Kleid, braunen Doppellongshawl, Strohhut mit braunem Schleier, habe sie wohl getragen, aber ihr Benehmen sei etwas gewöhnlich gewesen.

Die drei Reisenden waren unter einander bekannt gewesen. Dies war aus ihrem gegenseitigen Benehmen deutlich hervorgegangen. Ob sie sich schon längere Zeit gekannt hatten, war nicht festzustellen. Ihr Benehmen gegen einander hatte indeß einiges Eigenthümliche gehabt.

Franz Bauer, der Ermordete, war meist still für sich gewesen, er hatte nur gesprochen, wenn die beiden Anderen ihn anredeten. Dies war von dem schönen jungen Manne öfters geschehen. Dieser hatte ihm überhaupt viel Aufmerksamkeit bewiesen, ohne daß jener sie sonderlich erwidert. Die Dame hatte mit Bauer fast gar nicht gesprochen, sich überhaupt wenig um ihn bekümmert. Desto mehr und desto angelegentlicher hatte sie sich mit dem schönen jungen Manne unterhalten, oder vielmehr zu unterhalten gesucht. Denn der junge Mann war kalt und wortkarg gegen sie gewesen. Der Wirthin war es sogar vorgekommen, als ob er gerade darum, um den Gesprächen mit der Dame zu entgehen, sich so viel mit dem Ermordeten zu schaffen gemacht habe. Frauen haben in solchen Sachen einen scharfen Blick, oft aber auch einen zu scharfen, als daß er richtig sein sollte.

Eine weitere Auskunft über Personen, Benehmen und Verhältnisse der Drei war von den Zeugen nicht zu erhalten. Sie hatten sich im Ganzen wenig um die durchreisenden Fremden gekümmert; einen Namen hatte sie gar nicht gehört. Uebrigens sprachen die sämmtlichen vernommenen Bewohner des Wirthshauses sich dahin aus, daß sie den schönen jungen Mann des gegen den Ermordeten verübten Verbrechens kaum fähig halten könnten. Er habe ihnen zu brav, zu edel ausgesehen. Sein Betragen sei zu unbefangen gewesen, namentlich auch dem Ermordeten selbst gegenüber. Ueber die sogenannte Dame wollten sie nicht mit gleicher Entschiedenheit urtheilen. Sie konnten freilich keinen einzigen bestimmten, wenn auch noch so entfernten, thatsächlichen Verdachtsgrund angeben. Die Person war ihnen nur überhaupt etwas ordinair, zweideutig vorgekommen. Die Wirthsfrau wollte nur auch hier wieder bemerkt haben, wie die Dame einige Male so sonderbar nachdenkliche Blicke auf den Ermordeten gerichtet habe, die sie allerdings damals nicht zu deuten gewußt und jetzt nicht deuten wolle, um ihr Gewissen nicht zu belasten.

Die Reisenden waren etwa anderthalb Stunden geblieben, und dann gemeinschaftlich mit dem Lohnkutscher weiter gefahren. Ein wichtiges Moment wurde noch bekundet: der Ermordete hatte wirklich an der Hand zwei Ringe und in der Westentasche eine Uhr getragen. Er hatte diese einmal hervorgezogen. Die Leute meinten gesehen zu haben, daß sie von Gold war. Er hatte ferner

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  1. Vorlage: ihren
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_354.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)