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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

eines Metzgers vertauscht, und unter der Assistenz mehrerer dienstbeflissener Musketiere hatte das Lamm bald sein Leben verhaucht. Während dessen schürten andere Soldaten von dem der Feldwacht gelieferten Holze im Schutze einer baufälligen Scheune ein flackerndes Feuer, dessen schwarzer Qualm in dicken, funkensprühenden Wolken dicht über die nasse, bereifte Erde dahinjagte. Ich überließ die eifrigen Köche ihrem Geschäfte, und als ich von einer Besichtigung meiner Posten zurückkam, präsentirte mir der Sergeant in irdener Schüssel eine tüchtige Portion gebratener Lammsleber. So wenig mir das weichliche Gericht auch zusagte, ich mußte davon genießen. Glücklicherweise halfen mir hierbei die Bauersleute, in deren Häuschen ich mein Hauptquartier hatte.

Noch in später Stunde schickte mir mein Hauptmann eine Flasche herrlichen Madeira, welche ich mit einigen Bevorzugten meiner Untergebenen theilte. Den von Posten gekommenen Musketieren erlaubte ich auf der bloßen Diele des engen Bauernstübchens zu schlafen, während ich, den Kopf auf den seitwärts gelegten, etwas zusammendrückten Helm gelehnt, aufmerksam jedem Geräusche lauschte. Die Stille der Nacht wurde aber nur durch das Heulen des Sturmwindes, das eintönige Picken der kleinen Schwarzwälder Uhr und zu bestimmten Zeiten durch die halblauten Meldungen der zurückkehrenden Posten und Patrouillen gestört. Um Mitternacht trat mich ein alter Schulcamerad, den ich als zweiten Unterofficier auf Wache bei mir hatte, mit der Bitte an, mit dem dritten Unterofficier eine Schleichpatrouille machen zu dürfen. Ich kannte seine wagehalsige, frische und manchmal wohl etwas unbedachte Jägernatur und wollte darum seine Bitte schon abschlagen. Doch er versprach so fest, den Stand und die Stärke der feindlichen Feldwacht zu erforschen, daß ich endlich nachgab. Freilich wagte ich dabei Etwas, denn unsere Instructionen waren eigenthümlicher und höchst subtiler Art. Damals hatte Herr v. Manteuffel das schöne Wort: „Der Starke weicht ruhig zurück,“ noch nicht ausgesprochen, aber wir armen Soldaten sollten es bereits in der Praxis ausführen. Wir hatten strenge Ordre, bei einem feindlichen Angriffe das Feuer zuerst nicht zu erwidern, sondern den Officieren der feindlichen Tirailleurketten zu sagen, wir ständen hier als Feldwache. Würden die Herren Cameraden diese Mittheilung nicht beachten, so sollten wir, wennschon mit Worten remonstrirend, doch bis zu einem bestimmten Terrain-Abschnitte zurückgehen, diesen dann aber mit äußerster Hartnäckigkeit und Todesverachtung vertheidigen. Solche Diplomaten-Instruction mochte unseren Generalen selbst wohl höchst peinlich sein; denn sie zeigten sich nur selten und flüchtig bei den Vorposten. Ich zog daraus den Schluß, es werde mit dem strengen Einhalten des anempfohlenen Rückwärtsrichtens wohl nicht so genau genommen werden. Demzufolge sagte ich meinen Leuten jedes Mal bei dem Aufziehen der Wache, nach der alten, Jedem wohlbekannten Feld-Instruction, wir seien eine Feldwache, das heißt eine Abtheilung der Vorposten, die einen bestimmten Terrain-Abschnitt beobachten und decken soll; dies sei das Terrain und wir werden unseren Zweck in Bezug auf dasselbe erfüllen. Das „Wie?“ sei Allen bekannt, das „Wie lange?“ sei durch die Ablösung auch ganz klar. Die übrigen Spitzfindigkeiten hielt ich für den praktischen Verstand meiner wackeren Polen und Schlesier überflüssig, und auch die derben Musketiere des westphälischen Regimentes meinten, auf mein Befragen, ob sie Befehle haben zurückzugehen: „da wissen wir der nix von!“

So mochten denn wohl alle Feldwachtbefehlshaber übereinstimmend in militairischem Geiste gehandelt haben; denn jedem war wohl, nach redlicher Erwägung, die Ueberzeugung geworden: hier handele es sich nicht um eine Subordination, dem Wortlaute telegraphischer Depeschen entsprechend, die jeden Augenblick wechseln konnten, sondern vielmehr um ein Handeln an Ort und Stelle, den Umständen gemäß, für das Beste des Dienstes und Vaterlandes, nach Pflicht und Gewissen, auf eigene Verantwortlichkeit. – Es ist erklärlich, daß ich unter so bewandten Umständen meinen Freund doch mit einiger Besorgniß abmarschiren sah, regte sich gleich ganz heimlich der Wunsch, die kleine Expedition möge nicht so ruhig verlaufen, sondern womöglich uns Allen zu thun geben. Nach Verfluß von zwei Stunden kehrte die Patrouille zurück. Der ersten kurzen, militairischen Meldung folgte, lachenden Mundes, der Bericht heiterer Einzelnheiten des Streifzuges.

„Nach einer Stunde beschwerlichen Marsches auf sehr schlechtem Wege,“ erzählte er, „der aber in der Aufregung leicht überwunden wurde, waren wir auf den Rücken eines Höhenzuges gelangt. Das ganze feindliche Lager zeigte sich von hier in einer Menge von Wachtfeuern, welche auf uns einen mächtig anziehenden Reiz ausübten. Ein unüberwindliches Verlangen regte sich in uns, die Postenkette zu durchbrechen. Nach einigen hundert Schritten erschallte ein lautes „Halt!“ „Hol’ Dich der Teufel,“ dachte ich still, antwortete aber nicht. Da verbot ein zweites, noch lauteres: „Halt, werda?“ unterstützt durch das deutlich hörbare Knacken des Gewehrhahnes, ein weiteres Vordringen. Der feindliche Posten rief zum dritten Male an, worauf endlich von unserer Seite unterdrücktes Gelächter antwortete. Rasch liefen wir zurück und versteckten uns in einen Graben. Wenige Minuten hatten wir da vor dem alarmirten Posten gelegen, als Unterofficier F. mich zu nochmaligem Vorgehen aufforderte. Gesagt, gethan. Auf das wiederholte „Halt, werda?“ erfolgte der Bescheid: „Gut Freund!“ Der feindliche Soldat befahl weiter: „Zum Feldgeschrei vorwärts!“ und nun antwortete ich ihm mit einer Aufforderung, die sich allerdings französisch weniger grob ausgenommen haben würde. Das reizte denn doch den Zorn des Gefoppten dermaßen, daß er auf uns direct und muthig losging. Die Alarmirung der feindlichen Postenkette lag aber durchaus nicht in unserer Absicht, wir krochen zusammen, schlüpften eiligst in den Graben und liefen in demselben gebückt fort. Eine Cavallerie-Patrouille wurde uns nachgeschickt, die uns nahe auf den Hacken war. Jetzt galt es um jeden Preis, die Reiter zu täuschen. Platt in den Graben gestreckt, das Gesicht dem Himmel zugekehrt, lagen wir still und ruhig wie die Leichen. Die Patrouille ritt einige Male hin und her, und als sie kein Geräusch mehr bemerkte, kehrte sie ruhig um. Das wollten wir nur; als Alles wieder sicher war, erhoben wir uns von unserem kalten Lager und machten uns auf den Heimweg.

In einem Dorfe mußte ein altes Weib, nach langem Klopfen, ihr Haus öffnen und erzählte unter Weinen und Wehklagen, daß der Feind am anderen Tage ganz bestimmt gegen uns vorgehen werde, sie wisse dies von ihrer Einquartierung. Durch Hecken und Gärten entgingen wir der Dorfwache und bringen nun, als einziges ersprießliches Resultat unserer Schleichpatrouille, die Nachricht von dem zu erwartenden Angriffe.“

Dieselbe Nacht lieferte noch einen anderen, schlagenderen Beweis von der harmlosen Kriegsanschauung unserer Gegner. Wir hatten im Regimente, von unserer letzten Garnison her, eine Menge von Studenten als Freiwillige. Ihr frisches, ritterliches Wesen gefiel sich in dem Feldlager viel wohler, als auf dem alten, düsteren Exercirplatze, und machte sich überall vortheilhaft geltend. Einer dieser jungen Soldaten war so glücklich, gleich bei seiner ersten Patrouille einen ganz eigenthümlichen Fang zu thun. Bei dem Durchspähen des Terrains gegen den Feind zu gewahrte er nämlich drei Gestalten, die in aller Seelenruhe sich unserer Aufstellung näherten. Ohne Schwierigkeit waren die guten Leute umzingelt. Sie erwiesen sich als ein bairischer Oberlieutenant, der, in Begleitung eines Corporals und Gefreiten, unternommen hatte, die lange und schmerzlich vermißte Bierfuhre den harrenden Seinigen sicher und schnell zuzuführen.

Der joviale Student bedauerte ungemein, der Ausführung dieses allerdings auch von ihm als höchst wichtig anerkannten Auftrages hinderlich sein zu müssen; der Dienst gehe aber doch noch über den besten Bierdurst, und so mögen die Herren es sich schon gefallen lassen, zur Feldwache zu folgen. Von hier wurden die Gefangenen zu unserem Divisionscommandeur geführt. Der sonst so strenge Herr konnte es doch nicht über sich gewinnen, den armen Entdeckungsreisenden gegenüber die Strenge der Kriegsgesetze geltend zu machen. Die Ermüdeten wurden vielmehr an seiner Tafel mit Speise und Trank reichlich gelabt, schliefen im Stabs-Quartier und wurden am folgenden Morgen durch einen Parlamentair dem feindlichen Commandeur zugesandt, mit einer kurzen Darstellung des Thatbestandes und der Bemerkung: für Bier, Lebensmittel und dergleichen führe durch unsere Postenkette keine neutrale Straße.

In der heitersten Stimmung besichtigte ich am Morgen meinen Doppelposten. Vormittag und Mittag verflossen ruhig. Gegen zwei Uhr etwa sprengte ein Ulane die Landstraße zurück. „Der Feind im Anmarsch,“ rief er im Vorüberjagen mir als Meldung zu. Das war ein Wort! Schnell durcheilte ich meine Postenkette. Die Soldaten waren von frohem Muthe beseelt und fest entschlossen, keinen Schritt zurückzuweichen. Die Aufmerksamkeit auf das Vorterrain nahm Alle in hohem Maße in Anspruch; doch vom Feinde zeigte sich nichts. Die Ebene, aus

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