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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Bindet sie,“ befahl der Wachtmeister seinen Gensdarmen.

„Alle, Herr Wachtmeister?“

„Nur die Männer.“

„Auch mich nicht, Wachtmeister,“ erhob sich stolz der Gardelieutenant.

„Und warum nicht?“

„Ich bin der Lieutenant von Horst, von der Garde.“

„Was?“ rief verwundert der riesige Wachtmeister.

Der Räuber aber lachte höhnisch: „Gut gespielt, Kamerad!“

„Ah so!“ sagte da der Wachtmeister. „Bindet sie.“

„Aber ich schwöre –“ rief der Lieutenant.

„Das kann Jeder.“

„Ich habe Papiere.“

„Das Gericht wird sie untersuchen.“

„Aber Wachtmeister –!“

„Will Er schweigen? Voran, Gensdarmen!“

Die Gendarmen banden sie Beide. „Mitgefunden, mitgebunden, mitgegangen, mitgehangen!“ lachte der Räuber, spöttisch und selbstvergnügt. Was ich einmal will, sagte sein Gesicht, das setze ich trotz alledem durch, und noch ist nicht aller Tage Abend.

Am nächsten Morgen nach der erzählten Begebenheit ereignete sich nicht gar weit von dem Schauplatze derselben Folgendes: Ein großes, schönes adliges Schloß war von einem großen, schönen Park umgeben. Hinter dem Schlosse lagen weitläufige Wirthschaftsgebäude. In dem Park war auch ein weitläufiger Gemüsegarten, und neben diesem ein fast nicht minder umfangreicher Obstgarten. Derselbe erstreckte sich bis an eine Allee, die von der benachbarten Landstraße zu dem Schlosse führte. In dem Obstgarten war ein einzelner Mann mit dem Abnehmen von Obst beschäftigt, es waren wunderschöne graue Winterbirnen, die er von einem Baume brach und Stück für Stück sorgfältig in einen unter dem Baume stehenden Korb legte.

Der Mann war eine große, starke Figur; er hatte etwas Edles in seiner Haltung, zugleich aber auch etwas Gedrücktes.

So war auch sein Gesicht. Aber wunderbar, er schien sich weder des einen noch des anderen Ausdrucks in seiner Haltung und in seinem Gesichte bewußt zu sein, und gewiß auch niemals bewußt gewesen zu sein. Es gibt Menschen, die nur zu Niedrigem geboren sind und denen dennoch die Natur in sonderbarer Laune, oder noch öfter vornehme Mütter mit der Hülfe von Tanzmeistern und Kammerjungfern den Ausdruck des Hohen angestrichen haben.

Er war übrigens ein rüstiger Fünfziger, und sehr anständig gekleidet, und bei seiner Arbeit schwitzte er sehr. Das war in dem Obstgarten. In dem Gemüsegarten nebenan zeigte sich ein anderes Bild.

Zwei Damen lustwandelten dort zwischen den Gemüsebeeten, auf denen freilich nur noch die Früchte des Herbstes standen, Rüben und weißer und rother Kohl. Die eine Dame war nicht mehr jung, in der Mitte der Vierzig, sehr klein, sehr rund, mit einem sehr vollen und rothen Gesichte, mit einem außerordentlich gefühlvollen Ausdrucke in diesem Gesichte und mit außerordentlich gefühlvollen langen blonden Locken. Die andere war ein hübsches, frisches, junges Mädchen von achtzehn bis neunzehn Jahren.

„Welch ein herrlicher Octobermorgen, meine theure Lucina!“ sagte die ältere Dame zu der jüngeren.

„Der Morgen ist recht schön, Mutter,“ antwortete die jüngere Dame.

In den beiden Damen begrüßen wir die Landräthin von Eisenring und ihre Tochter Lucina.

„Er ist bezaubernd,“ fuhr die Mutter fort. „Sieh diese klare Sonne; den Nebel der Nacht hat sie überwunden, er kann nur noch langsam, wie ein geschlagener, schwer verwundeter Feind, dort hinten an dem Saume des Waldes herum kriechen. Sie aber, die hehre Siegerin, waltet nun frei, frei rund um uns her. Sich, wie in ihren Strahlen dieser Weißkohl mit dem Weiß des Schnees wetteifert und in welcher Purpurgluth der Rothkohl glänzt! Ja, Lucina, es ist ein bezaubernder Morgen, und wenn ich bedenke, was er uns bringen wird –“ Die Dame unterbrach sich, die Röthe ihres Gesichts wurde dunkler; der gefühlvolle Ausdruck darin wich dem des Zorns. Sie hatte sich nach dem Manne umgesehen, der die Birnen vom Baume brach. „Aber mein Gott, wie geht er mit dem theuern Obste um! Das Stück ist seinen Silbergroschen werth.“ Sie rief dem Manne zu: „Aber vorsichtig, Adalbert. Du mußt die Birnen sachter in den Korb legen.“

Der Mann legte gehorsam die Birnen sachter in den Korb.

Die Dame fuhr zu ihrer Tochter fort: „Ja, meine theure Lucina, eine solche schöne, feine Birne ist ein außerordentlich zartes Wesen, das den harten Druck einer rohen Hand nicht ertragen kann. Sie hat Gefühl, wie ein weiches Frauenherz. Ich fühle das oft in meinem Herzen. Darum begeistere ich mich auch so für die holde Natur. – Aber ich wollte von dem sprechen, was dieser schöne Morgen uns bringen wird. Ach, theure Lucina, mir klopft mein Herz! Wie muß Dir das Deinige erst in süßer Erwartung schlagen!“

„Es schlägt mir etwas ängstlich, liebe Mutter,“ sagte das hübsche Mädchen.

„Aengstlich?“ sah die Mutter verwundert auf.

„Gewiß, Mutter. Wie werde ich ihm gefallen? Wie werde ich einfaches Landmädchen ihn, den Gardeofficier, der in der Residenz, in den ersten Gesellschaften, gar am Hofe gelebt hat, wie werde ich ihn befriedigen können?“

Die Mutter fuhr entrüstet auf. „Gefallen? Befriedigen? Bist Du nicht die reichste Erbin im Lande? Und was hat er?“

Das Fräulein war wirklich ein einfaches Landmädchen. Sie hatte auf die Fragen der Mutter keine Antwort. – Doch ihr Erröthen und ihr betrübter Blick zeigte, daß sie eine Antwort wohl hatte, aber daß sie auch wohl fühlte, ein Kind dürfe der Mutter die Antwort nicht geben.

Die Mutter sprach nicht mehr entrüstet, aber stolz weiter: „Ja, mein Kind, in Betreff des Gefallens und Befriedigens darfst Du völlig unbesorgt sein. Ich habe ihm in sein Zimmer fünftausend Thaler gelegt, mit einem reizenden Billete, worin ich ihn bitte, sie von seiner künftigen Schwingermutter anzunehmen. Und dann erwarte ich jeden Augenblick meinen Amtmann zurück. Er wird mir – da er gerade Geschäfte in der Residenz hatte – von meinem Banquier zehntausend Thaler mitbringen. Sie sind gleichfalls für Deinen Verlobten bestimmt. Er mag mit dem Gelde anfangen, was er will. Da wird das Gefallen schon kommen, und was das Befriedigen betrifft, so – ach Kind, funfzehntausend Thaler für einen armen Lieutenant! Dieser wenigstens hat in seinem Leben so viel Geld noch nicht beisammen gesehen.“

Das junge Mädchen erröthete tiefer, aber sie schwieg auch jetzt.

„Ich bin nur neugierig,“ fuhr die Landräthin fort, „was er mit dem Gelde machen wird.“

Da wurde Fräulein Lucina lebhaft. „Er wird es seiner Mutter geben, sie ist arm.“

Aber die Landräthin sah mehr als verwundert auf. „Ich bitte Dich, Lucina! Als Dein Bräutigam muß er schon jetzt ein reiches Leben führen. Ich hoffe, er wird sich Equipagen anschaffen, Bedienten halten in glänzenden Livreen, eine Bibliothek, alle Klassiker in Prachtbänden –“ Die Dame unterbrach sich wieder.

„Aber Adalbert,“ rief sie eifrig zu dem Mann hinüber, der das Obst sammelte, „der Korb ist ja voll. Jede Birne, die Du noch hineinlegen würdest, kann herausfallen. Rufe jetzt die Träger.“

„Soll ich sie nicht rufen, Mutter?“ bat die Tochter.

„Nein, Du leistest mir Gesellschaft.“

„Du hast Recht,“ hatte der Mann schon gehorsam gesagt, und er wollte sich auf den Weg machen, die Träger zu holen.

Er wurde aufgehalten, und auch die Landräthin, folglich auch ihre Tochter, setzten ihre Promenade nicht fort. Alle wandten ihre Blicke einem Gegenstände zu, der auf einmal ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. In der Allee, welche das Gut des Landraths von Eisenring mit der vorbeiführenden Landstraße verband, war ein mit einer weißen Plane bedeckter Wagen erschienen, den drei berittene Gensdarmen begleiteten. Einer von diesen ritt vor dem Wagen; die beiden anderen ritten zu den beiden Seiten.

Der Wigen fuhr auf das Schloß zu.

„Was mag denn das sein?“ fragte sehr neugierig der Mann, der die Birnen gesammelt hatte.

„Weiß ich es?“ erwiderte die ältere Dame. Auf einmal schien sie sich jedoch zu besinnen. „Ach! der Kreissecretair theilte mir gestern mit, man habe Nachricht von einer Räuberbande erhalten, die plötzlich in der Gegend erschienen sei.“

„Eine Räuberbande!“ rief erschrocken der Mann.

„Ich wollte, Du unterbrächst mich nicht. In Folge dessen sind alle Landrathsämter der Nachbarschaft aufgefordert, sofort in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_179.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)