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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 12. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Eine Brautfahrt.
Von dem Verfasser der neuen deutschen Zeitbilder.
(Fortsetzung.)

Hatten jene Töne an dem Postwagen den raschen Muth des Lieutenants geweckt, den beiden Damen hatten sie die furchtbarste Angst eingejagt.

„Was haben Sie vor?“ hielten sie den jungen Mann zurück.

„Ich muß hin –“

„Um des Himmels willen –“

„Ich muß helfen.“

„Und uns wollen Sie verlassen?“ Sie umklammerten ihn; sie hielten sich Beide an ihm fest.

Glücklicher Lieutenant, wenn das zu einer andern Zeit gewesen wäre! Jetzt wollte es ihn zur Verzweiflung bringen, denn Muth, Ehre und Kampfeslust zogen ihn mit aller ihrer Gewalt nach dem Postwagen hin, wo unzweifelhaft ein Raubanfall stattfand, wo es zu kämpfen, zu helfen, zu retten galt; aber Muth und Ehre forderten auch von ihm, zwei hülflose Damen, denen er zudem seine Hülfe, seinen Schutz versprochen, denen er als ihr Ritter gerade für die jetzt von ihnen befürchtete Gefahr sich zugesellt hatte, in diesem Augenblicke nicht zu verlassen, und war auch in diesem Augenblicke die Kampfeslust nicht zu befriedigen, mußte an deren Stelle nicht der Gedanke treten, daß seine bestimmte Braut es sei, die er hier zu beschützen habe, dieselbe Braut, die er durch sein Abenteuer mit ihr selbst so schwer gekränkt hatte, und die er jetzt oder nie gewinnen, wiedergewinnen konnte? Er konnte von den flehenden Damen sich nicht losreißen.

„Fort, fort, Konrad!“ hatten sie dem Kutscher zugerufen, und die Pferde vor dem Wagen flogen im Galopp dahin, während der Lieutenant darin blieb. Im weichen Arm der Liebe, anstatt im rauhen Waffengetümmel! Denn das Fräulein Angela, oder Lucina, oder wie sie sonst hieß, hatte jetzt auf einmal mehr Angst, als ihre furchtsame Schwägerin, und sie hatte sich dicht und fest an den jungen Ritter gelegt, und er fühlte den schönen Nacken, den er früher kaum hatte sehen sollen. Hätte er nur fluchen dürfen! Er wollte es, aber zu wie Vielem hat der Mensch einen – schwachen Willen!

Der Wagen flog dahin, und dahinten blieb es still. Der Raub an dem Postwagen mußte verübt sein, daran durfte der Lieutenant nicht zweifeln; auch daß zehntausend Thaler wirklich in dem Postwagen sich befunden und der Gegenstand des Raubes gewesen seien, glaubte er annehmen zu müssen, wenn er sich Alles wieder in das Gedächtniß rief – und wer der Beraubte war? Gewiß der kurze Herr mit dem rothen Gesichte, antwortete er sich, der so unruhig wurde, als von dem Gelde die Rede war, und dann so eifrig versicherte, kein Thaler sei im Wagen.

Ach, wenn er dabei gewesen wäre! Er hatte vier Kugeln zu versenden, und sein Muth, sein Beispiel hätte dem Beraubten Muth gegeben, selbst den Philister von Tuchhändler zum Widerstande angespornt, ja, gar dem alten, schwachen Greise noch Kräfte verliehen. Ohne einen Kampf auf Leben und Tod wären die Räuber zu einem Siege nicht gekommen! Das durfte der Lieutenant sich sagen, während sein Gesicht voll Muth flammte, aber auch voll Zorn, daß er nicht dabei gewesen war. –

Der Planwagen konnte nicht lange im Galopp der Pferde dahinfliegen, denn der Weg wurde uneben, hart und holprig, er flog wohl, aber in die Höhe. Der Kutscher mußte daher die Pferde nur langsam und im Schritt gehen lassen. „Auch das noch!“ riefen die geängsteten Damen, „wir werden die zweite Beute der Räuber sein.“ Das nun zwar nicht, aber daß die Räuber kommen möchten, hätte der Gardelieutenant in seinem Zornesmuth beinahe gewünscht. Und, wie sollte sein Wunsch erfüllt werden? Der Wagen hatte wieder schneller fahren können, denn der Weg war ebener, fester geworden. Auf dem glatten Boden machte das Fahren auch wenig Geräusch; man konnte daher hören, was außerhalb vorging, und man hörte etwas. Der Galopp eines Pferdes kam hinter dem Wagen her und er wurde deutlicher und deutlicher. Die Damen erschraken von Neuem. „Galopp, Konrad!“ riefen sie dem Kutscher zu. „Die Räuber, die Räuber!“ klammerte sich das Fräulein Angela wieder fester an ihren tapferen Ritter.

„Es ist nur ein einzelnes Pferd!“ suchte der Lieutenant sie zu beruhigen. Allein das einzelne Pferd kam näher, und er zog doch eines seiner beiden Doppelpistolen hervor und spannte die Hähne.

Da rief eine Stimme dicht hinter dem Wagen: „Emilie! Emilie!“

„Mein Mann, mein Adolph!“ schrie die blasse Frau auf. „Konrad, halt, halt!“

Der Kutscher hatte schon gehalten, und der Reiter erschien neben dem Wagen. Die blasse Frau breitete ihm die Arme entgegen, während er vom Pferde sprang. „Wie habe ich mich um Dich geängstigt!“

„Ich komme zu Dir, Emilie.“

Der tapfere Lieutenant brachte während dem leise, daß man es nicht hören solle, die Hähne seines Doppelpistols in Ruhe und steckte die Waffe unter seinen Mantel zurück.

„Nimm mein Pferd,“ sagte der Reiter zu dem Kutscher, „und dann im Galopp wieder voran. Im Galopp, hörst Du?“ Dabei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_177.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)