Seite:Die Gartenlaube (1860) 151.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

drängen sich natürlich jedem Leser auf und wurden damals schon allgemein ausgesprochen. Aber es gab keine Antwort darauf und gibt heute noch keine. So wie das in den Herzen der Leute im deutschen Volkswald lebende patriotische Bedürfniß das Wort gesunden hatte, zündete es im Nu, und die Hände setzten sich in geheimnißvolle, aber um so rührigere Thatigkeit. Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen arbeiteten Tag und Nacht an der Fahne, aber gesprochen wurde nicht davon, Namen wurden nicht genannt.

Und auch heute kann man sich nicht auf die Namen besinnen, wenn danach gefragt wird. Das Volk hat den Einfall gehabt, das Volk hat die Fahne hergestellt, das Volk hat sie ausgestellt. Das ist fürwahr einer der schönsten Züge in diesem anmuthigen vaterländischen Bilde. –

Zu jener Zeit lebte in dem nahen freundlichen Georgenthal ein nicht mehr junger Mann, ein Stück Dichter, wenn auch gerade kein großes, der aber nicht zu erröthen brauchte, wenn die, welche ihn näher kannten, ihn ein echtes treues, deutsches Herz nannten. Es kannten ihn aber blutwenig näher, und er mied auch die menschliche Gesellschaft und irrte allein und schwermüthig in diesen Bergen und Thälern umher. Dazu hatte er guten Grund; er trug nicht nur die Pein persönlichen Mißgeschicks, das ihm Bosheit, Niedertracht, Unverstand, Gleichgültigkeit und jene scheußliche Gemeinheit, die noch schlimmer als der weitverbreitete Blödsinn edle Herzen verwundet, schon seit Jahren bereitet; auch des Vaterlands neue schwere Noth, die ihn ebenfalls in seinen eigenen Interessen hart betroffen, und überdies noch körperliche Leiden preßten sein sonst so heiteres Gemüth. Mit Goethe’s Schatzgräber darf er von jener Zeit sagen:

„Arm am Beutel, krank am Herzen
Schleppt’ ich meine langen Tage.“

Dieser begrüßte die deutsche Fahne auf dem Falkenstein mit wehmüthiger Freude. Am Feste selbst hatte er sich aus mehrfachen Gründen nicht betheiligt; in der ernsten feierlichen Stille der Waldeinsamkeit erschien sie ihm auf ihrem Felsenthrone in noch weit größerer Majestät; es war ihm, als habe sie sich aus der Menschenwelt, wo sie von den Gewalthabern schon wieder geächtet war, in das stille und einsame Waldthal auf den unzugänglichen Felsen geflüchtet, wo ihr kein lächelnder Staatsmann und kein finster blickender Soldat etwas anhaben konnte.

Der Mann lag wohl manche Stunde unter einem Baume, den trüben Blick sehnsüchtig nach der Fahne oben gerichtet, aber die Grüße seines Schmerzes wollten nie zu Worten werden, bis er einmal einen jüngern Freund, der in den Bergen unbewandert war, hierher führte. Dieser brach begeistert vom Anblick der Fahne auf dem natürlichen Altar in den Ausruf aus: „In diesem wirst Du siegen!“ Er sprach aber die berühmten griechischen Worte selbst, wie sie Constantin der Große im Traume unter dem Bilde des Kreuzes gesehen haben soll. Das Wort ergriff den Dichter wunderbar, und es entstand daraus um so schneller ein Liedesgruß an die hohe Fahne, als das sonst immer so schwere Gemüth durch einen zweiten Spruch des Freundes erleichtert und erheitert wurde. Dieser rief nämlich:

„Sie sollen ihn nicht haben
Den Hort des Falkenstein,
Ob sie wie gier’ge Raben
Sich heiser danach schrein!“

Das an jenem Tage gedichtete Fahnenlied durfte sich damals nicht in der Welt sehen lassen. Es hat im Pulte des Dichters vergraben gelegen, des Auferstehungsmorgens harrend; heute darf es bei deutschen Herzen einkehren. Hier ist es.

„In diesen Zeichen wirst du siegen!“

Schon wieder grinst um uns die Nacht
Mit tausend Schrecken, tausend Nöthen,
Schon wieder darf die Niedertracht
Das heiße deutsche Herz zertreten.
O Land der Wahrheit und des Lichts,
Wie schänden Finsterniß und Lügen
Den Spiegel deines Angesichts!
In welchem Zeichen wirst du siegen?

Du echter, wahrer, deutscher Sinn,
Der du nach großem Ziel gerungen,
Nun wieder von der Heuchlerin,
Der schlau verkappten List bezwungen,
Wie trankst Du Lust und Morgenrot!
Noch jüngst mit tiefen durstgen Zügen!
Und nun die Nacht, die dumpfe Noth! –
In welchem Zeichen wirst du siegen?

O Finsterniß! O schwere Nacht!
Wird dir kein lichter Tag beginnen?
Darf ungestraft die Lügennacht
Des Corsensprößlings uns umspinnen?
Wie wehrlos wir mit unsrer Kraft
In unserm Schmerz darniederliegen!
O deutsche Kraft in schnöder Hast,
In welchem Zeichen wirst du siegen?

Ha! durch das Dunkel blitzt ein Stern
Von majestät’scher Felsenzinne!
Die Waller ziehn von nah und fern
Herbei mit neugestärktem Sinne.
Dein Banner sehn sie schwarz-roth-gold
Sich hoch in Himmelsbläue wiegen,
Von kühnen Händen aufgerollt.
In diesem Zeichen wirst du siegen.

Verschwunden war sie und verpönt,
Die heil’ge deutsche Oriflamme.
Dort flattert sie, kaum noch verhöhnt,
Stolz überm hohen Fichtenstamme
Und läßt den schwarz-roth-goldnen Strahl
Als jungen Hoffnungsboten fliegen
Vom Felsenhaupte in das Thal. –
In diesem Zeichen wirst du siegen.

Sie pflanzte dort mit starker Hand
Der schlichte kühne Felsensteiger.
Nun leuchtet sie, ein Stern dem Land,
Wenn heute erst nur als ein bleicher.
Doch wächst sein Glanz und seine Gluth.
Und gleich dem, der den Fels erstiegen,
So wachse, Deutschland, dir der Muth!
In diesem Zeichen wirst du siegen.

Dich aber weiht der Dichter fromm,
Du Fels, zum vaterländ’schen Heerde,
Auf dem der Funke neu entglomm,
Daß er zur Himmelsflamme werde!
Du, deutsche Jugend, blick’ empor
Zu ihr, die bald in heil’gen Kriegen
Hell wandelt deinem Volke vor.
Und nur in diesem wirst du siegen.

Sie rage einsam, nur umgirrt
Von dieses Waldes wilden Tauben,
Und wecke, daß es besser wird,
In deutscher Brust den schönen Glauben.
Am rechten Tage steig’ als Hort
Sie nieder auf den Felsenstiegen
Und rufe Deutschland zu das Wort:
In diesem Zeichen wirst du siegen!

Jahre lang hat die deutsche Fahne auf ihrem Felsenasyle lustig geflattert zum Beweis, daß in dem deutschen Volkswalde still die schwarz roth-goldne Treue wohne. Der Fürst des Landes, der oft am Fuße des Falkenstein vorüber zur Jagd fuhr, hat ihr nie ein böses Gesicht gemacht; er war am wenigsten der, der sie „haben“ wollte. Scheele Blicke sind freilich genug nach ihr hinausgeworfen worden, aber sie konnten sie nicht haben; es war unmöglich. Jakob Zimmermann hatte selbst das Gestrüpp hinweggerissen, das allein das Besteigen den Felsen ermöglicht. Es konnte Keiner mehr hinauf.

Heute ist freilich keine Spur mehr von ihr zu sehen; sie ist dem Schicksal alles Irdischen verfallen und der Gewalt der Stürme erlegen, die auf dieser Felsenzinne oft furchtbar sein mag; aber am großen Schillertage schoß sie als ein schwarz-roth-goldner Flammenstrahl plötzlich da und dort mitten aus dem Volke empor und erleuchtete den Weg, den uns der große unsterbliche Dichter vorgezeichnet hat, den Weg zur Einheit, Freiheit und Größe.

Es liegt uns Deutschen ob, heuer ein patriotisches Fest zu feiern, den fünfzigjährigen Todestag der Königin Louise von Preußen, des „Genius Deutschlands“, welcher auf den 19. Juli fällt. Wie wär’ es denn, wenn wir zu diesem Tage eine neue deutsche Fahne anschafften, zu welcher jeder brave Deutsche seinen Pfennig beisteuerte, und zu Tausenden hinter ihr herzögen durch den Grund des deutschen Volkswaldes bis zum mächtigen deutschen Altar und sie auf denselben ausstellten und als „ewige Flamme“ stifteten, wie man wohl eine ewige Lampe auf einen Kirchenaltar stiftet? Der Falkenstein wäre ein würdiger Sockel zu solch einem hehren deutschen Monument, und dieses bildete als Symbol der politischen Einheit dann einen schönen Gegensatz zu der hohen Winfriedssäule, die als Symbol der religiösen Einheit nur wenige Stunden von hier auf hinein Berggipfel desselben Gebirgs in der Form eines Leuchters die dreigezackte Flamme trägt.

Der Vorschlag verdient gewiß in Erwägung gezogen zu werden.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_151.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)